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18.02.2010, junge Welt

Auf Fehlersuche

Boulevard-Journalisten, Industrielobbyisten und Verschwörungstheoretiker haben es schon immer gewußt: Den Klimawandel gibt es gar nicht

Von Wolfgang Pomrehn

Das Sammeln und bewerten von Daten ist meist voller Tücken. So wiesen die Pegel- und Höhendaten der DDR und der BRD bis 1990 aus, daß es an der Grenze zwischen Ost und West eine Stufe von einem Meter Höhe geben mußte. Natürlich war das ein Artefakt, hervorgerufen durch unterschiedliche Bezugsysteme. Derlei läßt sich relativ leicht klären, wenn ein Fachmann befragt wird, aber manchmal scheint es wesentlich interessanter, aus derlei Kuriositäten schöne Geschichten zu spinnen.

So fanden in den frühen 1990ern US-amerikanische Schlaumeier heraus, daß der Vergleich der Pegelstände zwischen der West- und der Ostküste Mittelamerikas auf ein Gefälle hindeutetet, ähnlich dem deutsch-deutschen, nur etwas höher noch. Das führte zu der wunderbaren Theorie, US-Präsident George Bush senior habe im Dezember 1989 Panama überfallen und rund 2000 Zivilisten umbringen lassen, weil der dort regierende Präsident, CIA-Gehaltsempfänger und mutmaßliche Drogenhändler Manuel Noriega damit gedroht habe, die Schleusen des Panama-Kanals zu öffnen. Dadurch hätte sich nämlich der Pazifik in den Atlantik ergossen und erhebliche Teile der US-Küste überschwemmt. Leider gab es auch 1992 schon in den meisten Ländern Weltkarten, selbst in den USA, dem Mutterland aller Verschwörungstheorien, so daß diese wundervolle Erzählung im damals noch jungen Internet nicht allzuviele Anhänger fand.

Ganz anders ergeht es seit einigen Jahren der Geschichte von der großen Klimaverschwörung. Die geht in etwa so: Die nicht gerade kleine internationale Gemeinde der Klimatologen, physikalischen Geographen, Atmosphären-Chemiker, Ozeanographen und Meteorologen habe sich verschworen, um der Weltgemeinschaft eine Bedrohung des Weltklimas durch Treibhausgasemissionen weiszumachen. Ein Motiv gibt es auch, nämlich das Abzocken von Forschungsgeldern. Man könnte an dieser Stelle natürlich einwenden, daß eine geheime Verabredung etlicher zehntausend Wissenschaftler aus aller Welt zur Verdrehung der Wahrheit doch ziemlich unwahrscheinlich ist, oder daß die Finanzierung der Klimaforschung erstens auch manchen praktischen Wert zum Beispiel für Landwirtschaft, Fischerei oder Energieversorgung hat und zweitens nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was in die Erforschung von Atomkraft und Kernfusion gesteckt wird. Doch derlei rationalen Argumenten sind Verschwörungstheoretiker offensichtlich nicht zugänglich.

Einer der Gründe, weshalb diese Theorie so viele Anhänger gefunden hat, ist sicherlich, daß sie, anders als die beliebten Apollo-Missionen-waren-nie-auf-dem-Mond-, Kornkreis- oder UFO-Geschichten zahlungskräftige Mentoren hat. Mit dem Beginn der internationalen Klimaverhandlungen hatte sich in den USA die Global Climate Coalition, ein Zusammenschluß der größten Automobil-, Öl-, Chemie- und Kohlekonzerne des Landes gebildet, der sich zum Ziel setzte, die öffentliche Meinung zu bearbeiten. Institute mit wohlklingenden Namen wurden gegründet, Medien systematisch bearbeitet, um der Öffentlichkeit zu suggerieren, daß es unter Wissenschaftlern einen ernsthaften Streit über die Bedeutung der Treibhausgase gebe. Aber wie wenig an diesem angeblichen Streit dran ist, zeigt schon die Tatsache, daß Fachpublikationen, die den drohenden Klimawandel grundsätzlich in Frage stellen, mit der Lupe zu suchen sind.

