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22.08.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Privatsektor boomt

Chinas Staatswirtschaft verliert an Bedeutung

Von Wolfgang Pomrehn

Die Weltbank ist mit der Entwicklung der chinesischen Wirtschaft hochzufrieden, wie ihrem Quartalsbericht über das Land der Mitte zu entnehmen ist, der letzte Woche veröffentlicht wurde. Das Wirtschaftswachstum hat 2006 bisher deutlich über den hohen Erwartungen gelegen, so daß für das Gesamtjahr ein Wachstum von 10,4 Prozent vorhergesagt wird. Nur die Art des Wachstums macht den Bankern aus Washington ein klein wenig Sorge: Zuviel Industrie, zuwenig Dienstleistungen. Das Verhältnis sei nicht richtig ausbalanciert. Außerdem heißen die Motoren des Daueraufschwungs weiter Außenhandel sowie Investitionen in neue Fertigungsanlagen und nicht Konsum. Der nimmt zwar ebenfalls kräftig zu, bleibt aber immer hinter den Wachstumsraten der anderen Faktoren zurück. Die neue Politik der chinesischen Führung, die mehr auf die Stärkung des Binnenmarktes setzen will, hat noch nicht richtig gegriffen.

Ähnliches gilt für die Umweltpolitik. Die Weltbank hat einen Index entwickelt, der den Verbrauch natürlicher Ressourcen mißt, darunter auch der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Weiter gehen die Verschmutzung von Luft und Wasser in die Bewertung, die ein Maß für die Nachhaltigkeit der Wirtschaftsweise sein soll. In einer von der Weltbank aufgestellten Rangliste von 146 Staaten landet die Volksrepublik nur auf Platz 133. Die extrem schlechte Luft in vielen chinesischen Städten und die katastrophalen Wasserprobleme sind inzwischen legendär. Auch hier hat die neue Politik, die auf mehr Qualität statt Quantität setzen will, noch keine im Landesmaßstab spürbaren Erfolge gebracht.

Lob von der Weltbank

Sehr angetan ist man bei der Weltbank hingegen von der Entwicklung der chinesischen Privatwirtschaft: »Eine der chinesischen Stärken ist die starke Betonung, die seine Regierung auf das Wachstum des Privatsektors legt«, meint Lars Thunell von der Weltbankabteilung für finanzielle Zusammenarbeit. »Viele Regierungen in aller Welt sprechen über die Notwendigkeit der Entwicklung des privaten Sektors, aber wenige sind so erfolgreich wie die chinesische.« Privatunternehmen investieren mehr als staatseigene, und sie konnten ihre Exporte deutlich stärker ausweiten als diese. Zugleich nimmt die Ungleichheit in der chinesischen Gesellschaft weiter zu. Zwar sind die Einkommen städtischer Arbeiter und Angestellter im ersten Halbjahr 2006 im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 14 Prozent gestiegen, die Profite chinesischer Unternehmen sind allerdings im Mittel um 28 Prozent gewachsen. Nach Angaben der Weltbank war der Gewinnzuwachs im Privatsektor tendenziell am höchsten, genauere Angaben werden nicht gemacht.

Zu den Zielen der Kooperation der Weltbank mit China gehört unter anderem auch die Stärkung der Markwirtschaft und privater ökonomischer Institutionen. Daneben werden Kredite für Armutsbekämpfung, Infrastrukturmaßnahmen und Umweltschutz vergeben. Für China ist die Zusammenarbeit attraktiv, da die Weltbankgelder zu besonders günstigen Konditionen verliehen werden. Deshalb nimmt Peking die Kredite gerne mit, obwohl es inzwischen über die weltweit größten Reserven an ausländischen Devisen verfügt, in Geld also schwimmt. Hintergrund des Weltbankengagements in der Volksrepublik ist die Tatsache, daß China mit einem Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt von nur knapp 1400 Euro noch immer zu den Entwicklungsländern zählt.

Qualitätsoffensive

Zu den Überraschungen der jüngsten Entwicklung gehörte der Außenhandel. Trotz einer beginnenden Abschwächung beim wichtigsten Wirtschaftspartner, den USA, hat der chinesische Export weiter kräftig zugelegt und allein zweieinhalb Prozentpunkte zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Gleichzeitig sind die chinesischen Importe trotz steigender Preise für Rohstoffe und fossile Energieträger etwas langsamer gewachsen als die Ausfuhren, so daß die Volksrepublik Rekordüberschüsse erzielte. Im Gegensatz zu Deutschland, das seit Jahrzehnten durch seine inzwischen exorbitanten Handelsbilanzüberschüsse für Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft sorgt, ist das für China allerdings eine sehr neue Entwicklung. Erklärtes Ziel der Regierung ist es zudem, das Verhältnis ausgeglichener zu gestalten. Man stelle sich einmal vor, Bundeswirtschaftsminister Gloss würde verkünden, die Kaufkraft der deutschen Konsumenten solle gestärkt werden, damit auch die Nachbarländer an den Erfolgen der hiesigen Exportwirtschaft teilhaben können.

Der chinesische Handelsbilanzüberschuß ist allerdings auch ein Ergebnis der technologischen Aufholjagd. Der Anteil der importierten Vorprodukte in den Ausfuhren nimmt rasch ab. Autoteile und elektronische Komponenten für die besonders boomende Hightech-Industrie werden zunehmend im Lande gefertigt. Hinzu kommt eine Diversifizierung der Ausfuhren und eine rasche Qualitätzunahme. Die Volksrepublik kopiert sehr erfolgreich das Entwicklungsmodell der sogenannten asiatischen Tiger, die ab den 1960er Jahren zunächst im Billigsektor ihre Kapital- und Know-how-Akkumula­tion begonnen und dann schrittweise zu den Industriestaaten aufgeschlossen haben.