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21.10.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Einträgliche Fitneßkur

Chinesische Staatsbank organisiert größte Aktienemission der Geschichte und kann dennoch die Nachfrage nicht annähernd befriedigen

Von Wolfgang Pomrehn

Ungewöhnliche Szenen spielten sich diese Woche vor Hongkongs Banken ab. Anleger prügelten sich um Plätze in der Schlange, um Aktien der ­Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) zu ergattern. Mit der ICBC hat die dritte der vier großen staatlichen Banken der Volksrepublik den Gang an die Börse gewagt. Mit einem Anlagevermögen von umgerechnet rund 640 Milliarden Euro ist die ICBC Chinas größte Bank.

Am nächsten Freitag sollen rund 50 Milliarden Aktien ausgegeben werden. Derzeit können Privatanleger ihre Bestellungen aufgeben, und das Interesse ist wie zuvor schon bei den institutionellen Anlegern enorm: Die Emission wurde 20fach überzeichnet. Für rund 176 Milliarden Euro lagen am Donnerstag Kaufanträge vor, berichtet die International Herald Tribune. Der Ausgabepreis werde daher am oberen Ende der angekündigten Spanne liegen, und die ICBC könne an den Börsen in Shanghai und Hongkong vermutlich 17 Milliarden Euro einsammeln. In Shanghai, wo die Zeichnung zeitgleich zu Hongkong eröffnet wurde, war der Andrang nicht geringer. Unschöne Szenen blieben jedoch aus: In der Yangtse-Metropole wurde der Handel elektronisch abgewickelt.

Berge fauler Kredite

Der ICBC-Börsengang ist nicht nur der größte in der internationalen Börsengeschichte, sondern in gewisser Weise auch einer der kuriosesten. Chinas Banken gelten nämlich als alles andere denn solide. Jahrelang haben sie Berge sogenannter fauler Kredite vor sich hergeschoben. Politische Einflußnahme und schlechtes Management haben dazu geführt, daß in den vergangenen Boomjahren vor allem seit Anfang der 1990er viele Kredite ohne die nötige Deckung vergeben wurden. 1999 schuf die Regierung vier große Anlagegesellschaften, die die faulen Kredite von den Banken übernehmen sollten. Kredite in Höhe von 184 Milliarden Euro (nach heutigem Kurs) wurden übernommen. Die Banken bekamen in mehreren Schritten Zuschüsse in Höhe von rund 50 Milliarden Euro.

Für die Anleger in Hongkong und Shanghai reicht das offensichtlich, um genug Vertrauen auf künftige Gewinne zu haben. In den letzten Monaten hatten bereits andere staatliche Großbanken aus der Volksrepublik mit dem Verkauf von Minderheitsanteilen großen Erfolg gehabt. Die China Construction Bank, gemessen an der Summe der vergebenen Kredite noch größer als die ICBC, hatte mit Aktienemissionen bereits im Oktober 2005 in Hongkong rund 7,4 Milliarden Euro mobilisieren können. Ihre Wertpapiere haben seitdem um 54 Prozent zugelegt. Noch stürmischer hat sich der Kurs der deutlich kleineren Bank of Communications entwickelt, die im Juni an der Hongkonger Börse rund 1,8 Milliarden Euro eingesammelt hat. Der Wert ihrer Aktien hat sich seitdem mehr als verdoppelt. Insgesamt haben staatseigene Banken aus der Volksrepublik seit Sommer 2005 bereits 20 Milliarden Euro an der Hongkonger Börse erzielt.

Dennoch warnen einige Beobachter vor den schlummernden Risiken des chinesischen Bankgeschäfts. Zuo Xiaolei, Chefvolkswirt von Galaxy Securities, urteilte zudem gegenüber Nachrichtenagenturen, die in den letzten Jahren erfolgte Kapitalzufuhr durch die Regierung sei das falsche Signal: »Die ausländischen Investoren wissen jetzt, daß, solange die Regierung nicht bankrott ist, die Banken nicht pleite machen können.«

Kapitalismustraining

Auch die chinesische Führung denkt vor allem an die Probleme des Bankensektors, wenn sie ihre Unternehmen an die Börse von Hongkong drängt. Die Exkolonie untersteht zwar der Pekinger Oberhoheit, gilt jedoch ökonomisch als Ausland. Der Vorposten des ungezügelten Kapitalismus in der Region verfügt seit langem über ein ausgereiftes Ak­tienrecht, das den Aktiengesellschaften für chinesische Verhältnisse strenge Standards in Sachen Buchführung und Überwachung des Managements auferlegt.

Der Börsengang, so die Rechnung der chinesischen Führung, erhöht also den Druck auf die Banken, ökonomisch zu wirtschaften und Management sowie Finanzen transparenter zu gestalten. Er ist offenbar Teil einer staatlich verordneten Fitneßkur, die die chinesischen Finanzinstitute auf den internationalen Konkurrenzkampf vorbereiten soll. Die Volksrepublik hat sich nämlich im Rahmen ihres Beitritts zur Welthandelsorganisation WTO verpflichtet, ab dem 1. Januar 2007 ausländischen Banken die Eröffnung von Filialen zu erlauben.

In diesem Zusammenhang ist auch die Suche chinesischer Großbanken nach Bank-Know-how im Ausland zu sehen. Finanzkonzerne wie die deutsche Allianz, die britische Royal Bank of Scotland oder die Schweizer UBS stehen Schlange, um als sogenannte strategische Investoren in chinesische Banken einzusteigen. Eine ganze Reihe entsprechender Deals wurde bereits abgeschlossen, was zum Teil für Unmut in der chinesischen Öffentlichkeit sorgte: Ein Ausverkauf wird befürchtet. Doch eine Kontrolle der Banken durch ausländische Unternehmen ist ausgeschlossen. Nur 25 Prozent der Anteile einer Bank dürfen von Ausländern gehalten werden, und ein einzelner ausländischer Investor darf nicht mehr als 20 Prozent besitzen.