Das Sammeln und bewerten von Daten ist meist voller Tücken. So
wiesen die Pegel- und Höhendaten der DDR und der BRD bis 1990
aus, daß es an der Grenze zwischen Ost und West eine Stufe
von einem Meter Höhe geben mußte. Natürlich war das
ein Artefakt, hervorgerufen durch unterschiedliche Bezugsysteme.
Derlei läßt sich relativ leicht klären, wenn ein
Fachmann befragt wird, aber manchmal scheint es wesentlich
interessanter, aus derlei Kuriositäten schöne Geschichten
zu spinnen.
So fanden in den frühen 1990ern US-amerikanische Schlaumeier
heraus, daß der Vergleich der Pegelstände zwischen der
West- und der Ostküste Mittelamerikas auf ein Gefälle
hindeutetet, ähnlich dem deutsch-deutschen, nur etwas
höher noch. Das führte zu der wunderbaren Theorie,
US-Präsident George Bush senior habe im Dezember 1989 Panama
überfallen und rund 2000 Zivilisten umbringen lassen, weil der
dort regierende Präsident, CIA-Gehaltsempfänger und
mutmaßliche Drogenhändler Manuel Noriega damit gedroht
habe, die Schleusen des Panama-Kanals zu öffnen. Dadurch
hätte sich nämlich der Pazifik in den Atlantik ergossen
und erhebliche Teile der US-Küste überschwemmt. Leider
gab es auch 1992 schon in den meisten Ländern Weltkarten,
selbst in den USA, dem Mutterland aller Verschwörungstheorien,
so daß diese wundervolle Erzählung im damals noch jungen
Internet nicht allzuviele Anhänger fand.
Ganz anders ergeht es seit einigen Jahren der Geschichte von der
großen Klimaverschwörung. Die geht in etwa so: Die nicht
gerade kleine internationale Gemeinde der Klimatologen,
physikalischen Geographen, Atmosphären-Chemiker, Ozeanographen
und Meteorologen habe sich verschworen, um der Weltgemeinschaft
eine Bedrohung des Weltklimas durch Treibhausgasemissionen
weiszumachen. Ein Motiv gibt es auch, nämlich das Abzocken von
Forschungsgeldern. Man könnte an dieser Stelle natürlich
einwenden, daß eine geheime Verabredung etlicher zehntausend
Wissenschaftler aus aller Welt zur Verdrehung der Wahrheit doch
ziemlich unwahrscheinlich ist, oder daß die Finanzierung der
Klimaforschung erstens auch manchen praktischen Wert zum Beispiel
für Landwirtschaft, Fischerei oder Energieversorgung hat und
zweitens nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was in die
Erforschung von Atomkraft und Kernfusion gesteckt wird. Doch derlei
rationalen Argumenten sind Verschwörungstheoretiker
offensichtlich nicht zugänglich.
Einer der Gründe, weshalb diese Theorie so viele Anhänger
gefunden hat, ist sicherlich, daß sie, anders als die
beliebten Apollo-Missionen-waren-nie-auf-dem-Mond-, Kornkreis- oder
UFO-Geschichten zahlungskräftige Mentoren hat. Mit dem Beginn
der internationalen Klimaverhandlungen hatte sich in den USA die
Global Climate Coalition, ein Zusammenschluß der
größten Automobil-, Öl-, Chemie- und Kohlekonzerne
des Landes gebildet, der sich zum Ziel setzte, die öffentliche
Meinung zu bearbeiten. Institute mit wohlklingenden Namen wurden
gegründet, Medien systematisch bearbeitet, um der
Öffentlichkeit zu suggerieren, daß es unter
Wissenschaftlern einen ernsthaften Streit über die Bedeutung
der Treibhausgase gebe. Aber wie wenig an diesem angeblichen Streit
dran ist, zeigt schon die Tatsache, daß Fachpublikationen,
die den drohenden Klimawandel grundsätzlich in Frage stellen,
mit der Lupe zu suchen sind.
