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Noch zu wenig Substanz

Die ASEAN hat eine lange Geschichte, doch noch divergieren die wirtschaftlichen Bedingungen der Mitglieder zu stark, um das Fundament für eine Union legen zu können. Von Wolfgang Pomrehn

Die ASEAN, Südostasiens Staatenbund, blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. 1967 wurde sie als Bastion gegen die starken kommunistischen Parteien der Region gegründet. Nicht nur in Indochina, das heißt Laos, Vietnam und Kambodscha, kämpften Kommunisten für soziale und nationale Befreiung gegen die alten und neuen Kolonialherren. Auch in Malaysia, Thailand, Burma und auf den Philippinen bereiteten starke Guerillaverbände der meist mehr oder weniger dem Maoismus zugeneigten KPen den herrschenden Eliten zeitweise erhebliche Kopfschmerzen. In Indonesien und Singapur waren kurz vor der ASEAN-Gründung die Kommunisten in den Untergrund gezwungen worden. Hunderttausende hatte man 1965 in Indonesien ermordet. Hauptverantwortlicher war General Suharto, mit dem später der langjährige Bundeskanzler Helmut Kohl eine demonstrative Freundschaft pflegte.
Knapp 40 Jahre später sind die einstigen Feinde in das Bündnis aufgenommen und die Diktatoren längst von Volksaufständen und Massenbewegungen von der Macht verdrängt, sieht man einmal von Burma (Myanmar), der Operetten-Monarchie in Brunei und der Technokraten-Diktatur in Singapur ab. Auch die meisten Guerillas haben schon vor etlichen Jahren  Friedensabkommen ausgehandelt und die Waffen abgegeben. Nur auf den Philippinen kämpfen noch verschiedene kommunistische Organisationen bewaffnet, doch ASEAN ist heute im wesentlichen eine leidlich bürgerlich-demokratische Welt. Allerdings ist in einigen Ländern wie Indonesien der Einfluß der reaktionären antidemokratischen Kräfte noch besonders stark. Dort haben sich viele Militärs bisher nicht von der Vorstellung verabschieden können, daß sich das zivile Leben ihren Vorstellungen unterzuordnen hat. Nur wenige Tage vor dem jetzigen ASEAN-Gipfel ließ die Marine des Landes Kriegsschiffe in Gewässer vor Borneo auslaufen, die auch von Malaysia beansprucht werden.
Nicht gerade ein Akt, wie er dem Geist der Gemeinschaft entspricht, die ASEAN gerne sein würde. Seit Anfang der 1990er Jahre betreibt der Staatenbund  verstärkt die Integration. Nach dem Vorbild der Europäischen Union möchte man in Südostasien die Staaten zusammenwachsen lassen und hat dafür allerlei Verträge auf kulturellem, innenpolitischem und vor allem wirtschaftlichem Gebiet unterschrieben. Bis 2020 will man die AEC die ASEAN Economic Community und damit einen gemeinsamen Markt geschaffen haben. 2008 sollen bereits die meisten Zollbarrieren gefallen sein.
Doch bis dahin ist es ein langer und beschwerlicher Weg. Noch sind die meisten ASEAN-Staaten zu den Entwicklungsländern zu zählen. Nur der autoritäre Stadtstaat Singapur – wahrscheinlich der einzige Staat der Welt, der so viele Waffen angehäuft hat, daß er sie nicht alle auf dem eigenen Territorium lagern kann – ragt als eine Insel des Wohlstands aus einem Meer der Armut. Die anderen Staaten entwickeln sich sehr unterschiedlich. Die Philippinen, denen die USA bereits in den 1960er Jahren quasi-Freihandelsverträge aufgezwungen hatten, steigern zwar ihre Exporte von Jahr zu Jahr, aber ihre bescheidene Industrie entwickelt sich nicht weiter. Selbst die viel gepriesene Chip-Produktion hat dort nur eine geringe Fertigungstiefe, weil die Vorprodukte importiert und nach der Montage wieder exportiert werden. Die Folge: Im Land verbleiben die diversen Umwelt- und sozialen Probleme, aber wenig Kapital.
Den anderen ASEAN-Gründerstaaten (Thailand, Malaysia, Singapour und Indonesien) geht es meist besser. Gerade zehn Jahre ist es her, daß sie landauf landab als asiatische Tigerstaaten präsentiert und dem Rest der Welt als Beweis für den Erfolg des neoliberalen Modells verkauft wurden, das allein auf Export und Weltmarkteinbindung orientiert. Den anderen Entwicklungsländern wurde ihre vermeintliche Erfolgsgeschichte zur Nachahmung empfohlen. Doch dann kam 1997/98 die Asienkrise und warf die Region um Jahre zurück. Millionen Menschen stürzten in die Armut ab. Besonders hart wurde Indonesien getroffen, wo sich der Hunger wieder ausbreitete und die ärmeren Schichten in ihrem Lebensstandard um zehn bis 20 Jahre zurückgeworfen wurden. Am besten überstanden den Strum bezeichnender Weise jene Länder, die wie Malaysia die neoliberalen Dogmen zurückwiesen und auf staatlich kontrollierte Wirtschafts- und Devisenpolitik bestanden.
Auch die meisten anderen Länder haben sich inzwischen leidlich erholt. Nur Indonesien trägt mit seiner Auslandsverschuldung von derzeit rund 135 Milliarden US-Dollar noch schwer an den Folgen der Krise. Obwohl das Land den größten Handelsbilanzüberschuß der Region hat und rund 30 Prozent seiner Exporte jährlich in den Schuldendienst steckt, hat sich diese Last in den letzten Jahren kaum spürbar verringert.
Unterm Strich divergiert daher heute die wirtschaftliche Entwicklung der ASEAN-Staaten mehr denn je. Der Handel zwischen den Mitgliedern wächst langsamer als der Warenaustausch mit dem Rest der Welt und spielt im Vergleich zu diesem nur eine untergeordnete Rolle. Von ökonomischer Integration der ASEAN kann bisher keine Rede sein. (10.12.2005)


ASEAN plus Vier in Zahlen

Land Bevölkerung in Millionen BIP in Milliarden USD Wachstum in Prozent Export in Milliarden USD Handelsbilanz in Milliarden USD
Brunei 0,374 4,7 3,2 3,2 1,9
Kambodscha 14,1 4,2 6 2,1 -0,8
Indonesien 215,96 208,6 5,1 61,1 28,5
Laos 5,76 2 6,5 k.A. k.A.
Malaysia 25,67 103,7 7,1 99,4 19,3
Myanmar (Burma) 54,75 9,6 12,6 4,5 2,6
Philippinen 82,66 79,3 6,1 36,2 -1,3
Singapur 4,2 91,3 8,4 143,5 16,2
Thailand 64,47 143,3 6,1 80,5 4,7
Vienam 82,22 39 7,1 k.A. k.A.
VR China 1300 1600 9,5 593,4 32
Indien 1080 650 6,5 69,18 -20
Japan 126,9 3761 2,7 538,8 129
Südkorea 48,42 680 4,6 250,6 36

BIP = Bruttoinlandsprodukt
USD = US-Dollar
Die Angaben für das Wirtschaftswachstum sowie für China, Indien, Südkorea und Japan beziehen sich auf das Jahr 2004, alle anderen wenn nicht anders angegeben auf 2003. (wop)