Das Allerschlimmste scheint in der US-amerikanischen
Katastrophenregion am Golf von Mexiko überstanden. In New Orleans
sind
erste Löcher in den Deichen geflickt, einige Pumpen arbeiten
wieder,
pumpen das Wasser aus den Straßen. Die Nationalgarde hat endlich
mit
dem Bergen der Toten begonnen.
Am Montag, eine Woche nach dem Durchzug des Hurrikans »Katrina«,
waren noch immer nicht alle Einwohner von ihren Dächern gerettet.
Rettungshelfer hatten nach Berichten in US-amerikanischen Zeitungen
vollkommen entkräftete Menschen sterbend in ihren Häusern
gefunden.
Über die Zahl der Opfer hatte man Mitte der Woche noch keinen
Überblick. Ray Nagin, Bürgermeister von New Orleans, meinte
in einem
Radio-Interview, das die New York Times am Dienstag zitierte, es sei
nicht unvernünftig, von 10000 Toten allein in New Orleans
auszugehen.
Wie mehrfach berichtet, gehören die Opfer fast
ausschließlich zum
armen, überwiegend afroamerikanischen Teil der Bevölkerung,
um dessen
Evakuierung man sich nicht gekümmert hatte. Für die Leichen
hat man
inzwischen eine zentrale Sammelstelle geschaffen. Es handelt sich um
ein Lagerhaus am Rande von Baton Rouge, der Hauptstadt Louisianas. Es
liegt inmitten eines Wohnviertels, und zwar eines der ärmsten der
Stadt.
Fließendes Öl
Ebenfalls noch nicht abzusehen ist der Grad der Umweltverwüstung.
Einige Wissenschaftler warnten bereits, daß Wasser aus der Stadt
einfach über die Deiche zu pumpen. Öltanks, Müllkippen,
Chemiekalienlager und Kläranlagen wurden überschwemmt. Hinzu
kommt, daß
Leichen tagelang im Wasser gelegen haben, so daß dieses jetzt ein
Cocktail aus Giften, Öl und gefährlichen Bakterien ist.
Dessen genaue
Zusammensetzung ist unbekannt.
Behördenvertreter gehen davon aus, daß es mehrere Jahre
dauert, die
lokale Trinkwasserversorgung wiederherzustellen. Viele Kläranlagen
sind
zerstört. In den küstennahen Gewässern wurden mehrere
Ölplattformen
abgerissen, aus deren Bohrlöchern sich nun das Öl ins Meer
ergießt.
Zwei dieser Löcher konnten bis Dienstag unter Kontrolle gebracht
werden.
Während die Hilfe für die Überlebenden nun immerhin
angelaufen ist und
in den zerstörten Städten das Aufräumen begonnen hat,
ist politisches
Großreinemachen angesagt. Presse, Funk und Fernsehen sind voll
mit
kritischen Kommentaren und Artikeln. Im Kreuzfeuer steht vor allem die
Regierung in Washington wegen ihrer zögerlichen Hilfe und wegen
des
desolaten Zustandes sowohl der Deiche als auch der
Katastrophenschutzbehörde.
Für Präsident George W. Bush, der sich bis vor kurzem bei
seinen
Kriegen auf domestizierte Medien verlassen konnte, ist das eine neue
Erfahrung. Matt Wells vom Nachrichtenprogramm des britischen Senders
BBC sieht in der Katastrophe gar den US-amerikanischen Journalismus
gerettet, dem wieder ein Rückgrat gewachsen sei.
Zunächst hatten die großen Kanäle noch versucht, eine
reißerische
Berichterstattung aufzubauen, sich ganz auf vermeintliche und
tatsächliche Plünderer zu konzentrieren. Doch dieser Ansatz
brach
spätestens zusammen, als Fernsehkameras die unglaublichen Szenen
im
Football-Stadion »Superdome« einfingen, wo Zehntausende
ohne
ausreichend Trinkwasser und Lebensmittel tagelang sich selbst
überlassen blieben, buchstäblich in ihren eigenen Exkrementen
sitzend,
weil nicht einmal für funktionierende Toiletten gesorgt worden war.
Inzwischen werden aus dem »Superdome« die Leichen der
entkräftet
Gestorbenen und Ermordeten geborgen, und die Bush-Regierung versucht,
wieder in die Offensive zu gelangen. Man werde genau untersuchen, was
falsch gelaufen sei, meinte Bush zu Beginn der Woche gegenüber der
Presse und machte »die Bürokratie« dafür
verantwortlich, daß die Hilfe
so langsam in Gang gekommen sei. Das Versprechen, Untersuchungen
anzustellen, soll auch dem Senat Wind aus den Segeln nehmen, wo der
Innenausschuß bereits eine Anhörung vorbereitet.
Gesparte Deiche
Außerdem will Bush die Verantwortung auf den Bundesstaat und die
lokalen Behörden abwälzen. Louisiana wird von der
demokratischen
Gouverneurin Kathleen Blanco regiert, die sich mit ihrem
Schießbefehl
für die Nationalgarde nicht als besonders liberal ausgewiesen hat.
Anfang der Woche mußte sie sich eines Versuchs der
Bundesregierung
erwehren, in den Katastrophengebieten das Kommando über Polizei
und
Nationalgarde zu übernehmen. Die Demokratische Partei sah darin
einen
Versuch des republikanischen Präsidenten, die Verantwortung
für das
katastrophale Krisenmanagement auf die Behörden vor Ort
abzuwälzen.
In einer zweiten Verteidigungslinie hält die Bush-Regierung
hartnäckig
daran fest, daß niemand das Ausmaß der Katastrophe habe
vorhersehen
können. In der US-Presse wird hingegen breit diskutiert, daß
es
spätestens seit 2001 zahlreiche öffentliche Warnungen gegeben
hat. Die
waren in Senat und Kongreß mehrfach auch im Zusammenhang mit
wiederholten Kürzungen am Deichbauprogramm für New Orleans
diskutiert
worden.