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Suharto-Nachfolger droht Pogrom-Opfern

Indonesien nach den antichinesischen Ausschreitungen

Gerade zwei Monate ist es her, daß schwere antichinesische Pogrome die Großstädte Indonesiens erschütterten. Hunderte Angehörige der Minderheit wurden von einem brutalisierten Mob umgebracht. Indonesische Menschenrechtler sind der Ansicht, daß die Aktionen organisiert wurden. Sie haben Kräfte aus dem Umfeld der Regierung in Verdacht, doch gibt es wenig handfeste Hinweise auf die Hintermänner. Auffällig sei, so Selma Widhi Hayati, die in Jakarta für die Indonesian Legal Aid Foundation arbeitet, daß die Randalierer meist mit Bussen zu ihren »Einsatzorten« gebracht wurden.
Auch wenn es an Beweisen für die Urheberschaft mangeln mag, so ist es doch ein Indiz, wie die Staatsführung mit den Opfern umgeht. Der Suharto-Zögling und -Nachfolger Habibie hat den Traumatisierten statt Schutz und Hilfe vor allem Drohungen zu bieten: »Wenn nicht innerhalb von zwei Wochen die Versorgung mit den wichtigsten Waren wieder funktioniert, werde ich die Produzenten auffordern, ihre alten Verträge zu kündigen und sie an andere Geschäfte zu vergeben«, so der Präsident am vergangenen Freitag gegenüber Mitgliedern der Indonesischen Handelskammer.
Nach den Morden und Brandschatzungen ist in weiten Teilen des Inselstaates die Versorgungslage prekär. Viele chinesisch-indonesische Ladenbesitzer trauen sich nicht, ihre Geschäfte wieder aufzunehmen, oder sind aufgrund der Ereignisse psychisch dazu nicht in der Lage. Mancher kann es auch schlicht aus materiellen Gründen nicht. »Mehr als 5 000 Geschäfte chinesischer Indonesier wurden geplündert und niedergebrannt«, berichtet Bill Hekman von der Christian Leaders Association, einer christlichen Vereinigung in Jakarta. »Es gibt in diesem Land keinen Schutz und keine Gerechtigkeit mehr.« Wer es sich leisten kann, ist daher ins Ausland geflohen. 70 000 sollen es sein.
Mittlerweile wird das ganze Ausmaß der Pogrome deutlich. Nicht nur Geschäfte und Wohnhäuser wurden verbrannt, sondern auch Menschen. »Hunderte von Frauen und Kindern wurden vergewaltigt, verstümmelt und umgebracht. Einige wurden regelrecht zerstückelt«, beschreibt Hekman, was Mitte Mai in Jakarta und anderen Städten geschah.
Vivian, ein überlebendes 18jähriges Opfer aus Jakarta, berichtet in der Zeitschrift der Christian Leaders Association von ihrem Martyrium. Eine große Menschenmenge habe sich am Morgen des 14. Mai vor dem Appartmenthaus versammelt, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Als das Haus nach einiger Zeit gestürmt wurde, habe sie sich mit ihren Angehörigen in das 15. Stockwerk geflüchtet und dort in einem Raum verbarrikadiert.
Schließlich seien sie von der Menge in ihrem Versteck entdeckt worden. Mehrere Männer hätten sich über ihre kleine Schwester hergemacht, sie vor den Augen ihrer Eltern vergewaltigt und anschließend erstochen. Auch ihr Onkel, der seine Frau schützen wollte, sei erschlagen worden.
Habibies zynische Drohungen weckten die Gier des heimischen Unternehmertums. Bambang Wiyogo, Vorsitzender der Vereinigung der Indonesischen Jungunternehmer, scheint es kaum abwarten zu können, die Geschäfte der Opfer zu übernehmen: »In Zeiten der Krise hat der Präsident uns aufgefordert, die Lücken in der Verteilungskette aufzufüllen.« Er und seine Kollegen seien dazu bereit. Ganz selbstlos, versteht sich.
Wolfgang Pomrehn, jW, 22.07.98

