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jW, 08.09.2005 / Ausland / Seite 15

Ein mörderischer Cocktail

Verseuchtes Wasser, Tausende Tote – und die US-Regierung leugnet ihre Verantwortung. Eine Bilanz der nicht nur ökologischen Verheerungen des Hurrikans »Katrina«

Wolfgang Pomrehn

Das Allerschlimmste scheint in der US-amerikanischen Katastrophenregion am Golf von Mexiko überstanden. In New Orleans sind erste Löcher in den Deichen geflickt, einige Pumpen arbeiten wieder, pumpen das Wasser aus den Straßen. Die Nationalgarde hat endlich mit dem Bergen der Toten begonnen.

Am Montag, eine Woche nach dem Durchzug des Hurrikans »Katrina«, waren noch immer nicht alle Einwohner von ihren Dächern gerettet. Rettungshelfer hatten nach Berichten in US-amerikanischen Zeitungen vollkommen entkräftete Menschen sterbend in ihren Häusern gefunden. Über die Zahl der Opfer hatte man Mitte der Woche noch keinen Überblick. Ray Nagin, Bürgermeister von New Orleans, meinte in einem Radio-Interview, das die New York Times am Dienstag zitierte, es sei nicht unvernünftig, von 10000 Toten allein in New Orleans auszugehen.

Wie mehrfach berichtet, gehören die Opfer fast ausschließlich zum armen, überwiegend afroamerikanischen Teil der Bevölkerung, um dessen Evakuierung man sich nicht gekümmert hatte. Für die Leichen hat man inzwischen eine zentrale Sammelstelle geschaffen. Es handelt sich um ein Lagerhaus am Rande von Baton Rouge, der Hauptstadt Louisianas. Es liegt inmitten eines Wohnviertels, und zwar eines der ärmsten der Stadt.


Fließendes Öl

Ebenfalls noch nicht abzusehen ist der Grad der Umweltverwüstung. Einige Wissenschaftler warnten bereits, daß Wasser aus der Stadt einfach über die Deiche zu pumpen. Öltanks, Müllkippen, Chemiekalienlager und Kläranlagen wurden überschwemmt. Hinzu kommt, daß Leichen tagelang im Wasser gelegen haben, so daß dieses jetzt ein Cocktail aus Giften, Öl und gefährlichen Bakterien ist. Dessen genaue Zusammensetzung ist unbekannt.

Behördenvertreter gehen davon aus, daß es mehrere Jahre dauert, die lokale Trinkwasserversorgung wiederherzustellen. Viele Kläranlagen sind zerstört. In den küstennahen Gewässern wurden mehrere Ölplattformen abgerissen, aus deren Bohrlöchern sich nun das Öl ins Meer ergießt. Zwei dieser Löcher konnten bis Dienstag unter Kontrolle gebracht werden.

Während die Hilfe für die Überlebenden nun immerhin angelaufen ist und in den zerstörten Städten das Aufräumen begonnen hat, ist politisches Großreinemachen angesagt. Presse, Funk und Fernsehen sind voll mit kritischen Kommentaren und Artikeln. Im Kreuzfeuer steht vor allem die Regierung in Washington wegen ihrer zögerlichen Hilfe und wegen des desolaten Zustandes sowohl der Deiche als auch der Katastrophenschutzbehörde.

Für Präsident George W. Bush, der sich bis vor kurzem bei seinen Kriegen auf domestizierte Medien verlassen konnte, ist das eine neue Erfahrung. Matt Wells vom Nachrichtenprogramm des britischen Senders BBC sieht in der Katastrophe gar den US-amerikanischen Journalismus gerettet, dem wieder ein Rückgrat gewachsen sei.

Zunächst hatten die großen Kanäle noch versucht, eine reißerische Berichterstattung aufzubauen, sich ganz auf vermeintliche und tatsächliche Plünderer zu konzentrieren. Doch dieser Ansatz brach spätestens zusammen, als Fernsehkameras die unglaublichen Szenen im Football-Stadion »Superdome« einfingen, wo Zehntausende ohne ausreichend Trinkwasser und Lebensmittel tagelang sich selbst überlassen blieben, buchstäblich in ihren eigenen Exkrementen sitzend, weil nicht einmal für funktionierende Toiletten gesorgt worden war.

Inzwischen werden aus dem »Superdome« die Leichen der entkräftet Gestorbenen und Ermordeten geborgen, und die Bush-Regierung versucht, wieder in die Offensive zu gelangen. Man werde genau untersuchen, was falsch gelaufen sei, meinte Bush zu Beginn der Woche gegenüber der Presse und machte »die Bürokratie« dafür verantwortlich, daß die Hilfe so langsam in Gang gekommen sei. Das Versprechen, Untersuchungen anzustellen, soll auch dem Senat Wind aus den Segeln nehmen, wo der Innenausschuß bereits eine Anhörung vorbereitet.


Gesparte Deiche

Außerdem will Bush die Verantwortung auf den Bundesstaat und die lokalen Behörden abwälzen. Louisiana wird von der demokratischen Gouverneurin Kathleen Blanco regiert, die sich mit ihrem Schießbefehl für die Nationalgarde nicht als besonders liberal ausgewiesen hat. Anfang der Woche mußte sie sich eines Versuchs der Bundesregierung erwehren, in den Katastrophengebieten das Kommando über Polizei und Nationalgarde zu übernehmen. Die Demokratische Partei sah darin einen Versuch des republikanischen Präsidenten, die Verantwortung für das katastrophale Krisenmanagement auf die Behörden vor Ort abzuwälzen.

In einer zweiten Verteidigungslinie hält die Bush-Regierung hartnäckig daran fest, daß niemand das Ausmaß der Katastrophe habe vorhersehen können. In der US-Presse wird hingegen breit diskutiert, daß es spätestens seit 2001 zahlreiche öffentliche Warnungen gegeben hat. Die waren in Senat und Kongreß mehrfach auch im Zusammenhang mit wiederholten Kürzungen am Deichbauprogramm für New Orleans diskutiert worden.