Lange Zeit gab es in China kaum eine entlegenere Provinz als Yunnan.
Eingeklemmt zwischen diversen Bergketten an der Grenze zu Myanmar und
Laos, die Hauptstadt weit, die boomende Küstenregion fern, lag die
Heimat zahlreicher ethnischer Minderheiten bis in jüngster Zeit im
Schatten der rasanten ökonomischen Entwicklung des Landes der
Mitte.
Auch jenseits der Grenze im Süden gab es wenig ökonomischen
Anreiz für
die chinesische Provinz mit ihren immerhin knapp 43 Millionen
Einwohnern auf einer Fläche etwas größer als der
Deutschlands. Die
Wirtschaft der angrenzenden Regionen Myanmars war viele Jahre durch
einen Guerillakrieg gelähmt, der andere Nachbarstaat, Laos, ist
mit nur
5,4 Millionen Einwohnern extrem dünn besiedelt und zudem
bitterarm.
Gerade 300 US-Dollar betrug dort das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner
im Jahre 2001. Auch der Norden Thailands ist nicht weit entfernt, aber
dort bietet sich das gleiche Bild wie in Yunnan: Fernab von Hauptstadt
und Küste war die Region aufgrund schlechter und langer
Verkehrswege
bis vor kurzem kaum erschlossen. Das einzige, was hier im Goldenen
Dreieck viele Jahrzehnte florierte, war der Mohnanbau. Das unwegsame,
bergige Gelände hat ihn begünstigt, wie es den
grenzüberschreitenden
Verkehr und Warenaustausch von jeher behindert und auf ein Minimum
beschränkt hat.
Die vollständige Abgeschiedenheit von Yunnans nordwestlichstem, an
Tibet grenzendem Distrikt Diqing inspirierte 1933 den englischen
Schriftsteller James Hilton zu seinem Roman »Lost Horizon«.
So
jedenfalls die Interpretation der Provinzregierung in Kunming. Hamilton
beschreibt in seinem seinerzeit aus dem Stand zum Bestseller
avancierten Buch ein mystisches, doch irdisches Paradies namens
Shangri-La, eine Mischung aus europäischen Tibet-Vorstellungen der
1920er und -30er Jahre und Sehnsüchten nach einer entrückten,
heilen
Welt, die auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise besonders
Konjunktur hatten.
Inzwischen ist Hamiltons Buch allerdings genauso Geschichte wie die
Abgeschiedenheit Shangri-Las alias Diqing oder des Goldenen Dreiecks.
Diqing ist seit Ende der 1990er ein Touristenmagnet – nicht
zuletzt
Dank des geschickten Einsatzes des Shangri-La-Mythos’ durch die
lokalen
Behörden –, und das Goldene Dreieck wird mit Riesenschritten
zur
Drehscheibe für den Warenaustausch zwischen Yunnan und Thailand.
Eine
Entwicklung, die ganz ins Bild eines boomenden Ost- und
Südostasiens
paßt.
Verbunden wird die Region bisher vor allem durch den Mekong, der in
Tibet entspringt, sich durch Yunnan schlängelt, für Laos und
Myanmar
die gemeinsame Grenze markiert, Thailand streift, um durch Laos,
Kambodscha und Vietnam zum Meer zu fließen. Allerdings war die
Verbindung bisher eher eine theoretische, denn der Mekong gehört
zwar
zu den großen Strömen des Planeten, doch zahlreiche
Stromschnellen am
mittleren Lauf machten ihn bisher für größere
Flußschiffe zwischen
Thailand und China unbefahrbar. Doch in den letzten Jahren wurden die
größten Hindernisse weggesprengt, so daß jetzt
300-Tonnen-Frachter von
Yunnan Chiang Saen, Thailands nördlichstem Mekong-Hafen, erreichen
können. Dort wird derzeit ein neuer Hafen gebaut, der in zwei
Jahren
noch größere Schiffe aufnehmen soll, wenn der Fluß
weiter ausgebaut
ist. Im Bau ist außerdem eine Autobahn, die den Hafen mit der
Provinzhauptstadt Chiang Rai verbindet.
