21.12.2009, Kommentar, junge Welt
Entwicklungsländer mit
ihrer Geduld am Ende
Industriestaaten halten Emissionsbeschränkungen nicht ein und
werden historischer Verantwortung nicht gerecht
Von Wolfgang Pomrehn
Einer der Gründe für das Scheitern der Klimaverhandlungen
in Kopenhagen war das penetrante Beharren
der USA darauf, daß
sich auch Staaten wie China und Indien zumindest auf verbindliche
Beschränkungen ihrer Emissionen festlegen sollten. Da
erscheint es sinnvoll, einen Blick auf die Zahlen zu werfen:
Zunächst ist da die historische Verantwortung, auf die die
Entwicklungsländer immer wieder verweisen. Von 1903 bis 2005
haben die USA 324 und Deutschland 72 Milliarden Tonnen CO2
emittiert. In China und Indien wurden in diesem Zeitraum 93 bzw. 28
Milliarden Tonnen CO2 in die Luft geblasen.
Nun könnte eingewendet werden, daß auch der chinesische
Wert noch hoch ist. China verweist hingegen wie Indien auf seine
große Bevölkerung. In der Tat berührt der Punkt
eine der wesentlichen Gerechtigkeitsfragen der internationalen
Verhandlungen, die von den Industriestaaten mit viel Geschick und
Hartnäckigkeit unter dem Teppich gehalten wird: die Frage der
Pro-Kopf-Emissionen.
Sunita Narein vom indischen Zentrum für Wissenschaften und
Umwelt hat bereits 1991 mit ihrem Kollegen Anil Agarwal folgende
Rechnung aufgemacht: Wenn derzeit die globalen Emissionen im
Schnitt pro Erdbürger etwa vier Tonnen CO2 im Jahr ausmachen
und davon zwei Tonnen in der Atmosphäre angereichert werden,
dann stehen offenbar jedem Mensch zwei Tonnen pro Jahr zu, die
unbedenklich emittiert werden können.
Wenn wir nun vereinfacht annehmen, daß in Indien und China in
den vergangenen 100 Jahren im Durchschnitt etwa 500 Millionen
Menschen gelebt haben, dann hätten den Ländern von 1903
bis 2005 Emissionen von jeweils rund 106 Milliarden Tonnen
zugestanden. Sie haben also ihren Anteil nicht ausgenutzt,
während Deutschland, die USA und andere Industriestaaten weit
über ihre Verhältnisse gelebt haben. Die Anreicherung der
Treibhausgase in der Atmosphäre ging allein auf ihr Konto. Das
ist der Hintergrund der Forderung an die reichen Länder, den
ersten Schritt zu machen.
Aber haben sie das nicht schon mit dem Kyoto-Protokoll? Nicht
wirklich. Bereits in der Klimarahmenkonvention hatten sich 1992 die
Industriestaaten einschließlich der USA darauf verpflichtet,
ihre Emissionen auf das Niveau von 1990 zurückzuführen.
Nur wenige haben sich daran gehalten, und das auch nur
unfreiwillig: Die Staaten Osteuropas stürzten nach 1990 in
eine schwere Krise. Die Treibhausgasemissionen zwischen Berlin und
Wladiwostok liegen auch heute noch unter dem Niveau von 1990. Auch
Deutschlands Emissionsbilanz konnte durch den Niedergang der
DDR-Industrie glänzen, die übrigen westlichen
Industriestaaten versteckten sich hinter Spitzfindigkeiten, die
US-Diplomaten ausgegraben hatten: Der Passus in der Konvention sei
völkerrechtlich nicht bindend.
Eigentlich, so die Vorstellung, die der Konvention zugrunde lag,
sollten in einem ersten Schritt bis zum Jahre 2000 die Emissionen
der Industriestaaten stabilisiert und danach im Rahmen konkreterer
Verträge – Protokolle in der Diplomatensprache genannt
– abgesenkt werden. Entsprechend sah das 1997 unterzeichnete
Kyoto-Protokoll eine Reduktion der Industriestaaten-Emissionen von
insgesamt 5,5 Prozent vor. Einigen Ländern wie Australien
(plus acht Prozent) oder Island (plus zehn Prozent) wurde ein
Wachstum zugestanden, die EU-Staaten verpflichteten sich zu acht
Prozent Reduktion, die sie untereinander aufteilen können, die
USA sollten um sieben Prozent reduzieren, haben aber das Protokoll
nicht ratifiziert.
Die Zahlen gelten für den Schnitt der Jahre 2008 bis 2012, und
vielleicht könnte die jüngste Wirtschaftskrise dazu
führen, daß sie tatsächlich halbwegs eingehalten
werden. Vielleicht. 2007 sah es noch nicht danach aus. Die
Emissionen der EU lagen noch auf dem Niveau von 1990, die der USA
sogar um 20 Prozent darüber. Den Vogel schoß Australien
ab, das es auf plus 48 Prozent schaffte. Kanada lag mit plus 29
Prozent ebenfalls weit über dem 1990er Niveau, genauso wie
Japan mit plus 14 Prozent. Es ist also kein Wunder, daß die
Entwicklungsländer langsam die Geduld verlieren.