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17.01.2008 / Wissenschaft & Umwelt / Seite 15

Antarktis kalbt schneller

Update Klimaforschung: Am Südpol geht mehr Eis verloren als angenommen. Vor Jahrmillionen gab es trotz höherer Wassertemperaturen mehr Eis

Von Wolfgang Pomrehn

Die letzte Woche brachte scheinbar widersprüchliche Nachrichten aus der Klimaforschung. Zum einen hat sich in der Antarktis der Eisverlust beschleunigt, zum anderen gibt es deutliche Hinweise darauf, daß es in früheren Erdzeitaltern auch in einem wesentlich wärmeren Klima zeitweise Eis an den Polen gegeben haben könnte. Das ist das Ergebnis eines internationalen Forscherteams, darunter auch der Leipziger Geologe André Bornemann, das die Kalkschalen fossiler Kleinstlebewesen untersuchte, die sich während des sogenannten kreidezeitlichen thermischen Optimums vor 91 Millionen Jahren am Meeresboden ablagerten. Aus den Fossilien lassen sich Informationen über die seinerzeit vorherrschenden Wassertemperaturen und den Wasserstand ableiten. Um 40 Meter, so Bornemann und Kollegen, war der Wasserstand innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit gesunken, ein Befund, der auch von Untersuchungen anderer Wissenschaftler in Nordamerika und Rußland bestätigt wird.

Erklärbar ist dieser Rückgang des Meeresspiegels nur mit der Bildung größerer Gletscher, die 50 bis 60 Prozent der aktuellen Eismassen der Antarktis umfaßten, so die Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse im US-amerikanischen Fachblatt Science veröffentlichten.

Das Besondere daran: Die tropischen Ozeane waren zu jener Zeit deutlich wärmer als heute. Im tropischen Atlantik betrug die Temperatur des Wassers an der Oberfläche etwa 35 bis 37 Grad Celsius, sechs bis acht Grad mehr als derzeit üblich. Die Autoren nehmen an, daß das Innere der Antarktis vereist war, die sich damals schon auf dem Südpol befunden hat, aber noch mit Australien und Süd-amerika verbunden war. Da die Vereisung nur eine relativ kurze Episode von 200000 Jahren umfaßte, ist es auch kein Widerspruch, daß Antarktika noch in viel jüngerer Zeit dichte Wälder beherbergt hat. Aus Fossilienfunden weiß man, daß der sechste Kontinent über eine üppige Flora und Fauna verfügte, als sich dort vor etwa 30 Millionen Jahren das Klima abzukühlen begann.

Daß es so große Gletscher in einer wesentlich wärmeren Welt gegeben haben soll, steht scheinbar im Widerspruch zu den Befürchtungen vieler Laien und Wissenschaftler, die derzeitige, menschengemachte Erwärmung könnte die Eisschilde Grönlands und der Antarktis abschmelzen lassen. Allerdings ist über die klimatischen Verhältnisse vor 91 Millionen Jahren sehr wenig bekannt. Wir wissen nicht, wie die Meeresströmungen aussahen, die im heutigen Klimasystem eine wichtige Rolle spielen. Sie transportieren wesentlich mehr Wärme von den sonnenreichen Tropen polwärts, als es die Atmosphäre vermag, und sie sorgen heute, indem sie die Antarktis umkreisen, dafür, daß diese sehr effektiv von wärmeren Strömungen abgeschirmt wird und daher besonders kalt ist.

Vor allem wissen wir aus Beobachtungen, daß die arktischen und antarktischen Gletscher heute tatsächlich an Masse verlieren. Für Grönland haben in den letzten Jahren verschiedene Studien gezeigt, daß sich seit Beginn des neuen Jahrtausends der Eisverlust erheblich beschleunigt hat. Ähnliches belegt eine neue Studie für die Antarktis, die dieser Tage im britischen Fachblatt Nature Geoscience veröffentlicht wurde. Ein internationales Wissenschaftlerteam um Eric Rignot vom Earth-System-Science-Institut der Universität von Kalifor-nien in Irvine hat aus Satellitendaten die Fließgeschwindigkeit der Gletscher abgeleitet. Daraus konnten sie den Massenverlust bestimmen, den das Eis an den Rändern durch das sogenannte Kalben erlebt, das heißt, durch das Abbrechen von Eisbergen. In der kalten Antarktis ist das nahezu die einzige Form, durch die das Eis abnehmen kann. Auf Grönland hingegen tragen Tauen und Kalben je etwa zur Hälfte zum Verlust bei.

Kalben und Tauen – das heißt für sich noch nicht, daß das Eis schrumpft, schließlich sorgt Schneefall im Landesinneren für mehr oder weniger beständigen Nachschub. Entscheidend für Wachstum oder Schrumpfen ist, was überwiegt. Für die Antarktis haben Rignot und Kollegen Klimamodelle herangezogen und mit den Bedingungen über die Küstenmeere der Antarktis gefüttert. Damit konnten sie den Niederschlag abschätzen und so schließlich eine Massenbilanz aufstellen. Das Ergebnis: Der große Eisschild im Osten Antarktikas ist wie erwartet stabil und verändert sich kaum. Der Westantarktische Eisschild, der den Meeresspiegel bei vollständigem Abschmelzen um sechs Meter steigen lassen würde, hat 2006 hingegen 192 Milliarden Tonnen Eis verloren. Gegenüber 1996 war das eine Zunahme um 75 Prozent. Diese Eismenge entspricht einem Meeresspiegelanstieg von 3,5 Millimetern pro Jahr, was sich nicht viel anhört, aber auf ein ganzes Jahrhundert hochgerechnet schon 35 Zentimeter ausmacht. Wenn man bedenkt, daß auch das grönländische Eis in der gleichen Größenordnung zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt und auch noch die Ausdehnung des erwärmten Meereswassers hinzukommt, wird klar, daß es sich keinesfalls um Lappalien handelt. Der im letzten Jahr veröffentlichte Bericht des UN-Klimarates war noch von einem deutlich geringeren Anstieg des Meeresspiegels ausgegangen.