Schon jetzt brummt der Handel in der Region. Nordthailand hat sich
binnen kürzester Zeit zum Tor für die Exporte aus Chinas
küstenfernen
Provinzen im Süden entwickelt. Die Waren werden auf LKW verladen
und zu
Thailands Hochseehäfen oder zu den Abnehmern bis ins ferne
Singapur
gefahren. Weitere Infrastrukturprojekte sind in der Planung: Für
eine
Straße durch Laos wollen Thailand, China und die Asiatische
Entwicklungsbank allein 80 Millionen Euro ausgeben, auch eine
Eisenbahnverbindung ist geplant, die, ebenfalls durch Laos
führend, das
chinesische Netz mit dem thailändischen verbinden soll.
Wie so oft, wenn viel Geld zu verdienen ist, ist es mit der
Folgenabschätzung der Bauvorhaben nicht weit her, zumal China und
Myanmar sich bisher nicht am Mekong River Council beteiligen.
Ähnlich
wie an vielen anderen großen Strömen haben sich in dieser
Organisation
die Anrainer zusammengeschlossen, um gemeinsam über das Management
des
Flusses zu beraten, von dessen Wasser und einzigartig reichhaltigen
Fischbeständen 55 bis 60 Millionen Menschen als Reisbauern und
Fischer
leben. Gerade auf diese Fischbestände könnten sich
Sprengungen und
Kanalisierung sehr nachteilig auswirken, da viele wichtige
Laichplätze
zerstört würden, wie Umweltschützer und Fischer in
Thailand und Laos
klagen.
Dabei ist die Entwicklung am mittleren Mekong nur ein Mosaiksteinchen
eines größeren Bildes. Weiter westlich arbeitet China an
einer
Verbindung entlang des Irawadi-Flusses durch Myanmar zum Golf von
Bengalen. Hafenrechte sind bereits erworben. Auch Verbindungen in
Indiens Nordosten sind vom Oberlauf des Irawadis geplant. Gleichzeitig
hat Indien in Myanmar bereits mit dem Bau einer
West-Ost-Fernstraße
begonnen, die das Gangestal mit dem Mekongdelta und Singapur verbinden
wird, und Myanmars Außenminister Win Aung schlug vor einem Jahr
vor,
die Route durch eine Eisenbahnverbindung von Kalkutta nach Hanoi zu
ergänzen. Die beiden asiatischen Riesen haben also einen Wettlauf
nach
Südostasien begonnen. Als Indiens Premier Atal Bihari Vajpayee im
letzten Sommer Peking besuchte, sprach man unter anderem auch
darüber,
inwieweit man bei den jeweiligen Projekten kooperieren kann. Zu viel
mehr als Absichtserklärungen ist es jedoch bisher nicht gekommen.
Derweil sind Laos und Nordthailand nicht nur Durchgangsstationen
für
chinesische Waren. Die Exporteure aus dem Norden nehmen auch die
lokalen Märkte ins Visier. Ein vor zwei Jahren mit Thailand
abgeschlossenes Freihandelsabkommen, das im Oktober 2003 in Kraft trat,
hat schnell begonnen, Früchte zu tragen. Und nicht nur das: Im
Gefolge
der Waren strömen Investoren und Einwanderer ins Land. Chinesen
betätigen sich in Laos und Thailand als Bauern, eröffnen
Restaurants
und Gesundheitsstationen, kaufen kleine Fabriken auf oder gründen
neue.
Seit Ende der 1990er ermutigt die chinesische Regierung private wie
staatliche Firmen aus dem Leichtindustriesektor, im Ausland zu
investieren. In Chiang Rai soll demnächst ein Industriepark unter
anderem für pharmazeutische Unternehmen eröffnen, für
den chinesische
Investoren, hauptsächlich aus Yunnan, bereits in den
Startlöchern
stehen.