Pogrome auf Bestellung zur Rettung des Regimes

In Indonesien wurden Bevölkerungsgruppen aufeinandergehetzt


Ausgebrannte Geschäfte, verkohlte Ruinen eines Einkaufszentrums, ein rußgeschwärztes Skelett eines Minibusses an einer belebten Kreuzung. Jakarta Anfang August. Allenthalben stößt der Beobachter auf Spuren der Unruhen, die am 13. und 14. Mai Jakarta und andere indonesische Großstädte erschütterten und mit zum Rücktritt des Diktators und Kohl-Freundes Suharto führten. Doch was sich für den außenstehenden Beobachter zunächst als spontanes Aufbegehren darstellte, scheint bewußt provoziert, wenn nicht gar initiiert gewesen zu sein.
Ziel der Plünderer waren fast ausschließlich chinesische Geschäfte und Häuser. Unter den über 1 200 Todesopfern der Ausschreitungen haben sich zahlreiche Angehörige der chinesischen Minderheit befunden.
Der Schrecken über die Geschehnisse sitzt tief, sowohl bei der acht Millionen Köpfe zählenden chinesischen Gemeinde als auch bei den demokratischen Oppositionellen. Der Ruf nach einer Untersuchungskommission wurde laut, um die Hintergründe aufzuklären. Ende Juli gab die Regierung dem Drängen nach und bestellte ein Gremium, dem auch einige anerkannte Menschenrechtler angehören.
Doch ob mit den Generälen, die ebenfalls berufen wurden, nicht der Bock zum Gärtner gemacht wird, ist zumindest eine offene Frage. Zahlreiche Augenzeugen sprechen davon, daß Soldaten oftmals tatenlos dem Geschehen zugeschaut, wenn sie nicht gar Plünderer angestachelt haben. Schwierig wird es außerdem sein, überlebende Opfer zur Aussage zu bewegen, denn noch immer haben die meisten Angst, offen über die Vorfälle zu sprechen. Kein Wunder in einer Atmosphäre, in der neben kritischen Stellungnahmen in den Zeitungen auch Beiträge zu finden sind, die den Chinesen erklären, selbst schuld zu sein. Besonders dreist treibt es Lukman Harun, ein hoher Politiker der regierenden Golkar-Partei Habibies und Suhartos. In aller Öffentlichkeit spekuliert er darüber, ob jemand inmitten von Schießereien und Brandschatzungen überhaupt ein »sexuelles Bedürfnis« entwickeln könne. Die Menschenrechtler sollten endlich Beweise vorlegen und aufhören, den Fall zu politisieren.
Die Einschüchterung wirkt. Vor allem fernab der Hauptstadt, dort, wo die politische Öffnung weniger weit gediehen ist, tut man sich schwer, öffentlich über die Tage im Mai zu sprechen. Beim neugegründeten Surabayaer Verein gegen Diskriminierung ist etwas mehr zu erfahren. In der westjavanischen Stadt haben sich in der Nacht vom 14. zum 15. Mai, so ein Sprecher, nur einige hundert an Ausschreitungen beteiligt. Die seien von einer Gruppe Maskierter, offensichtlich Fremde, angeleitet worden. Morde habe es keine gegeben, aber bisher seien 16 Vergewaltigungen bekannt. Mit den Pogromen habe man der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen wollen, was zumindest in Surabaya nicht gelungen ist. Denn am Tag darauf haben 400 000 bis 500 000 unter dem Motto »Für Reformen, gegen Gewalt« demonstriert.
Andernorts ging es nicht so glimpflich ab. In Jakarta beteiligten sich über die ganze Stadt verteilt Hunderttausende an den Plünderungen, berichtet Fay vom Volunteer Team, einem Bündnis von Menschenrechtsgruppen. Wie viele andere habe auch er zuerst an einen spontanen Ausbruch geglaubt, denn chinesische Geschäftsleute sind allgemein verhaßt. Doch nach und nach hat sich aus Augenzeugenberichten ergeben, daß überall nach dem gleichen Schema vorgegangen wurde: Den Anfang machten jeweils Gruppen von sehr jungen Männern, die in Bussen oder gar auf Armeelastwagen angefahren kamen. Passanten haben sich dann angeschlossen oder auch nur zugeschaut. Wie das Militär, das sonst bei jedem Streik eingreift.
Zahlreiche Augenzeugen und Opfer berichten, daß Soldaten nichts gegen Plünderungen unternommen haben, außer in Fällen, wo reiche Chinesen für ihren Schutz zahlen konnten (ein Panzer kostete 1 000 Dollar pro Tag). Erst als Geschäfte schon brannten, sollen die Soldaten in mehreren Fällen Plünderer mit Schüssen in die Flammen zurückgetrieben haben. Unter den 1 200 Opfern in Jakarta, so Didieck Trisasongko von der Menschenrechtsgruppe LBH, sind also auch viele Mitläufer.
Die Pogrome wurden während der Besetzung des Parlaments durch die Studenten provoziert. Am 12. Mai, einen Tag bevor die Ausschreitungen in Jakarta ausbrachen, waren vier Studenten von Soldaten erschossen worden, was erhebliche Empörung in der Bevölkerung hervorgerufen hatte.
Der Verdacht liegt daher nahe, daß in Ausnutzung eines tief verwurzelten antichinesischen Rassismus verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt werden sollten, um das Regime aus der Schußlinie zu nehmen. Den Armen und Hungrigen sollte ein wohlfeiles Haßobjekt geboten werden, damit sie sich nicht politisieren.
Die Rechnung ist bisher aufgegangen. Das alte Regime sitzt mit neuen Gesichtern fest im Sattel, und die Opposition hat mit Suharto den einenden Gegner verloren.
Wolfgang Pomrehn, jW 11.08.98


