home
02.08.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Weniger ist mehr

China will seine Abhängigkeit von Billigexporten vermindern

Von Wolfgang Pomrehn
Schlechte Zeiten für Chinas Billigexporteure. Die Regierung in Peking hat angekündigt, die Steuernachlässe für Betriebe mit geringer Fertigungstiefe oder hohem Energieaufwand zu reduzieren. Die Maßnahmen waren 1985 eingeführt worden und hatten erheblich zum Erfolg der chinesischen Exportwirtschaft beigetragen. Nun sollen in den Sektoren Textilien, Eisen, Stahl und Metallverarbeitung die Nachlässe deutlich gekürzt werden. Erhöht werden sie hingegen für die High-Tech-Industrie wie die Elektronikbranche. China war 2005 zum weltgrößten Exporteur für Elektronikprodukte avanciert, importiert allerdings seinerseits bisher noch einen erheblichen Teil der höherwertigen Komponenten.

Durch die Umorientierung der Exportförderung will die Regierung mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: So geht es darum, zum technischen Niveau der Industriestaaten aufzuschließen. Dabei ist ein zu großes Gewicht des Niedriglohnsektors eher hinderlich, weil bei Billiglöhnen der Anreiz zur Produktivitätssteigerung zu gering ist. Außerdem sind Chinas Textilexporte mit dem Auslaufen des internationalen Quotensystems am 1. Januar 2005 förmlich explodiert. Das hat nicht nur zu manchen unwillkommenen Reibereien mit wichtigen Handelspartnern in Nordamerika und Europa geführt, sondern auch in einigen Entwicklungsländern wie Bangladesch und Südafrika zahlreiche Konkurse und Massenentlassungen verursacht. Außerdem hat die Umweltverschmutzung in der Volksrepublik aufgrund des raschen Wirtschaftswachstums inzwischen katastrophale Ausmaße angenommen. Die Steuersubventionen für besonders energieintensive Branchen einzuschränken, ist daher ein naheliegender Schritt.

Unternehmen liquide

Des weiteren will man in Peking das Verhältnis von Importen und Exporten besser austarieren. »Die chinesische Regierung wünscht ein Gleichgewicht im Außenhandel. Wir streben keinen wachsenden Handelsbilanzüberschuß an«, erklärte der Sprecher des Pekinger Handelsministeriums Chong Quan gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua. Bis vor wenigen Jahren noch war Chinas Außenhandel weitgehend ausgeglichen. Erst 2004 und 2005 wurde ein Überschuß in nennenswertem Umfang erzielt. Zuletzt betrug er 102 Milliarden US-Dollar, in diesem Jahr wird diese Summe voraussichtlich noch übertroffen werden.

Ein weiterer Grund für den Abbau der Steuersubventionen ist die drohende Überhitzung der chinesischen Volkswirtschaft. Die Pekinger Regierung hat bereits in den vergangenen Monaten verschiedene Maßnahmen ergriffen, die das Wirtschaftswachstum abschwächen sollten. Unter anderem hat die Zentralbank die Leitzinsen erhöht, um die Kreditvergabe zu verringern. Allerdings ist die Liquidität chinesischer Privatunternehmen und Provinzregierungen zum Teil sehr hoch, so daß viele Investitionen ohne Kreditaufnahme getätigt werden können. Das Wachstum war daher im zweiten Quartal 2006 auf 11,3 Prozent gestiegen. Einer der Gründe, weshalb es bisher nicht auf die angezogenen Bremsen reagiert, scheint die Überwindung von Engpässen in der Infrastruktur zu sein. Darauf weist Fan Jianping hin, stellvertretender Direktor der Abteilung für ökonomische Vorhersagen am Staatlichen Zentrum für Information in Peking. Durch den Bau neuer Kraftwerke und den Ausbau der Eisenbahn und damit zuverlässigere Kohletransporte sei die Versorgung mit Strom wesentlich besser geworden. Stromausfälle sind inzwischen selten, was sich natürlich auch auf die Produktion auswirkt. Wang Yonggan vom nationalen Rat für Elektrizität wies gegenüber Xinhua darauf hin, daß es im Juni nur noch in vier Provinzen zu Stromausfällen gekommen sei. Der Sommer war in den vergangenen Jahren stets die Zeit der weitverbreiteten Netzzusammenbrüche und Stromrationierung.

Hohe Sparrate

Eine stärkere Reglementierung der Exportwirtschaft macht auch vor dem Hintergrund der sich abschwächenden US-Konjunktur Sinn. Die USA sind bisher einer der wichtigsten Abnehmer chinesischer Konsumgüter. Doch dort hat sich im zweiten Quartal 2006 das Wirtschaftswachstum ungewöhnlich stark abgeschwächt. Insbesondere der Immobilienmarkt scheint einzubrechen, wie der starke Rückgang der Neubauten andeutet. Steigende Ak­tien- und Immobilienpreise hatten bisher den US-Mittelstand in einen Kaufrausch versetzt, der nicht selten auf Pump finanziert wurde. Diese Party scheint nun vorüber, womit Chinas Exporteure ein Problem bekommen.

Abhilfe könnte da die von der Regierung angestrebte Ausweitung des Binnenmarktes sein. Chinesische Fachleute fordern daher angesichts der ökonomischen Ungleichgewichte in Chinas Wirtschaftsentwicklung erneut den raschen Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Wer über Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung abgesichert ist, so das Kalkül, wird nicht mehr soviel auf die hohe Kante legen. Bisher hat die Volksrepublik eine der höchsten Sparraten der Welt. Ende 2005 betrugen die privaten Sparguthaben 14 Billionen Yuan (etwa 1,4 Billionen Euro). Könnten die chinesischen Bürger dazu bewegt werden, weniger Geld aufs Sparbuch zu tragen und mehr zu kaufen, würde die starke Exportabhängigkeit der Wirtschaft vermindert. Chinas Entwicklung wäre damit weniger anfällig für äußere Krisen.