In den letzten Wochen erlebt diese Desinformationskampagne, ausgehend von britischen Zeitungen, einen neuen Höhepunkt. Im Mittelpunkt der Angriffe steht der IPCC, der sogenannte Weltklimarat. Dabei handelt es sich um eine ehrenamtliches Gremium mit lediglich zehn bezahlten Mitarbeitern, das alle sechs bis sieben Jahre in umfassenden Berichten den jeweiligen Wissensstand in Sachen Klimasystem, Klimawandel und dessen Folgen zusammenfaßt. 450 von Mal zu Mal wechselnder verantwortliche Autoren, vorgeschlagen von Regierungen und wissenschaftlichen Institutionen, denen 800 weitere zuarbeiten, sind damit beschäftigt.

Der letzte dieser Berichte wurde 2007 veröffentlicht. Genau genommen handelt es sich um drei jeweils rund 1000 Seiten lange Werke. Im Band 1 fassen Naturwissenschaftler zusammen, was über die physikalischen Grundlagen bekannt ist. Im Band 2 beschäftigen sich Soziologen, Ökologen und andere mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Gesellschaft und Ökosysteme. Und im dritten Band tragen Ökonomen und Energieexperten zusammen, welche Optionen es zur Vermeidung eines weiteren Klimawandels gibt.

Nun hat irgend jemand entdeckt, daß Arbeitsgruppe 2 in ihrem Teilbericht einen Fehler eingebaut hatte – ein Fehler auf mehr als tausend Seiten. Sie hatte in einem Unterkapitel über Asien in einem behauptet, die Wahrscheinlichkeit sei sehr groß, daß die Himalaya-Gletscher bis 2035 verschwunden seien. Das ist falsch. Die Autoren hätten einfach nur einen Blick in die Arbeit ihrer Kollegen aus Arbeitsgruppe 1 werfen müssen. Die haben in ihrem Bericht über 45 Seiten ausführlich den Zustand und das Schrumpfen der Gletscher rund um den Globus beschrieben. Doch statt auf diesen Zusammenhang hinzuweisen, reichte zahlreichen Zeitungen ein einziger Fehler der Soziologen und Ökologen, die Glaubwürdigkeit der Klimawissenschaften in Frage zu stellen.

Es folgte eine ganze Reihe weiterer, meist haltloser Anschuldigungen. In der jüngsten Runde geht es um die Qualität der Temperaturdaten, mit der die globale Temperaturkurve ermittelt wird. Das Messen der Temperatur ist eine ziemlich heikle Geschichte; Veränderungen der lokalen Umgebung der Meßstation kann die Daten systematisch beeinflussen. Seit mindestens 40 Jahren beschäftigen sich Meteorologen zum Beispiel damit, daß eine ursprünglich ländlich gelegene Messstation in ihren Daten eine Erwärmung zeigt, wenn sich im Laufe der Jahrzehnte um sie herum eine städtische Siedlung entwickelt. Da dies nicht mit globalen Veränderungen zu tun hat, müssen diese Artefakte aus den Daten gefiltert werden, bevor ein globales Mittel gebildet wird. Die Wissenschaftler der NASA und des britischen Wetterdienstes, von denen die beiden bekanntesten globalen Datensätze stammen, stecken in diese Aufgabe viel Arbeit, zum Beispiel, in dem sie städtische Stationen mit den nächstgelegenen ländlichen vergleichen. Der jüngste Streit geht im wesentlichen darum, daß in den USA eine Schar von Hobby-Meteorologen auf die Jagd nach unplausiblen Datenreihen und nicht fachgerecht aufgestellten Stationen geht, und der britische Boulevard in jedem einzelnen Beispiel den Beweis sieht, daß es keinen Klimawandel gibt. Aus Details statistischer Kleinarbeit lassen sich schließlich schlecht reißerische Überschriften basteln.