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jW, 
05.09.2005 / Ausland / Seite 3

Hölle auf Erden

Nach dem Hurrikan »Katrina«: Viel zu spät gibt es endlich Hilfe für New Orleans. Gleichzeitig verhöhnt US-Präsident Bush die Opfer

Wolfgang Pomrehn

Am Wochenende sind endlich im vom Hurrikan zerstörten New Orleans die Krankenhäuser evakuiert worden. Am Freitag (Ortszeit) hatte US-Präsident George Bush gesagt, es sei eine Frage von Tagen, all jene zu retten, die noch auf den Dächern oder Böden ihrer Häuser auf Hilfe warten. Das war fünf Tage nach dem Durchzug des Hurrikans und gut eine Woche, nachdem klar war, daß »Katrina« Kurs auf die Metropole im Delta des Mississippi nahm. Nach Berichten verschiedener US-Zeitungen sagte Bush außerdem, niemand habe erwarten können, daß in New Orleans die Deiche brechen würden.


Deichbau vernachlässigt

Niemand, außer jenen die Zeitungen lesen, die Diskussion im US-Parlament verfolgen oder die Berichte der Bundesagentur für Katastrophenschutz FEMA studieren. Letztere hatte im Frühjahr 2001 drei Großkatastrophen vorhergesagt, deren Eintritt besonders wahrscheinlich sei: Ein größeres Erdbeben in San Francisco, ein Terrorangriff auf New York und ein Hurrikan, der New Orleans trifft. Die Stadt liegt eingeklemmt zwischen dem Pontchartrain-See und dem Mississippi. Größere Teile der Stadt befinden sich, da auf Schwemmland gebaut, unterhalb des Niveaus des Sees.

Ein System aus Deichen, Kanälen und Pumpen schützt die Stadt vor dem Salzwasser des Pontchartrain und des höher gelegenen Mississippi. Aber auch die Deiche senken sich auf dem unsicheren Boden und müssen daher beständig erneuert werden. Das Geld dafür aus Bundesmitteln ist jedoch seit dem Jahre 2000 wiederholt gekürzt worden. Zuletzt wurde im Frühjahr 2005 der Rotstift angesetzt: 62 Millionen US-Dollar hatte das für den Erhalt der Deiche zuständige Ingenieur-Corps der US-Armee gefordert, elf Millionen wurden bewilligt. Zu den gestrichenen Projekten gehörte eine Studie über die Folgen, die ein Hurrikan der Kategorie 5, wie »Katrina« einer war, für New Orleans hätte.

Über die Zahl der Toten im Katastrophengebiet gibt es bisher keine verläßlichen Angaben, sie dürfte allerdings bei mehreren tausend liegen. Allein in den Krankenhäusern New Orleans sind mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen; manche starben noch auf dem Weg in die Sicherheit, als am Freitag endlich Flugzeuge für ihren Abtransport zur Verfügung standen. Die Hospitäler waren im Vorfeld des Sturms nicht evakuiert worden, obwohl der Bürgermeister die Einwohner zum Verlassen der Stadt aufgefordert hatte. Tausende Patienten mußten vier Tage ohne Strom und fließend Wasser ausharren. Die Privatkrankenhäuser fingen schließlich an, Privatfirmen für das Bergen ihrer Patienten zu engagieren.


Nobelhotels evakuiert

Noch schlimmer waren die Zustände an den beiden zentralen Sammelstellen, dem Stadion »Superdome« und dem Kongreßzentrum, wo zusammen 50000 bis 60000 Menschen Schutz suchten. US-Zeitungen schreiben von grauenhaften Zuständen: Zu wenig Trinkwasser und Lebensmittel, unbrauchbare Toiletten, kaum medizinische Versorgung – trotz mindestens drei Tagen Vorwarnzeit. Etwa 10000 Menschen, die diese Hölle bei Temperaturen über 30 Grad durchlitten hatten, wurden in ein ähnliches Stadion in Houston, Texas, gebracht. Doch dort scheint man auch nicht richtig vorbereitet zu sein: Zumindest ein Teil der Flüchtlinge muß auf Stühlen übernachten. Unterdessen erklärte FEMA-Chef Michael Brown, einer der zentralen Verantwortlichen der Katastrophenhilfe, er habe bis Freitag nichts von dem Kongreßzentrum in New Orleans gewußt, in dem 15000 bis 20000 Menschen hausten. Dort hatten offensichtlich Gangs die Kontrolle übernommen. Überlebende berichteten von vergewaltigten und ermordeten Kindern. Auch im »Superdome« war es zu Morden an Frauen und Kindern gekommen.

Unterdessen haben zahlreiche Kommentatoren darauf hingewiesen, daß das Geld für den Deichbau in den Irak-Krieg geflossen ist. Auch die Tatsache, daß die Opfer fast ausschließlich farbig und arm sind, sorgt für erhebliche Aufregung in der US-Gesellschaft. Als am vergangenen Donnerstag endlich die ersten Busse Menschen aus der Stadt fuhren, wurden zuerst die Gäste des Nobelhotels Hyatt evakuiert. In Washington hat die Vereinigung Schwarzer Parlamentarier eine Untersuchungskommission beantragt. Manches deutet darauf hin, daß Präsident Bush nach Hurrikan »Katrina« ein politisches Erdbeben bevorsteht.