* Walden Bello (geb. 1945) ist Professor für Soziologie in
Manila/Philippinen und Direktor des globalisierungskritischen Instituts
»Focus on the Global South« in Bangkok/Thailand. Er
gehörte zu den
Initiatoren der Weltsozialforen und trat international mit scharfer
Kritik gegen den Irak-Krieg hervor.
F: ASEAN, die 1967 gegründete Allianz
südostasiatischer Staaten, ist in den letzten Jahren mit neuem
Leben
erfüllt worden. Die zehn Mitgliedsländer Thailand, Myanmar,
Vietnam,
Laos, Brunei, Malaysia, Singapur, Indonesien, Philippinen und
Kambodscha wollen enger zusammenrücken. Über viele Jahrzehnte
waren die
Handelsbeziehungen in der Region unterentwickelt, da sich der
Außenhandel auf Europa, Japan und die USA konzentriert.
Mittlerweile
entwickelt sich der Warenaustausch mit China in einem beachtlichen
Tempo. Fährt der Zug in die richtige Richtung?
Wichtig für die Bewertung ist der Rahmen. Handel mit China ist
genauso
wie der mit den USA oder Europa nicht per se gut oder schlecht. Die
Frage ist, ob die Handelsbeziehungen aufgrund ihrer Struktur einseitig
den Stärkeren, in diesem Falle China, begünstigen oder ob sie
ausgewogen sind. Im Augenblick ist unser Problem, daß China
extrem
wettbewerbsfähig ist. Aufgrund geringer Lohnkosten kann China sehr
günstig produzieren und billige Waren nach Südostasien
exportieren.
Wenn es also keine starken Kontrollen des Handels mit China gibt,
könnten Landwirtschaft und Industrie in den ASEAN-Staaten
große Probleme bekommen.
Die ASEAN-Regierungen sprechen derzeit
mit China über Handelsverträge. Das Problem dabei ist,
daß jede für
sich verhandelt. Heraus kommen Abkommen, die sehr zum Vorteil Chinas
ausfallen, so daß unsere Märkte mit chinesischen Importen
überschwemmt
werden. Ich denke, daß die ASEAN,
bevor ihre
Mitglieder über Freihandelsverträge mit China sprechen, sich
zunächst
selbst als regionaler Block etablieren sollte. Nötig wäre
eine
gemeinsame Handelspolitik, die Entwicklung fördert, z. B. dadurch,
daß
im regionalen Maßstab Importe durch eigene Produkte ersetzt
werden. In
ihrer fast 40jährigen Geschichte ist die ASEAN
bisher nicht in der Lage gewesen, Handelspolitik zur Förderung der
eigenen Industrie einzusetzen, doch genau darauf sollte man sich als
erstes konzentrieren, bevor man sich auf diese getrennten
Freihandelsgespräche mit China einläßt. Formal laufen
die Verhandlungen
zwar zwischen der Allianz und Peking, aber faktisch werden sie von den
einzelnen Ländern geführtDie ASEAN
muß erst
entwickelt und demokratisiert werden, andernfalls werden unsere
Ökonomien zu einem bloßen Appendix der chinesischen
Wirtschaft.
Denn bisher ist die Allianz nichts als ein Bündnis der regionalen
Eliten. Wenn Sie in Thailand einen Bauern nach ASEAN
fragen, dann wird er es vielleicht für eine neue Reissorte halten,
während ein Student es wahrscheinlich eher für ein neues
Kaugummi hält.
F: Nun gibt es seit einigen Jahren das Bestreben, aus der ASEAN eine Wirtschaftsunion zu machen. Zum
Beispiel wurden die Binnenzölle für viele Waren bereits
deutlich abgesenkt. Sehen Sie die ASEAN
damit schon auf dem richtigen Weg?
Nein. So wie es bisher angelegt ist, wird es keine wirkliche
Wirtschaftsunion geben. Die Zölle werden zwar gesenkt, aber damit
ist
keine strategische Perspektive verbunden. Man müßte zum
Beispiel die
Absenkung der Binnenzölle mit der Erhöhung der Abgaben an den
Außengrenzen verbinden, um wirklich einen regionalen Markt zu
schaffen.
Es fehlt an einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie, an einer
gemeinsamen Vision. Das ist das Problem mit der ASEAN,
auf das wir seit Jahren hinweisen. Es fehlt an einer in sich stimmigen
Industriepolitik, an einem kohärenten Plan für den Aufbau
einer
nachhaltigen Ökonomie und einer wirklichen Demokratisierung. Als
es
hieß, die ASEAN wolle
Freihandelsgespräche
mit China aufnehmen, habe ich gedacht, bei dem geringen Grad an
Kooperation untereinander wird China sie einfach über den Tisch
ziehen.
In der ASEAN gibt es viel
Zusammenarbeitsrhetorik aber kaum reale Kooperation.
F: Sie sprechen von der Demokratisierung der ASEAN.
Meinen Sie auch die Zustände in einzelnen Mitgliedsländern,
z. B. in Myanmar?