Der Wandel hinterläßt seine Spuren im Straßenbild und
in den
Universitäten. Läden mit chinesischen Namensschildern sind in
der
Provinzhauptstadt keine Seltenheit mehr, berichtet die
thailändische
Zeitung The Nation. Sprachschulen für Putonghua, die chinesische
Hochsprache, würden wie Pilze nach einem Sommerregen aus dem Boden
schießen. An der örtlichen Universität wurde mit dem
Äquivalent von 1,4
Millionen Euro aus China ein Zentrum für chinesische Sprache
eingerichtet, das Akademiker aus allen Ländern der Grenzregion
anziehen
soll.
Reibungen sind bei einem derart rasanten Entwicklungstempo
unvermeidlich. The Nation berichtet über Klagen
thailändischer Schiffer
und Bauern. Die einen beschweren sich über das
Flußmanagement der
Chinesen, die mit ihren Dämmen am Oberlauf den Wasserstand im
Mekong zu
niedrig für vollbeladene Fahrten flußaufwärts hielten.
Die anderen
klagen über die neue Konkurrenz. Landwirtschaftliche Produkte aus
China
sind deutlich billiger und verdrängen heimische Erzeugnisse.
Ausfuhren
in den Norden würden durch chinesische Hygienevorschriften und
Mehrwertsteuer erschwert. Dennoch ist die neue Verbindung keine
Einbahnstraße. Thailands Ausfuhren zum großen Nachbarn
haben allein im
letzten Jahr um über 50 Prozent zugenommen. Noch kann es einen
Handelsbilanzüberschuß verbuchen, doch beginnt dieser zu
schrumpfen.
Was sich derzeit im Vierländereck im Norden Thailands abspielt,
ist nur
ein kleines Abbild jener atemberaubenden Entwicklung, die ganz
Südostasien und seine Nachbarn, vor allem China, erfaßt hat.
Waren die
Staaten bis Ende der 1990er noch vollkommen auf den Export in die
reichen Industriestaaten ausgerichtet und der Handel untereinander
unterentwickelt, so hat im Jahre 2003 der innerregionale Warenaustausch
erstmalig das Übergewicht gewonnen. Gravitationszentrum des sich
formierenden Wirtschaftsraumes ist für den Augenblick eindeutig
China,
obwohl Indien das Potential hat, irgendwann im nächsten Jahrzehnt
zum
einstigen Erzrivalen aufzuschließen. Zur Zeit ist es jedoch vor
allem
Chinas unersättlicher Bedarf an Erdöl und Rohstoffen aller
Art, der das
Wirtschaftswachstum bei seinen Nachbarn antreibt. Allein 2003 legte der
Warenaustausch der in der ASEAN
zusammengeschlossenen südostasiatischen Staaten (Myanmar,
Thailand,
Laos, Kambodscha, Vietnam, Malaysia, Singapur, Brunei, Philippinen und
Indonesien) mit dem Land der Mitte um rund 40 Prozent auf 65 Milliarden
Euro zu (nach aktuellem Kurs). Zehn Jahre zuvor waren es erst vier
Milliarden Euro gewesen.
Damit stellen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts alte, über viele
Jahrhunderte gewachsene Handelsbeziehungen wieder her, die vor
über 150
Jahren von den europäischen Kolonialmächten und später
von deren
US-amerikanischen Erben zerstört worden waren. Als einst die
ersten
portugiesischen und spanischen Schiffe im 16. Jahrhundert in den
südostasiatischen Archipelen auftauchten, fanden sie ein hoch
entwickeltes Fernhandelsnetz vor, das Südchina mit Java, Siam (das
heutige Thailand) und dem indischen Subkontinent verband. Über
Jahrhunderte spielten die »Langnasen« – oder auch
»fremden Teufel«, wie
man in Südchina die Europäer noch heute gerne nennt –
in diesem von
japanischen, chinesischen und arabischen Händlern dominierten
Treiben
nur eine untergeordnete Rolle. Die Eindringlinge eroberten zwar
Stützpunkte, doch traten sie eher als Konsumenten asiatischer
Waren und
Dienstleistungen auf, als daß sie großen Profit aus dem
Kontinent
ziehen konnten. Gezahlt wurde mit dem in Amerika geraubten Gold und vor
allem Silber. Europäische Handelswaren konnten auf den asiatischen
Märkten hingegen keine Stiche machen: zu teuer und von zu
schlechter
Qualität. Erst mit Beginn der industriellen Revolution ab 1800
wendete
sich das Blatt. Die Eindringlinge erlangten militärische
Übermacht und
konnten Handelswege und -bedingungen zu ihrem Vorteil umgestalten.