In den letzten Wochen erlebt diese Desinformationskampagne,
ausgehend von britischen Zeitungen, einen neuen Höhepunkt. Im
Mittelpunkt der Angriffe steht der IPCC, der sogenannte
Weltklimarat. Dabei handelt es sich um eine ehrenamtliches Gremium
mit lediglich zehn bezahlten Mitarbeitern, das alle sechs bis
sieben Jahre in umfassenden Berichten den jeweiligen Wissensstand
in Sachen Klimasystem, Klimawandel und dessen Folgen
zusammenfaßt. 450 von Mal zu Mal wechselnder verantwortliche
Autoren, vorgeschlagen von Regierungen und wissenschaftlichen
Institutionen, denen 800 weitere zuarbeiten, sind damit
beschäftigt.
Der letzte dieser Berichte wurde 2007 veröffentlicht. Genau
genommen handelt es sich um drei jeweils rund 1000 Seiten lange
Werke. Im Band 1 fassen Naturwissenschaftler zusammen, was
über die physikalischen Grundlagen bekannt ist. Im Band 2
beschäftigen sich Soziologen, Ökologen und andere mit den
Auswirkungen des Klimawandels auf Gesellschaft und Ökosysteme.
Und im dritten Band tragen Ökonomen und Energieexperten
zusammen, welche Optionen es zur Vermeidung eines weiteren
Klimawandels gibt.
Nun hat irgend jemand entdeckt, daß Arbeitsgruppe 2 in ihrem
Teilbericht einen Fehler eingebaut hatte – ein Fehler auf
mehr als tausend Seiten. Sie hatte in einem Unterkapitel über
Asien in einem behauptet, die Wahrscheinlichkeit sei sehr
groß, daß die Himalaya-Gletscher bis 2035 verschwunden
seien. Das ist falsch. Die Autoren hätten einfach nur einen
Blick in die Arbeit ihrer Kollegen aus Arbeitsgruppe 1 werfen
müssen. Die haben in ihrem Bericht über 45 Seiten
ausführlich den Zustand und das Schrumpfen der Gletscher rund
um den Globus beschrieben. Doch statt auf diesen Zusammenhang
hinzuweisen, reichte zahlreichen Zeitungen ein einziger Fehler der
Soziologen und Ökologen, die Glaubwürdigkeit der
Klimawissenschaften in Frage zu stellen.
Es folgte eine ganze Reihe weiterer, meist haltloser
Anschuldigungen. In der jüngsten Runde geht es um die
Qualität der Temperaturdaten, mit der die globale
Temperaturkurve ermittelt wird. Das Messen der Temperatur ist eine
ziemlich heikle Geschichte; Veränderungen der lokalen Umgebung
der Meßstation kann die Daten systematisch beeinflussen. Seit
mindestens 40 Jahren beschäftigen sich Meteorologen zum
Beispiel damit, daß eine ursprünglich ländlich
gelegene Messstation in ihren Daten eine Erwärmung zeigt, wenn
sich im Laufe der Jahrzehnte um sie herum eine städtische
Siedlung entwickelt. Da dies nicht mit globalen Veränderungen
zu tun hat, müssen diese Artefakte aus den Daten gefiltert
werden, bevor ein globales Mittel gebildet wird. Die
Wissenschaftler der NASA und des britischen Wetterdienstes, von
denen die beiden bekanntesten globalen Datensätze stammen,
stecken in diese Aufgabe viel Arbeit, zum Beispiel, in dem sie
städtische Stationen mit den nächstgelegenen
ländlichen vergleichen. Der jüngste Streit geht im
wesentlichen darum, daß in den USA eine Schar von
Hobby-Meteorologen auf die Jagd nach unplausiblen Datenreihen und
nicht fachgerecht aufgestellten Stationen geht, und der britische
Boulevard in jedem einzelnen Beispiel den Beweis sieht, daß
es keinen Klimawandel gibt. Aus Details statistischer Kleinarbeit
lassen sich schließlich schlecht reißerische
Überschriften basteln.