Sicherlich. Was Myanmar angeht, sollte dieses Land einfach
ausgeschlossen werden. Die Aufnahme im Jahre 1997 war einer der
schlimmsten Beschlüsse, den die ASEAN
je gefällt hat. Vor allem Indonesiens damaliger Diktator Suharto
hatte
darauf gedrängt, um das Lager der autoritären Regierungen in
der ASEAN
zu stärken. Myanmar sollte solange, wie das Militär regiert,
ausgeschlossen werden. Es handelt sich eindeutig um eine illegale
Regierung, die die Partei, die 80 Prozent der Wählerstimmen
erhalten
hatte, von der Regierung fernhält. Solange das Militärregime ASEAN-Mitglied ist, wird die Allianz
geschwächt werden. Die Zivilgesellschaft in den ASEAN-Mitgliedsländern
ist sich daher einig, daß Myanmar ausgeschlossen werden muß.
F: Zurück zu China: Im Augenblick importiert die Volksrepublik
mehr aus den ASEAN-Ländern, als sie
dorthin exportiert. Das sieht derzeit für die ASEAN
nicht so schlecht aus.
Auch die USA haben im Austausch mit den meisten ASEAN-Ländern
ein Handelsbilanzdefizit, und selbst Japan ging es mit einigen
Ländern
zu bestimmten Zeiten so. Ich glaube nicht, daß das ein
aussagekräftiger
Indikator ist. Solange der Handel nicht reguliert wird, kann sich
Chinas Defizit im Warenverkehr mit der ASEAN
sehr schnell in einen strukturellen Überschuß verwandeln,
und dann hätten unsere Produzenten ein ernsthaftes Problem.
F: Wie sieht die Struktur des Austauschs aus? Kann man von kolonialen
Handelsbeziehungen in dem Sinne sprechen, daß von der ASEAN Rohprodukte aus- und Industrieprodukte
eingeführt werden?
Ich würde die Beziehungen nicht als kolonial charakterisieren, da
sie
nicht mit Gewalt hergestellt wurden. Aber in der Tat gibt es in China
eine große Nachfrage nach Energierohstoffen und Rohmaterialien
für die
Bauwirtschaft und die Industrie. Die ASEAN-Staaten
exportieren also nicht so sehr Fertigwaren, sondern eher Rohstoffe und
landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das eigentliche Problem sind jedoch
die niedrigen Löhne in China, die Lohndifferenz zwischen China und
den ASEAN-Ländern.
Zwischen den Allianzstaaten gibt es selbst erhebliche Unterschiede im
Grad der ökonomischen Entwicklung. Thailand und Malaysia sind
weiter
fortgeschritten, die Philippinen hingegen sind vor allem ein Exporteur
von Arbeitskräften und elektronischen Komponenten, die mit wenig
inländischer Wertschöpfung von schlecht bezahlten Arbeitern
montiert
werden. Mit Ausnahme von Thailand und Malaysia gibt es in keinem ASEAN-Staat eine nennenswerte Diversifizierung der
Industrie.
F: Bedeutet das, daß die sozialen Bewegungen in den ASEAN-Staaten gegen die Verhandlungen über
ein Freihandelsabkommen mit China sind?
Ja. Die Zivilgesellschaft fordert eine Politik, die nicht der
Wirtschaft das Kommando überläßt, sondern der
Entwicklung unserer
Länder die Priorität einräumt. Diese Perspektive fehlt
bisher in den
Verhandlungen. Dort geht es nur um Freihandel, ohne daß dessen
Konsequenzen untersucht würden. Das Problem der
zivilgesellschaftlichen
Bewegungen ist allerdings, daß sie den Verhandlungen mehr
Aufmerksamkeit schenken müßten. Wir haben uns viel um die
Welthandelsorganisation WTO sowie um die Beziehungen mit Japan und mit
den USA gekümmert. Aber nun wird es Zeit, daß wir uns der
Herausforderung stellen, die die extreme
»Wettbewerbsfähigkeit« Chinas
aufgrund der niedrigen Löhne darstellt.
Uns geht es um mehr als bloß Handelsabkommen. Wir brauchen einen
umfassenden Ansatz. Wie schon gesagt: Zuerst muß ASEAN gestärkt und demokratisiert werden,
bevor zehn ASEAN-Staaten einzeln über
ein Freihandelsabkommen mit China verhandeln.
F: Welche Auswirkungen haben die niedrigen Löhne in China auf die
Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung in der Region.
Ich sehe die große Gefahr, daß sogar unsere lokalen
Unternehmer ihre
Betriebe nach China verlagern. Wenn ausländische Investoren dies
tun,
kann das ja vielleicht sogar eher zu unserem Vorteil sein, im dem
Sinne, daß wir dann mehr Kontrolle über unsere Wirtschaft
haben. Aber
wenn China für die lokalen Kapitalisten zu einer realen Option
wird,
dann können sie die Verlagerung als Keule gegen die Gewerkschaften
einsetzen. Auf den Philippinen können wir genau das beobachten:
Die
Gewerkschaften wagen kaum noch, Lohnforderungen zu stellen.