Daß diese Ära nun zu Ende geht, mußten EU und USA
schon auf der letzten
Ministertagung der Welthandelsorganisation 2003 im mexikanischen
Cancún
feststellen, als sie sich die Zähne am freundlichen, aber
beinharten
und gut koordinierten Widerstand einer Gruppe führender
Schwellenländer
ausbissen, die sich um China, Brasilien und Südafrika gesammelt
hatten.
Nun zeigen auch die Handelsstatistiken, daß sich fernab der alten
Metropolen ein neues Zentrum der Weltwirtschaft herauszubilden beginnt,
ein Zentrum, das bis nach Lateinamerika und sogar bis nach Afrika
ausstrahlt, wie die aktive Außenpolitik Pekings gegenüber
dem
»vergessenen Kontinent« zeigt.
Derweil hat sich in Südostasien der Blick auf den großen
Nachbarn im
Norden dramatisch geändert. Noch im Juli 2002 hatte Malaysias
damaliger
Premierminister Mahathir bin Mohamad in einem Interview mit dem
japanischen Magazin Nikkei Weekly gemeint: »China ist eine
ökonomische
Bedrohung für Südostasien. Schon heute, weil es
ausländische
Direktinvestitionen anzieht, die bei uns fehlen, und demnächst
wird es
auch noch unseren Produkten auf dem Weltmarkt Konkurrenz machen.«
Damit
drückte er die seinerzeit noch vorherrschenden Ängste aus.
Knapp zwei
Jahre später ein gänzlich anderes Bild: »China ist
heute eine Quelle
von Prosperität allerhöchster Ordnung«, meinte
unlängst Mahathirs
Nachfolger Abdullah Ahmad Badawi gegenüber der US-amerikanischen
The
Seattle Times. »Politische und soziale Verbindungen werden
schnell
folgen. Deshalb ist es wichtig, daß wir jede Gelegenheit nutzen,
um die
Kontakte auszubauen.«
Dazu gehören auch Büros, die Thailand, Malaysia und Singapur
im letzten
Jahr in China eröffnet haben, um chinesische Investoren
anzuziehen.
Denn China hat nicht nur alle Erwartungen der Exporteure seiner
südlichen Nachbarn übertroffen, die »den Drachen
füttern« und dabei
einen Handelsbilanzüberschuß von zuletzt knapp sieben
Milliarden Euro
erzielten. Es entwickelt sich für die Region auch nach und nach zu
einer wichtigen Quelle ausländischer Direktinvestitionen. Die
Volksrepublik ist nämlich mit knapp 50 Milliarden Euro pro Jahr
nicht
nur einer der weltweit größten Empfänger
ausländischer
Direktinvestitionen, sondern hat sich in den letzten Jahren auch zum
Kapitalexporteur gemausert, der inzwischen rund 29 Milliarden Euro in
aller Welt investiert hat.
Thailand, das neben Singapur der wichtigste Empfänger chinesischer
Investitionen ist, hat davon seit 1999 etwa 250 Millionen Euro
angezogen. Die Zahlen der Ministerien in Peking und Bangkok spiegeln
allerdings nur den genehmigten Kapitalfluß wieder, der meist auf
das
Konto staatlicher Betriebe geht, und untertreiben daher eher. Der
private Kapitaltransfer läßt sich weit schwieriger
kontrollieren und
läuft oft über illegale Kanäle, das heißt ohne die
erforderliche
Genehmigung der jeweiligen Provinzbehörden. Ende der 1990er, zur
Zeit
der Asienkrise, ist zum Beispiel nach Schätzungen verschiedener
Wirtschaftswissenschaftler Fluchtkapital in Höhe von 30 bis 40
Milliarden Euro aus China abgeflossen. Einiges davon könnte
angesichts
der großen Geschäftsmöglichkeiten über Umwege in
Südostasien gelandet
sein. Allerdings zeigen auch die offiziellen Statistiken, daß
sich der
chinesische Kapitalexport nach Südostasien in den letzten beiden
Jahren
stark beschleunigt hat.
