14.12.2009, junge
Welt
Blockade
Streit um die Zwei-Grad-Grenze – Tuvalu erzwingt
Verhandlungspause
Von Wolfgang Pomrehn
Das hat es noch nicht gegeben: Vertreter des Inselstaates Tuvalu
haben am Freitag und Samstag die Verhandlungen des UN-Klimagipfels
in Kopenhagen blockiert. Gemeinsam mit der
AOSIS, der Gruppe der
kleinen Inselstaaten, hatten die Diplomaten des
11000-Einwohner-Landes gefordert, die globale Klimaerwärmung
auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu
beschränken. Die Mehrheit der Länder will die Grenze
hingegen eher bei zwei Grad Celsius ziehen.
Für Tuvalu, die Malediven und andere Inselstaaten könnte
das jedoch bereits den Untergang bedeuten, wie auch der Vorsitzende
des UN-Klimarates auf der Konferenz deutlich machte (siehe Spalte).
Tuvalus höchster Punkt liegt derzeit fünf Meter über
dem Meeresspiegel, die Malediven ragen im Schnitt nicht mehr als
zwei Meter aus dem Wasser. Ein Anstieg von einem Meter kann da
schon leicht den Untergang bedeuten, denn mit steigenden
Pegelständen nimmt auch die Gewalt der Sturmfluten zu, die
nicht nur zerstörerisch wirken, sondern auch
Trinkwasserreservoirs versalzen können, womit die betroffenen
Inseln schlagartig unbewohnbar wären.
Nach der Ablehnung des AOSIS-Vorschlags hatte der Vertreter Tuvalus
auf seinem Recht bestanden, eine Unterbrechung der
Plenumsverhandlungen zu verlangen. Nun muß erst in einer
Kontaktgruppe, einer Art Vermittlungsausschuß, ein
Kompromiß gefunden werden. Bei jW-Redaktionsschluß am
Sonntag war noch nicht klar, wie die Verhandlungsblockade beendet
werden könnte. Informell gehen die Gespräche allerdings
weiter, und am Wochenende trafen bereits zahlreiche Umweltminister
ein, was für die Klimagipfel sehr ungewöhnlich ist. Zudem
haben sich ab Mittwoch über 100 Staats- und
Regierungschefs angekündigt.
Der AOSIS-Vorstoß war auch von der Mehrheit der
Entwicklungsländer abgelehnt worden. Das Problem: Das globale
Klima hat sich gegenüber dem vorindustriellen Niveau bereits
um etwa 0,8 Grad Celsius erwärmt. 1,5 Grad Celsius würden
es aller Voraussicht nach auch dann noch werden, wenn die
Treibhausgas-Emissionen sofort gestoppt werden könnten, denn
das Klimasystem reagiert nur mit Verzögerung auf den Anstieg
der isolierenden Spurengase in der Atmosphäre. Ein
1,5-Grad-Ziel würde also auch Schwellenländer wie
Brasilien, Südafrika oder China unter erheblichen Druck
setzen. Die meisten afrikanischen Staaten haben hingegen die
AOSIS-Forderung unterstützt.
Ansonsten ist das Lager der Entwicklungsländer jedoch
weitgehend geschlossen und viel aktiver als sonst. Chinas
Ministerpräsident Wen Jiabao hatte am Freitag mit seinen
Amtskollegen in Indien und Brasilien telefoniert, um noch einmal
die gemeinsame Strategie abzustimmen. Indiens Umweltminister Jairam
Ramesh sagte am Samstag der Indian Times, daß er gute Chancen
für einen gemeinsamen Vorschlag mit den afrikanischen Staaten
sehe. Zu den wichtigen Forderungen der Entwicklungsländer
gehören neben einer deutlichen Verminderung der Treibhausgase
in den Industrieländern um 40 Prozent eine ausreichende
Ausstattung des Fonds, mit dem Anpassungsmaßnahmen an den
Klimawandel in Entwicklungsländern finanziert werden
sollen.
Die Industriestaaten zeigen jedoch nach wie vor wenig Bewegung. Am
Mittwoch goß US-Chefunterhändler Todd Stern reichlich
Öl ins Feuer, indem er in einem Zeitungsinterview
äußerte, die Industriestaaten würden vielleicht
für den Klimawandel die historische Verantwortung tragen, aber
einen Anspruch auf Reparationen gebe es nicht. Die USA würden
auf keinen Fall für China zahlen. Sterns chinesischer Kollege
Yu Qingtai machte daraufhin klar, daß es nicht um Geld
für sein Land gehe, sondern darum, daß die reichen
Staaten ihren Verpflichtungen nachkommen. Die bolivianische
Delegationsführerin Angélica Navarro kritisierte,
daß die USA und andere Industrieländer auf ein neues
Abkommen dringen und das alte nicht fortschreiben wollen:
»Was passiert mit dem Kyoto-Protokoll? Wird es eliminiert?
(...) Und zielt das neue Abkommen am Ende darauf ab, daß wir
Entwicklungsländer zu Finanzierungs-, Bekämpfungs- und
Anpassungsmaßnahmen verpflichtet werden? Sollen wir etwa die
Schäden bezahlen, die andere verursacht haben?«
Unterdessen hat der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen
(CDU) am Sonntag in einem Radiointerview demonstriert, wie wenig er
von Klimaschutz hält. Deutschland brauche als
»Übergangstechnologie« neue Kohlekraftwerke. Aber
der Widerstand gegen die extrem klimaschädlichen
Neubaupläne wächst in der Bevölkerung. Am Freitag
gab der dänische Konzern Dong Energy bekannt, daß er nun
doch kein Steinkohlekraftwerk in Lubmin bei Greifswald bauen wolle.
Zwei Tage zuvor hatte EnBW das Aus für sein im
niedersächsischen Dörpen geplantes Kraftwerk
verkündet. Damit erhöht sich die Zahl der in diesem Jahr
in Deutschland durch Proteste verhinderten Kraftwerke auf
mindestens fünf.