Angst vor neuen Pogromen zum Nationalfeiertag Indonesien:

Chinesische Minderheit fürchtet neue Übergriffe


In Indonesiens chinesischer Minderheit geht die Furcht vor neuen Pogromen um. Seit Tagen halten sich hartnäckig Gerüchte, nach denen es am heutigen Montag, dem indonesischen Nationalfeiertag, neue antichinesische Ausschreitungen geben wird. In West-Jakarta griff am Donnerstag eine Menschenmenge chinesische Geschäfte an und steckte einen Nachtclub in Brand. Nach Berichten der »Jakarta Post« mehren sich bei Angehörigen der Minderheit seit Anfang des Monats telefonische Drohungen. Eine Frau, die mit ihren vier Kindern nach Hongkong geflüchtet ist, erzählt, ein Anrufer habe gesagt, sie würden nur Pause machen, am 17. gehe es weiter. »Im Mai wurden direkt vor unserem Haus Menschen ermordet«, schildert sie hiesigen Zeitungen ihre Erlebnisse. »Einigen wurde von Plünderern der Schädel zertrümmert.« Mitte Mai waren bei Unruhen in Jakarta und anderen Großstädten zahlreiche chinesische Geschäfte geplündert und in Brand gesetzt worden, über 1 200 Menschen starben. Organisierte Banden vergewaltigten mehrere hundert Frauen und Mädchen.
In den letzten Wochen häuften sich die Berichte indonesisch-chinesischer Frauen, daß sie auf der Straße von fremden Männern bedroht werden. In Jakarta erzählte eine Studentin Reportern, sie habe von einem Busfahrer auf die Frage nach Wechselgeld zur Antwort bekommen: »Du willst wohl vergewaltigt werden? Warte bis zum 17., dann bekommst du, was dir zusteht.« Gema Sukma, die in Surabaya Psychologie lehrt, kann von zahllosen ähnlichen Erlebnissen ihrer Studentinnen berichten.
Sprecher der Regierung und der Polizeiführung fordern unterdessen die Bürger auf, die Gerüchte zu ignorieren. Präsident Habibie brauchte bis zum Sonnabend, um erstmals die Gewalt gegen die ethnische Minderheit mit klaren Worten zu verurteilen. Wachsender Druck aus China, Singapur, Hongkong und Taiwan, die wichtige Wirtschaftspartner sind, dürfte dazu beigetragen haben. Habibie vermied es allerdings, nach den Verantwortlichen zu fragen.
In der indonesisch-chinesischen Gemeinde hat man unterdessen wenig Vertrauen in Polizei und Militär, die im Mai tatenlos zugesehen hatten. Auch von der Regierung Habibies, der bisher nur zynische Drohungen für die Minderheit übrig hatte, erwartet man wenig. Wer es sich leisten kann, setzt sich ins Ausland ab. Fluggesellschaften berichten, daß am Wochenende die Flüge nach Singapur, Kuala Lumpur und Hongkong nahezu ausgebucht waren. Doch Geld dafür haben nur die wenigsten. Schon eine Ausreisegenehmigung zu erhalten ist nicht billig: Der indonesische Staat verlangt von seinen Bürgern eine Gebühr von einer Million Rupiah, wenn sie das Land verlassen wollen. Ein Betrag, für den ein Arbeiter sechs bis neun Monate arbeiten muß.
Wolfgang Pomrehn, jW, 17.08.98


