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29.10.2005 / Wochenendbeilage / Seite 1 (Beilage)

»Wir brauchen einen Dialog mit China«

Gespräch mit Walden Bello vor der WTO-Konferenz im Dezember in Hongkong über die Handelsbeziehungen zwischen Peking und Südostasien und über notwendige Veränderungen in der Region

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Walden Bello (geb. 1945) ist Professor für Soziologie in Manila/Philippinen und Direktor des globalisierungskritischen Instituts »Focus on the Global South« in Bangkok/Thailand. Er gehörte zu den Initiatoren der Weltsozialforen und trat international mit scharfer Kritik gegen den Irak-Krieg hervor.


F: ASEAN, die 1967 gegründete Allianz südostasiatischer Staaten, ist in den letzten Jahren mit neuem Leben erfüllt worden. Die zehn Mitgliedsländer Thailand, Myanmar, Vietnam, Laos, Brunei, Malaysia, Singapur, Indonesien, Philippinen und Kambodscha wollen enger zusammenrücken. Über viele Jahrzehnte waren die Handelsbeziehungen in der Region unterentwickelt, da sich der Außenhandel auf Europa, Japan und die USA konzentriert. Mittlerweile entwickelt sich der Warenaustausch mit China in einem beachtlichen Tempo. Fährt der Zug in die richtige Richtung?

Wichtig für die Bewertung ist der Rahmen. Handel mit China ist genauso wie der mit den USA oder Europa nicht per se gut oder schlecht. Die Frage ist, ob die Handelsbeziehungen aufgrund ihrer Struktur einseitig den Stärkeren, in diesem Falle China, begünstigen oder ob sie ausgewogen sind. Im Augenblick ist unser Problem, daß China extrem wettbewerbsfähig ist. Aufgrund geringer Lohnkosten kann China sehr günstig produzieren und billige Waren nach Südostasien exportieren. Wenn es also keine starken Kontrollen des Handels mit China gibt, könnten Landwirtschaft und Industrie in den ASEAN-Staaten große Probleme bekommen.

Die ASEAN-Regierungen sprechen derzeit mit China über Handelsverträge. Das Problem dabei ist, daß jede für sich verhandelt. Heraus kommen Abkommen, die sehr zum Vorteil Chinas ausfallen, so daß unsere Märkte mit chinesischen Importen überschwemmt werden. Ich denke, daß die ASEAN, bevor ihre Mitglieder über Freihandelsverträge mit China sprechen, sich zunächst selbst als regionaler Block etablieren sollte. Nötig wäre eine gemeinsame Handelspolitik, die Entwicklung fördert, z. B. dadurch, daß im regionalen Maßstab Importe durch eigene Produkte ersetzt werden. In ihrer fast 40jährigen Geschichte ist die ASEAN bisher nicht in der Lage gewesen, Handelspolitik zur Förderung der eigenen Industrie einzusetzen, doch genau darauf sollte man sich als erstes konzentrieren, bevor man sich auf diese getrennten Freihandelsgespräche mit China einläßt. Formal laufen die Verhandlungen zwar zwischen der Allianz und Peking, aber faktisch werden sie von den einzelnen Ländern geführtDie ASEAN muß erst entwickelt und demokratisiert werden, andernfalls werden unsere Ökonomien zu einem bloßen Appendix der chinesischen Wirtschaft.
Denn bisher ist die Allianz nichts als ein Bündnis der regionalen Eliten. Wenn Sie in Thailand einen Bauern nach ASEAN fragen, dann wird er es vielleicht für eine neue Reissorte halten, während ein Student es wahrscheinlich eher für ein neues Kaugummi hält.

F: Nun gibt es seit einigen Jahren das Bestreben, aus der ASEAN eine Wirtschaftsunion zu machen. Zum Beispiel wurden die Binnenzölle für viele Waren bereits deutlich abgesenkt. Sehen Sie die ASEAN damit schon auf dem richtigen Weg?

Nein. So wie es bisher angelegt ist, wird es keine wirkliche Wirtschaftsunion geben. Die Zölle werden zwar gesenkt, aber damit ist keine strategische Perspektive verbunden. Man müßte zum Beispiel die Absenkung der Binnenzölle mit der Erhöhung der Abgaben an den Außengrenzen verbinden, um wirklich einen regionalen Markt zu schaffen. Es fehlt an einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie, an einer gemeinsamen Vision. Das ist das Problem mit der ASEAN, auf das wir seit Jahren hinweisen. Es fehlt an einer in sich stimmigen Industriepolitik, an einem kohärenten Plan für den Aufbau einer nachhaltigen Ökonomie und einer wirklichen Demokratisierung. Als es hieß, die ASEAN wolle Freihandelsgespräche mit China aufnehmen, habe ich gedacht, bei dem geringen Grad an Kooperation untereinander wird China sie einfach über den Tisch ziehen. In der ASEAN gibt es viel Zusammenarbeitsrhetorik aber kaum reale Kooperation.