Die chinesischen Investitionen werden in den
Empfängerländern durch
Netzwerke ethnisch chinesischer Geschäftsleute begünstigt.
Seit dem 15.
Jahrhundert oder noch früher sind chinesische Bauern, Handwerker
und
Händler in den Süden ausgewandert. Spanische Eroberer trafen
schon im
16. Jahrhundert in Manila auf eine große chinesische Gemeinde.
Viele
der Auswanderer-Nachfahren sind heute längst assimiliert. In
Thailands
Hauptstadt Bangkok zum Beispiel hat ein erheblicher Teil der
Bevölkerung chinesische Vorfahren.
Zugleich gehören die Chinesen im globalen Vergleich zu den –
im
kulturellen Sinne – konservativsten Migrantengruppen. Viele haben
über
zehn Generationen und länger Sprache und Identifikation mit der
chinesischen Kultur bewahrt. Lebhafte Handelsbeziehungen zwischen den
Ländern haben dazu ebenso beigetragen, wie eine ausgeprägte
Schriftkultur, eigene Schulen und der ständige Nachzug neuer
Einwanderer. Als ein Ergebnis dieser jahrhundertelangen
Migrationsgeschichte haben heute alle Länder der Region
große
chinesische Minderheiten.
Vor allem in den vergleichsweise zurückgebliebenen Gebieten wie
der
malaysischen Halbinsel oder den Philippinen haben die Einwanderer
manches zum wirtschaftlichen Gedeihen beigetragen. Zugleich hat es aber
auch immer wieder Spannungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen
gegeben. Europäische Kolonialmächte haben die
Widersprüche nach dem
Prinzip »teile und herrsche« gepflegt, doch gab es
antichinesische (und
antijapanische) Pogrome schon in vorkolonialer Zeit.
Angesichts dessen ist die oben zitierte Aufforderung des neuen
malaysischen Premiers, politische und soziale Beziehungen mit China
auszubauen, geradezu revolutionär. Gerade in Malaysia wird bis auf
den
heutigen Tag die malaysische Mehrheitsbevölkerung (65 Prozent)
gegenüber den 27 Prozent Chinesen und den anderen Minderheiten
eindeutig bevorzugt. Ihre Religion, der Islam, ist sogar
Staatsreligion. 1965 hat man in einem wahrscheinlich historisch
einmaligen Vorgang Singapur aus der malaysischen Föderation
ausgeschlossen, unter anderem weil es von Chinesen dominiert ist und
durch den Ausschluß das Übergewicht der Malayen abgesichert
werden
sollte.
Auch beim Nachbar Indonesien sitzt das Ressentiment gegen die fünf
bis
sechs Millionen Chinesen im Lande tief. 1965 bis 1967 fielen mehrere
Hunderttausend von ihnen blutigen Pogromen zum Opfer. Und dieser Tage
jähren sich erst zum sechsten Mal grausame Ausschreitungen gegen
Chinesen in Jakarta und anderen Großstädten, seinerzeit von
Militärkreisen organisiert, um die sozialen Spannungen und
politischen
Proteste gegen den abgehalfterten und schließlich entmachteten
Diktator
Suharto umzulenken.
Auf dem Weg zur wirtschaftlichen Integration der Region, die mit aller
Macht begonnen hat, liegt also noch mancher Stolperstein. Unter den
gegebenen marktwirtschaftlichen Vorzeichen unvermeidliche soziale
Spannungen, könnten leicht in ethnische oder nationalistische
Konflikte
umgewandelt werden. Zum Glück ist sich die Führung in Peking
der
Probleme und der Ängste seiner Nachbarn wegen Chinas
Übermacht bewußt.
Entsprechend umsichtig agiert die chinesische Diplomatie. Ob die
Regierung im fernen Peking aber in der vorherrschenden
Goldgräber-Stimmung die Entwicklung wirklich kontrollieren kann,
ist
durchaus ungewiß.