F: Viele Linke in Südostasien haben für Jahrzehnte in China
ein Modell gesehen. Sind diese Zeiten vorbei?
Ich glaube nicht, daß China noch ein Modell für
fortschrittliche Kräfte
in der Region ist. China opfert seine Umwelt, China benutzt billige
Arbeitskraft, ohne sich um die Folgen zu kümmern, China orientiert
seinen Aufbau ganz am westlichen Konsummodell. Besondere Sorgen macht
uns, daß bei Chinas wirtschaftlicher Entwicklung von
Nachhaltigkeit
keine Rede sein kann. Das alles ist nicht bloß einen Frage der
Vorbildfunktion. Die Richtung, die Chinas Entwicklung nimmt, wird einen
großen Einfluß auf die Wirtschaft der Region haben.
Ich denke, daß wir einen Dialog mit China brauchen, um zu helfen,
es
auf einen sympathischeren Kurs zu bringen, der nicht auf der Ausbeutung
billiger Arbeitskraft beruht und keine ausländischen Investoren
für die
Industrialisierung des Landes braucht. Wir müssen mit China
sprechen,
um damit zu einem nachhaltigeren Muster der Entwicklung zu kommen. Im
Zentrum unserer Verträge mit China sollte die Nachhaltigkeit
stehen.
Die Frage ist, wie wir gemeinsam Asien nachhaltig entwickeln
können,
anstatt einem westlichen Hochgeschwindigkeits-Konsummodell
hinterherzulaufen, das sehr zerstörerisch ist. Das wichtigste aber
ist
für uns in den ASEAN-Staaten
im Augenblick, in den Beziehungen mit China genau hinzusehen. Wir
kennen die Fallgruben der Handelspolitik aus den Beziehungen mit Japan,
den USA und Europa, und wir wollen nicht, daß sich im Handel und
in den
Wirtschaftsbeziehungen mit China neue koloniale Verhältnisse
herausbilden. Die chinesischen Technokraten machen sich keine Gedanken
darüber, was für die Region gut ist. Sie denken nur an China.
Also ist
es an uns, auf unsere Interessen in den Verhandlungen zu achten.
F: In Deutschland kennt man Sie in der Linken und in der
globalisierungskritischen Bewegung vor allem als scharfen Gegner des
US-Imperialismus und des Irak-Krieges. Ein Teil der hiesigen Linken
sieht allerdings in China den wichtigsten Antagonisten der USA und wird
erstaunt sein, von Ihnen eine solche Position zu hören.
Ich halte es für positiv, daß China auf einigen Feldern als
Gegengewicht zu den USA agiert. Länder können ein
Gegengewicht zu den
USA darstellen, wie die EU oder Frankreich und Deutschland, die im
Falle des Irak-Kriegs eine positive Rolle gespielt haben. Aber das
heißt nicht, daß wir deshalb Deutschland und Frankreich
nicht mehr
kritisieren. Sie bleiben imperialistische Mächte. Unsere
Organisationen
sollten nicht versuchen, sich wie Nationalstaaten auf dem
diplomatischen Parkett zu bewegen, sondern sich ihre
Unabhängigkeit
bewahren. Gleichzeitig sollte uns klar sein, daß der Hauptfeind
der
Welt die USA sind. Es ist also eine große Herausforderung, die
US-Regierung zu isolieren, dafür einige Aspekte in der Politik der
EU
und Chinas zu unterstützen, solange sie im Interesse der
Völker sind,
sie aber in anderen Punkten zu kritisieren.
F: In den meisten ASEAN-Ländern gibt es
einen sehr gewalttätigen traditionellen Rassismus gegen die
chinesischen Minderheiten.
In der Tat.
F: Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Pogromen, zuletzt im
Sommer 1998 in Indonesien. Was erwarten Sie für die Zukunft?
Die chinesischen Minderheiten sind Teil unserer Gesellschaften. In der
Vergangenheit kam es immer wieder vor, daß Fraktionen der
herrschenden
Eliten, z. B. in Indonesien und auf den Philippinen, ihre Positionen
verteidigten, indem sie antichinesische Politik betrieben. Das
muß
aufhören. Die chinesischen Minderheiten müssen
vollständig integriert
werden, so daß sie von sich selbst als Filipinos, als Thais und
so
weiter sprechen. Gleichzeitig sollten die chinesischen Minderheiten
diese Integration ernst nehmen und den Interessen unserer gemeinsamen
Gesellschaften Priorität geben, anstatt sich als Teil eines
größeren
China zu verstehen. Auf beiden Seiten muß es also einen
Meinungswandel
geben. Die wichtigste Rolle kommt dabei den demokratischen Bewegungen
zu. Sie müssen in unseren Ländern eine Brücke in diesen
ethnischen
Konflikten bilden. Aber man muß damit rechnen, daß es immer
Gruppen
geben wird, die versuchen, diese Konflikte für ihre Zwecke
anzuheizen.