Am Wochenende sind endlich im vom Hurrikan zerstörten New
Orleans
die Krankenhäuser evakuiert worden. Am Freitag (Ortszeit) hatte
US-Präsident George Bush gesagt, es sei eine Frage von Tagen, all
jene
zu retten, die noch auf den Dächern oder Böden ihrer
Häuser auf Hilfe
warten. Das war fünf Tage nach dem Durchzug des Hurrikans und gut
eine
Woche, nachdem klar war, daß »Katrina«
Kurs
auf die Metropole im Delta des Mississippi nahm. Nach Berichten
verschiedener US-Zeitungen sagte Bush außerdem, niemand habe
erwarten
können, daß in New Orleans die Deiche brechen würden.
Deichbau vernachlässigt
Niemand, außer jenen die Zeitungen lesen, die Diskussion im
US-Parlament verfolgen oder die Berichte der Bundesagentur für
Katastrophenschutz FEMA studieren. Letztere hatte im Frühjahr 2001
drei
Großkatastrophen vorhergesagt, deren Eintritt besonders
wahrscheinlich
sei: Ein größeres Erdbeben in San Francisco, ein
Terrorangriff auf New
York und ein Hurrikan, der New Orleans trifft. Die Stadt liegt
eingeklemmt zwischen dem Pontchartrain-See und dem Mississippi.
Größere
Teile der Stadt befinden sich, da auf Schwemmland gebaut, unterhalb des
Niveaus des Sees.
Ein System aus Deichen, Kanälen und Pumpen schützt die Stadt
vor dem
Salzwasser des Pontchartrain und des höher gelegenen Mississippi.
Aber
auch die Deiche senken sich auf dem unsicheren Boden und müssen
daher
beständig erneuert werden. Das Geld dafür aus Bundesmitteln
ist jedoch
seit dem Jahre 2000 wiederholt gekürzt worden. Zuletzt wurde im
Frühjahr 2005 der Rotstift angesetzt: 62 Millionen US-Dollar hatte
das
für den Erhalt der Deiche zuständige Ingenieur-Corps der
US-Armee
gefordert, elf Millionen wurden bewilligt. Zu den gestrichenen
Projekten gehörte eine Studie über die Folgen, die ein
Hurrikan der
Kategorie 5, wie »Katrina« einer
war, für New Orleans hätte.
Über die Zahl der Toten im Katastrophengebiet gibt es bisher keine
verläßlichen Angaben, sie dürfte allerdings bei
mehreren tausend
liegen. Allein in den Krankenhäusern New Orleans sind mehrere
hundert
Menschen ums Leben gekommen; manche starben noch auf dem Weg in die
Sicherheit, als am Freitag endlich Flugzeuge für ihren Abtransport
zur
Verfügung standen. Die Hospitäler waren im Vorfeld des Sturms
nicht
evakuiert worden, obwohl der Bürgermeister die Einwohner zum
Verlassen
der Stadt aufgefordert hatte. Tausende Patienten mußten vier Tage
ohne
Strom und fließend Wasser ausharren. Die Privatkrankenhäuser
fingen
schließlich an, Privatfirmen für das Bergen ihrer Patienten
zu
engagieren.
Nobelhotels evakuiert
Noch schlimmer waren die Zustände an den beiden zentralen
Sammelstellen, dem Stadion »Superdome« und dem
Kongreßzentrum, wo
zusammen 50000 bis 60000 Menschen Schutz suchten. US-Zeitungen
schreiben von grauenhaften Zuständen: Zu wenig Trinkwasser und
Lebensmittel, unbrauchbare Toiletten, kaum medizinische Versorgung
–
trotz mindestens drei Tagen Vorwarnzeit. Etwa 10000 Menschen, die diese
Hölle bei Temperaturen über 30 Grad durchlitten hatten,
wurden in ein
ähnliches Stadion in Houston, Texas, gebracht. Doch dort scheint
man
auch nicht richtig vorbereitet zu sein: Zumindest ein Teil der
Flüchtlinge muß auf Stühlen übernachten.
Unterdessen erklärte FEMA-Chef
Michael Brown, einer der zentralen Verantwortlichen der
Katastrophenhilfe, er habe bis Freitag nichts von dem
Kongreßzentrum in
New Orleans gewußt, in dem 15000 bis 20000 Menschen hausten. Dort
hatten offensichtlich Gangs die Kontrolle übernommen.
Überlebende
berichteten von vergewaltigten und ermordeten Kindern. Auch im
»Superdome« war es zu Morden an Frauen und Kindern gekommen.
Unterdessen haben zahlreiche Kommentatoren darauf hingewiesen,
daß das
Geld für den Deichbau in den Irak-Krieg geflossen ist. Auch die
Tatsache, daß die Opfer fast ausschließlich farbig und arm
sind, sorgt
für erhebliche Aufregung in der US-Gesellschaft. Als am
vergangenen
Donnerstag endlich die ersten Busse Menschen aus der Stadt fuhren,
wurden zuerst die Gäste des Nobelhotels Hyatt evakuiert. In
Washington
hat die Vereinigung Schwarzer Parlamentarier eine
Untersuchungskommission beantragt. Manches deutet darauf hin, daß
Präsident Bush nach Hurrikan »Katrina«
ein politisches Erdbeben bevorsteht.