F: Sie sprechen von der Demokratisierung der ASEAN. Meinen Sie auch die Zustände in einzelnen Mitgliedsländern, z. B. in Myanmar?

Sicherlich. Was Myanmar angeht, sollte dieses Land einfach ausgeschlossen werden. Die Aufnahme im Jahre 1997 war einer der schlimmsten Beschlüsse, den die ASEAN je gefällt hat. Vor allem Indonesiens damaliger Diktator Suharto hatte darauf gedrängt, um das Lager der autoritären Regierungen in der ASEAN zu stärken. Myanmar sollte solange, wie das Militär regiert, ausgeschlossen werden. Es handelt sich eindeutig um eine illegale Regierung, die die Partei, die 80 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte, von der Regierung fernhält. Solange das Militärregime ASEAN-Mitglied ist, wird die Allianz geschwächt werden. Die Zivilgesellschaft in den ASEAN-Mitgliedsländern ist sich daher einig, daß Myanmar ausgeschlossen werden muß.

F: Zurück zu China: Im Augenblick importiert die Volksrepublik mehr aus den ASEAN-Ländern, als sie dorthin exportiert. Das sieht derzeit für die ASEAN nicht so schlecht aus.

Auch die USA haben im Austausch mit den meisten ASEAN-Ländern ein Handelsbilanzdefizit, und selbst Japan ging es mit einigen Ländern zu bestimmten Zeiten so. Ich glaube nicht, daß das ein aussagekräftiger Indikator ist. Solange der Handel nicht reguliert wird, kann sich Chinas Defizit im Warenverkehr mit der ASEAN sehr schnell in einen strukturellen Überschuß verwandeln, und dann hätten unsere Produzenten ein ernsthaftes Problem.

F: Wie sieht die Struktur des Austauschs aus? Kann man von kolonialen Handelsbeziehungen in dem Sinne sprechen, daß von der ASEAN Rohprodukte aus- und Industrieprodukte eingeführt werden?

Ich würde die Beziehungen nicht als kolonial charakterisieren, da sie nicht mit Gewalt hergestellt wurden. Aber in der Tat gibt es in China eine große Nachfrage nach Energierohstoffen und Rohmaterialien für die Bauwirtschaft und die Industrie. Die ASEAN-Staaten exportieren also nicht so sehr Fertigwaren, sondern eher Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das eigentliche Problem sind jedoch die niedrigen Löhne in China, die Lohndifferenz zwischen China und den ASEAN-Ländern. Zwischen den Allianzstaaten gibt es selbst erhebliche Unterschiede im Grad der ökonomischen Entwicklung. Thailand und Malaysia sind weiter fortgeschritten, die Philippinen hingegen sind vor allem ein Exporteur von Arbeitskräften und elektronischen Komponenten, die mit wenig inländischer Wertschöpfung von schlecht bezahlten Arbeitern montiert werden. Mit Ausnahme von Thailand und Malaysia gibt es in keinem ASEAN-Staat eine nennenswerte Diversifizierung der Industrie.

F: Bedeutet das, daß die sozialen Bewegungen in den ASEAN-Staaten gegen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit China sind?

Ja. Die Zivilgesellschaft fordert eine Politik, die nicht der Wirtschaft das Kommando überläßt, sondern der Entwicklung unserer Länder die Priorität einräumt. Diese Perspektive fehlt bisher in den Verhandlungen. Dort geht es nur um Freihandel, ohne daß dessen Konsequenzen untersucht würden. Das Problem der zivilgesellschaftlichen Bewegungen ist allerdings, daß sie den Verhandlungen mehr Aufmerksamkeit schenken müßten. Wir haben uns viel um die Welthandelsorganisation WTO sowie um die Beziehungen mit Japan und mit den USA gekümmert. Aber nun wird es Zeit, daß wir uns der Herausforderung stellen, die die extreme »Wettbewerbsfähigkeit« Chinas aufgrund der niedrigen Löhne darstellt.

Uns geht es um mehr als bloß Handelsabkommen. Wir brauchen einen umfassenden Ansatz. Wie schon gesagt: Zuerst muß ASEAN gestärkt und demokratisiert werden, bevor zehn ASEAN-Staaten einzeln über ein Freihandelsabkommen mit China verhandeln.

F: Welche Auswirkungen haben die niedrigen Löhne in China auf die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung in der Region.

Ich sehe die große Gefahr, daß sogar unsere lokalen Unternehmer ihre Betriebe nach China verlagern. Wenn ausländische Investoren dies tun, kann das ja vielleicht sogar eher zu unserem Vorteil sein, im dem Sinne, daß wir dann mehr Kontrolle über unsere Wirtschaft haben. Aber wenn China für die lokalen Kapitalisten zu einer realen Option wird, dann können sie die Verlagerung als Keule gegen die Gewerkschaften einsetzen. Auf den Philippinen können wir genau das beobachten: Die Gewerkschaften wagen kaum noch, Lohnforderungen zu stellen.

