Ungewöhnliche Szenen spielten sich diese Woche vor Hongkongs
Banken ab.
Anleger prügelten sich um Plätze in der Schlange, um Aktien
der
Industrial and Commercial Bank of
China
(ICBC) zu ergattern. Mit der ICBC hat die dritte der vier großen
staatlichen Banken der Volksrepublik den Gang an die Börse gewagt.
Mit
einem Anlagevermögen von umgerechnet rund 640 Milliarden Euro ist
die
ICBC
Chinas größte Bank.
Am nächsten
Freitag sollen rund 50 Milliarden Aktien ausgegeben werden. Derzeit
können Privatanleger ihre Bestellungen aufgeben, und das Interesse
ist
wie zuvor schon bei den institutionellen Anlegern enorm: Die Emission
wurde 20fach überzeichnet. Für rund 176 Milliarden Euro lagen
am
Donnerstag Kaufanträge vor, berichtet die International Herald
Tribune.
Der Ausgabepreis werde daher am oberen Ende der angekündigten
Spanne
liegen, und die ICBC könne an den Börsen in Shanghai und
Hongkong
vermutlich 17 Milliarden Euro einsammeln. In Shanghai, wo die Zeichnung
zeitgleich zu Hongkong eröffnet wurde, war der Andrang nicht
geringer.
Unschöne Szenen blieben jedoch aus: In der Yangtse-Metropole wurde
der
Handel elektronisch abgewickelt.
Berge fauler Kredite
Der ICBC-Börsengang ist nicht nur der
größte in der internationalen Börsengeschichte, sondern
in gewisser
Weise auch einer der kuriosesten.
Chinas
Banken gelten nämlich als alles andere denn solide. Jahrelang
haben sie
Berge sogenannter fauler Kredite vor sich hergeschoben. Politische
Einflußnahme und schlechtes Management haben dazu geführt,
daß in den
vergangenen Boomjahren vor allem seit Anfang der 1990er viele Kredite
ohne die nötige Deckung vergeben wurden. 1999 schuf die Regierung
vier
große Anlagegesellschaften, die die faulen Kredite von den Banken
übernehmen sollten. Kredite in Höhe von 184 Milliarden Euro
(nach
heutigem Kurs) wurden übernommen. Die Banken bekamen in mehreren
Schritten Zuschüsse in Höhe von rund 50 Milliarden Euro.
Für die
Anleger in Hongkong und Shanghai reicht das offensichtlich, um genug
Vertrauen auf künftige Gewinne zu haben. In den letzten Monaten
hatten
bereits andere staatliche Großbanken aus der Volksrepublik mit
dem
Verkauf von Minderheitsanteilen großen Erfolg gehabt. Die
China
Construction Bank, gemessen an der Summe der vergebenen Kredite noch
größer als die ICBC, hatte mit Aktienemissionen bereits im
Oktober 2005
in Hongkong rund 7,4 Milliarden Euro mobilisieren können. Ihre
Wertpapiere haben seitdem um 54 Prozent zugelegt. Noch stürmischer
hat
sich der Kurs der deutlich kleineren Bank of Communications entwickelt,
die im Juni an der Hongkonger Börse rund 1,8 Milliarden Euro
eingesammelt hat. Der Wert ihrer Aktien hat sich seitdem mehr als
verdoppelt. Insgesamt haben staatseigene Banken aus der Volksrepublik
seit Sommer 2005 bereits 20 Milliarden Euro an der Hongkonger
Börse
erzielt.
Dennoch warnen einige Beobachter vor den schlummernden
Risiken des chinesischen Bankgeschäfts. Zuo Xiaolei, Chefvolkswirt
von
Galaxy Securities, urteilte zudem gegenüber Nachrichtenagenturen,
die
in den letzten Jahren erfolgte Kapitalzufuhr durch die Regierung sei
das falsche Signal: »Die ausländischen Investoren wissen
jetzt, daß,
solange die Regierung nicht bankrott ist, die Banken nicht pleite
machen können.«
Kapitalismustraining
Auch die chinesische Führung denkt vor
allem an die Probleme des Bankensektors, wenn sie ihre Unternehmen an
die Börse von Hongkong drängt. Die Exkolonie untersteht zwar
der
Pekinger Oberhoheit, gilt jedoch ökonomisch als Ausland. Der
Vorposten
des ungezügelten Kapitalismus in der Region verfügt seit
langem über
ein ausgereiftes Aktienrecht, das den Aktiengesellschaften
für
chinesische Verhältnisse strenge Standards in Sachen
Buchführung und
Überwachung des Managements auferlegt.
Der
Börsengang, so die Rechnung der chinesischen Führung,
erhöht also den
Druck auf die Banken, ökonomisch zu wirtschaften und Management
sowie
Finanzen transparenter zu gestalten. Er ist offenbar Teil einer
staatlich verordneten Fitneßkur, die die chinesischen
Finanzinstitute
auf den internationalen Konkurrenzkampf vorbereiten soll. Die
Volksrepublik hat sich nämlich im Rahmen ihres Beitritts zur
Welthandelsorganisation WTO verpflichtet, ab dem 1. Januar 2007
ausländischen Banken die Eröffnung von Filialen zu erlauben.
In
diesem Zusammenhang ist auch die Suche chinesischer Großbanken
nach
Bank-Know-how im Ausland zu sehen. Finanzkonzerne wie die deutsche
Allianz, die britische Royal Bank of Scotland oder die Schweizer UBS
stehen Schlange, um als sogenannte strategische Investoren in
chinesische Banken einzusteigen. Eine ganze Reihe entsprechender Deals
wurde bereits abgeschlossen, was zum Teil für Unmut in der
chinesischen
Öffentlichkeit sorgte: Ein Ausverkauf wird befürchtet. Doch
eine
Kontrolle der Banken durch ausländische Unternehmen ist
ausgeschlossen.
Nur 25 Prozent der Anteile einer Bank dürfen von Ausländern
gehalten
werden, und ein einzelner ausländischer Investor darf nicht mehr
als 20
Prozent besitzen.