26.11.2007 / Kapital & Arbeit / Seite 9
Europas CO2-Hauptstadt
Warum sich das kleine Städtchen Grevenbroich im
Rheinland zum Brennpunkt der deutschen Klimadebatte entwickelt
Von Wolfgang Pomrehn
Grevenbroich ist eigentlich ein unspektakuläres kleines
Städtchen. Im
Rheinland gelegen, im Dreieck zwischen Köln, Mönchengladbach
und
Düsseldorf, ist es mit seinen 65000 Einwohnern nicht gerade eine
Metropole. Seit zwei Jahren schmückt sich der Ort allerdings mit
dem
Titel »Bundeshauptstadt der Energie«. Anlaß für
diese ausgefallene
Selbstetikettierung sind keinesfalls die Windräder, die die Firma
Windtest auf einer alten Abraumhalde betreibt. Auch nicht unbedingt die
Solarzellen, die in einem leergeräumten Braunkohletagebau
aufgestellt
wurden. Geprägt wird die Stadt vielmehr durch Europas
größtes
Braunkohlerevier und die drei Großkraftwerke, die in Grevenbroich
und
Umgebung mit dem ineffizientesten aller fossilen Energieträger
befeuert
werden.
Eines
davon, jenes im Ortsteil Neurath, wird gerade durch einen Neubau
ersetzt. Im August 2006 nahm sich eigens die Bundeskanzlerin von ihrem
aufreibenden Job als Klimavorkämpferin eine kleine Auszeit, um zum
ersten Spatenstich anzureisen. Bauherr ist der Stromkonzern RWE, der
sich stolz brüstet, das neue Kraftwerk werde einen um 30 Prozent
erhöhten Wirkungsgrad haben. Das hört sich gewaltig an,
offenbart aber
nur den erbärmlichen Stand der Technik. Die existierenden
Braunkohlekraftwerke nutzen nicht viel mehr als 33 oder 34 Prozent des
Brennwertes, der in der Braunkohle steckt, zur Stromgewinnung aus.
Künftig sollen es in Neurath 43 Prozent sein. Weiter
läßt sich der
elektrische Wirkungsgrad aus physikalischen Gründen kaum steigern,
aber
die entscheidende Frage ist, was mit der anfallenden Abwärme
geschieht.
Im Prinzip ließe sich diese in Fernwärmenetze einspeisen
oder als
Prozeßwärme in der Industrie verwenden. Doch dafür sind
die bestehenden
Werke um Grevenbroich viel zu groß. Der größere Teil
der Energie wird
daher einfach an die Umwelt abgegeben. In der weiteren Nachbarschaft
des Ortes sorgen die Wasserdampfwolken der riesigen
Kraftwerkskühltürme
für Beschattung.
Daran wird sich auch mit dem neuen, viel
gepriesenen Kraftwerk nichts ändern: Mit einer Gesamtleistung von
2100
Megawatt werden die beiden geplanten Kraftwerksblöcke, in die RWE
2,2
Milliarden Euro steckt, überdimensioniert sein. Wie sein
Vorgänger wird
der Neubau also den größeren Teil der in der Braunkohle
steckenden
Energie einfach ungenutzt an die Umwelt abgeben, nach dem man für
ihren
Abbau die umliegende Landschaft per Tagebau verwüstet hat. Das ist
besonders ärgerlich, weil die Emissionen des Treibhausgases
Kohlendioxid (CO2), das für den Klimawandel verantwortlich ist,
bei der
Verbrennung von Braunkohle sehr hoch sind: Rund 1,2 Kilogramm CO2
entstehen pro Kilowattstunde Strom in den heute gängigen
Braunkohlewerken. In Neurath wird der Wert vermutlich auf knapp unter
ein Kilogramm gedrückt werden. In einem modernen Gas-Kraftwerk
wären es
hingegen nur 360 Gramm pro Kilowattstunde.
Die
Nachrichtenagentur Bloomberg brachte diese Art von Energiepolitik am
vergangenen Freitag dazu, Grevenbroich zur CO2-Hauptstadt Europas zu
küren. 69 Millionen Tonnen des Treibhausgases würden
jährlich aus den
Schornsteinen rund um das nord-rheinwestfälische Städtchen in
die Luft
entweichen. Das sind immerhin rund sieben Prozent aller deutschen
Emissionen. Doch RWE will auf die billige Braunkohle im Rheintal nicht
verzichten. 80 Millionen Tonnen werden dort jährlich
gefördert, so viel
wie auf dem gesamten Gebiet der USA, die nach Deutschland der
zweitgrößte Erzeuger von Braunkohle sind.
Aber Braunkohle ist in
Deutschland leicht zu fördern und daher billig, zumal für die
Folgekosten des Bergbaus meist die Allgemeinheit aufkommt. Doch anstatt
den billigen Strom, der auf derartig klimaschädliche Weise erzeugt
wird, zumindest sparsam einzusetzen, wird er vergeudetet: In
Grevenbroich hat sich, angelockt durch die Riesenkraftwerke, eine
Alumi-niumhütte niedergelassen, die den Strom von RWE zum
Vorzugspreis
bezieht. Mit 13 bis 15 Kilowattstunden pro erzeugtem Kilogramm
Aluminium ist die Herstellung dieses Leichtmetalls besonders
energieaufwendig, weshalb sich seine weitverbreitete Verwendung als
Verpackungs- und damit Wegwerfartikel eigentlich verbietet.
Dieser
industrielle Hintergrund hat dazu geführt, daß Grevenbroich
sich zu
einem der Brennpunkte der deutschen Klimadebatte entwickelt. Das wird
sich demnächst auch in einer überregionalen Demonstration
manifestieren. Der 8. Dezember, so hatten Umweltschützer aus aller
Welt
auf dem Weltsozialforum im Januar im kenianischen Nairobi beschlossen,
soll ein globaler Aktionstag gegen die drohende Klimakatastrophe
werden. In Deutschland wird es an diesem Tag zwei zentrale
Demonstrationen geben: die eine in Berlin, die andere an RWEs
Kraftwerkbaustelle in Grevenbroich-Neurath.
Ist das Kraftwerk
nämlich erst einmal fertiggestellt, so wird es jährlich etwa
35
Millionen Tonnen CO2 in die Luft blasen. Das wären schon fast zehn
Prozent dessen, was nach dem 40-Prozent-Ziel der Bundesregierung 2020
insgesamt in Deutschland noch emittiert werden dürfte.
Entsprechend
giftig reagierte in der vergangenen Woche Umweltstaatssekretär
Michael
Müller (SPD) auf eine Stellungnahme der Umweltschutzorganisation
Greenpeace, wonach das Ziel mit der bisherigen Politik nie und nimmer
zu erreichen sei.