F: Viele Linke in Südostasien haben für Jahrzehnte in China ein Modell gesehen. Sind diese Zeiten vorbei?

Ich glaube nicht, daß China noch ein Modell für fortschrittliche Kräfte in der Region ist. China opfert seine Umwelt, China benutzt billige Arbeitskraft, ohne sich um die Folgen zu kümmern, China orientiert seinen Aufbau ganz am westlichen Konsummodell. Besondere Sorgen macht uns, daß bei Chinas wirtschaftlicher Entwicklung von Nachhaltigkeit keine Rede sein kann. Das alles ist nicht bloß einen Frage der Vorbildfunktion. Die Richtung, die Chinas Entwicklung nimmt, wird einen großen Einfluß auf die Wirtschaft der Region haben.

Ich denke, daß wir einen Dialog mit China brauchen, um zu helfen, es auf einen sympathischeren Kurs zu bringen, der nicht auf der Ausbeutung billiger Arbeitskraft beruht und keine ausländischen Investoren für die Industrialisierung des Landes braucht. Wir müssen mit China sprechen, um damit zu einem nachhaltigeren Muster der Entwicklung zu kommen. Im Zentrum unserer Verträge mit China sollte die Nachhaltigkeit stehen. Die Frage ist, wie wir gemeinsam Asien nachhaltig entwickeln können, anstatt einem westlichen Hochgeschwindigkeits-Konsummodell hinterherzulaufen, das sehr zerstörerisch ist. Das wichtigste aber ist für uns in den ASEAN-Staaten im Augenblick, in den Beziehungen mit China genau hinzusehen. Wir kennen die Fallgruben der Handelspolitik aus den Beziehungen mit Japan, den USA und Europa, und wir wollen nicht, daß sich im Handel und in den Wirtschaftsbeziehungen mit China neue koloniale Verhältnisse herausbilden. Die chinesischen Technokraten machen sich keine Gedanken darüber, was für die Region gut ist. Sie denken nur an China. Also ist es an uns, auf unsere Interessen in den Verhandlungen zu achten.

F: In Deutschland kennt man Sie in der Linken und in der globalisierungskritischen Bewegung vor allem als scharfen Gegner des US-Imperialismus und des Irak-Krieges. Ein Teil der hiesigen Linken sieht allerdings in China den wichtigsten Antagonisten der USA und wird erstaunt sein, von Ihnen eine solche Position zu hören.

Ich halte es für positiv, daß China auf einigen Feldern als Gegengewicht zu den USA agiert. Länder können ein Gegengewicht zu den USA darstellen, wie die EU oder Frankreich und Deutschland, die im Falle des Irak-Kriegs eine positive Rolle gespielt haben. Aber das heißt nicht, daß wir deshalb Deutschland und Frankreich nicht mehr kritisieren. Sie bleiben imperialistische Mächte. Unsere Organisationen sollten nicht versuchen, sich wie Nationalstaaten auf dem diplomatischen Parkett zu bewegen, sondern sich ihre Unabhängigkeit bewahren. Gleichzeitig sollte uns klar sein, daß der Hauptfeind der Welt die USA sind. Es ist also eine große Herausforderung, die US-Regierung zu isolieren, dafür einige Aspekte in der Politik der EU und Chinas zu unterstützen, solange sie im Interesse der Völker sind, sie aber in anderen Punkten zu kritisieren.

F: In den meisten ASEAN-Ländern gibt es einen sehr gewalttätigen traditionellen Rassismus gegen die chinesischen Minderheiten.

In der Tat.

F: Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Pogromen, zuletzt im Sommer 1998 in Indonesien. Was erwarten Sie für die Zukunft?

Die chinesischen Minderheiten sind Teil unserer Gesellschaften. In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, daß Fraktionen der herrschenden Eliten, z. B. in Indonesien und auf den Philippinen, ihre Positionen verteidigten, indem sie antichinesische Politik betrieben. Das muß aufhören. Die chinesischen Minderheiten müssen vollständig integriert werden, so daß sie von sich selbst als Filipinos, als Thais und so weiter sprechen. Gleichzeitig sollten die chinesischen Minderheiten diese Integration ernst nehmen und den Interessen unserer gemeinsamen Gesellschaften Priorität geben, anstatt sich als Teil eines größeren China zu verstehen. Auf beiden Seiten muß es also einen Meinungswandel geben. Die wichtigste Rolle kommt dabei den demokratischen Bewegungen zu. Sie müssen in unseren Ländern eine Brücke in diesen ethnischen Konflikten bilden. Aber man muß damit rechnen, daß es immer Gruppen geben wird, die versuchen, diese Konflikte für ihre Zwecke anzuheizen.