Indonesiens Militär weist Vorwürfe zurück

Peking fordert Aufklärung antichinesischer Pogrome

Indonesiens chinesische Minderheit kommt nicht zur Ruhe. Während eine von der Regierung eingesetzte unabhängige Kommission noch die Ursachen und Ausmaße der pogromartigen Ausschreitungen in Mai untersucht, steht für führende Militärs das Ergebnis bereits fest: Es gebe keine Beweise für die behaupteten Menschenrechtsverletzungen und Vergewaltigungen, verkündete Geheimdienstchef Generalleutnant Moetojib Anfang der Woche. Seine Leute hätten Krankenhäuser und die Orte des Geschehens aufgesucht. Keiner habe ihnen Beweise vorlegen können. »Ich komme zu dem Schluß, daß die Gerüchte ausgestreut wurden, um Indonesien international zu diffamieren und die nationale Einheit anzugreifen«, zitieren Hongkonger Zeitungen den obersten Geheimdienstler Jakartas.
Menschenrechtsgruppen liegen allerdings Zeugenaussagen über 168 Fälle von bandenmäßig betriebenen Vergewaltigungen während der Unruhen Mitte Mai vor. Der Vize-Vorsitzende der regierungsamtlichen Menschenrechtskommission mag zwar nicht die Zahlen bestätigen, spricht aber von »sehr starken Beweisen«. Sperma-Tests hätten gezeigt, daß die untersuchten Opfer von »sehr vielen verschiedenen Männern« vergewaltigt worden seien. In der chinesischen Minderheit reagiert man angesichts ständig neuer Pogrom-Gerüchte mit großer Sorge auf die Äußerungen Moetojibs. Wer es sich leisten kann, besticht lokale Militärchefs, damit sein Haus bewacht wird. Viele berichten von ständigem Telefonterror.
Jususf Wanandi vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Jakarta ist nicht sehr optimistisch hinsichtlich der unmittelbaren Aussichten für die Minderheit. »Wir sind uns alle sicher, daß es einen gewissen Grad an militärischer Organisation in den Unruhen gegeben hat. Die Chinesen werden sich erst wieder sicher fühlen, wenn es wirkliche Untersuchungen der Vergewaltigungen und all dieser Vorfälle gibt; erst wenn es wieder ein Gefühl von Gerechtigkeit gibt«, diktiert er dem Reporter der South China Morning Post ins Mikrofon.
Bei Indonesiens ostasiatischen Nachbarn wächst unterdessen der Druck auf die Regierung in Jakarta, für eine schnelle Aufklärung und Bestrafung zu sorgen. In Hongkong, Taiwan und selbst der Volksrepublik China organisieren Gruppen und Parteien aller politischen Richtungen Proteste und Mahnwachen. In Peking sammeln Studenten Unterschriften unter eine Petition und werfen der Regierung vor, nicht genug in Indonesien zu unternehmen. Eine Kundgebung vor der indonesischen Botschaft in Peking wurde von den Behörden nicht genehmigt, aber dennoch geduldet.
Die Regierung Chinas hat unterdessen erstmalig ihre Politik der »Nichteinmischung in innere Angelegenheiten« aufgegeben und drängt ihrerseits Jakarta auf rasche Bestrafung der Täter. Chinesische Dissidenten fühlen sich dadurch in ihrer Forderung nach internationaler Untersuchung von Verstößen gegen die Menschenrechte im Land der Mitte bestätigt.
Wolfgang Pomrehn, jW, 27.08.98