7.12.2009, junge
Welt
Aus dem Gleichgewicht
Wissenschaftler warnen eindringlich vor Erwärmung und Anstieg
des Meeresspiegels
Von Wolfgang Pomrehn
»Das Klima der Erde ist nun eindeutig aus dem Gleichgewicht
und erwärmt sich.« So beginnt eine Erklärung der
Amerikanischen Geophysikalischen Union aus dem Jahre 2003, die
jüngst noch einmal bekräftigt wurde. Als Ende der 1970er
Jahren die ersten Warnungen wissenschaftlicher Vereinigungen vor
drohenden Veränderungen des globalen Klimas durch menschliche
Aktivitäten veröffentlicht wurden, sah die Lage noch
etwas anders aus. Ein anhaltender Erwärmungstrend war in den
damaligen Daten schwer auszumachen, und dennoch verbreitete sich
unter Meteorologen und anderen Klimawissenschaftlern langsam die
Erkenntnis, daß die Menschheit durch den massenweisen
Verbrauch von Kohle und Erdöl sowie – im geringeren
Maße – durch die fortgesetzte Entwaldung dabei war,
langfristig das globale Klima dramatisch zu verändern.
Namentlich das dadurch freigesetzte Kohlendioxid wirkt als
Spurengas in der Atmosphäre ähnlich der Scheibe in einem
Gewächshaus: Es behindert die Auskühlung der
Erdoberfläche und der bodennahen Luftschichten und sorgt
dafür, daß mehr Wärmeenergie im Klimasystem,
zu dem auch die Meere gehören, gespeichert werden kann.
Die physikalischen Zusammenhänge sind in groben Zügen
bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt, doch erst in den 1950er
und 1960er Jahren dämmerte es einigen Experten, daß die
Menschheit tatsächlich auf dem Wege ist, so viel Kohlendioxid
der Erdatmosphäre hinzuzufügen, daß das einen
gravierenden Einfluß haben kann. Derzeit werden weltweit etwa
40 Milliarden Tonnen emittiert, davon etwa 31 Milliarden Tonnen aus
der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und
Erdöl. Etwas weniger als die Hälfte reichert sich in der
Atmosphäre an, wo es über viele Jahre verbleibt. Der Rest
wird von der Biosphäre und den Ozeanen aufgenommen. Erst
kürzlich hat jedoch ein internationales Team um die
Atmosphärenwissenschaftlerin Cle Quéré aus
Großbritannien darauf hingewiesen, daß die
Aufnahmekapazität der Meere zurückgeht.
Die Folgen sind inzwischen überall zu erkennen: Seit Mitte der
1970er Jahre hat sich die global gemittelte Temperatur um fast 0,6
Grad erhöht. Der Meeresspiegel, der in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhundert um 1,8 Millimeter pro Jahr gestiegen war,
erhöht sich nun seit Beginn der 1990er Jahre um jährlich
etwas mehr als drei Millimeter. Beide Größen unterliegen
übrigens natürlichen Schwankungen, das heißt, sie
steigen nicht kontinuierlich, sondern der Trend läßt
sich nur feststellen, wenn größere Zeiträume
betrachtet werden. Das bisher wärmste Jahr war, je nach
analysiertem Datensatz, entweder 2005 oder 1998. Auf jeden Fall
waren aber alle Jahre nach der Jahrtausendwende wärmer als
alle anderen Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen mit Ausnahme von
1998.
Wenn diese Entwicklung nicht bald gestoppt wird, so sind sich die
meisten Ozeanexperten inzwischen einig, dann könnten weltweit
die Pegelstände bis zum Ende des Jahrhunderts um einen Meter
oder mehr steigen. Diese Woche erst hat Stefan Rahmstorf vom
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gemeinsam mit Martin
Vermeer von der Helsinki University of Technology in Finnland eine
Studie veröffentlicht, wonach der Meeresspiegel um 0,75 bis
1,9 Meter ansteigen wird, wenn weiter ungeniert Treibhausgase in
die Atmosphäre geblasen werden.
Seit einigen Jahren sind sich die Wissenschaftler einig, daß
die Emissionen im globalen Maßstab nur noch wenige Jahre
weiter zunehmen dürfen und danach rasch reduziert werden
müssen, wenn der Anstieg der globalen Temperatur auf zwei Grad
Celsius über dem vorindustriellen Niveau, oder auf 1,2 Grad
von heute aus, begrenzt werden soll. Dann, so die Mehrheitsmeinung,
lassen sich die schlimmsten Folgen des Klimawandels, wie
ausgedehnte Dürren in wichtigen Agrarregionen, globale
Hungerkatastrophen, Wasserkrise rund ums Mittelmeer und zu starker
Anstieg der Meere noch verhindern. Es gibt jedoch auch
Wissenschaftler, die darauf verweisen, daß schon bei einer
Erwärmung um weitere 1,2 Grad vermutlich ein Großteil
des Eises auf Grönland und in der Westantarktis verschwinden
könnte. Damit würde der Meeresspiegel in den
nächsten Jahrhunderten dann um zwölf Meter oder mehr
ansteigen, und Städte wie Schanghai, Kolkatta, Lagos, New York
oder Hamburg in den Fluten versinken.