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jW, 07.09.2006 / Schwerpunkt / Seite 3

Keine Wende in Sicht

Institut für Wirtschaftsforschung: Trotz deur Zunahme klimabedingter Naturkatastrophen werden mehr Treibhausgase in die Luft geblasen

Wolfgang Pomrehn

Die Treibhausgasemissionen nehmen weiter zu. Das geht aus einem jüngst veröffentlichten Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Trotz Hitzerekrekorden und zerstörerischen Hurrikanen wird es in vielen Ländern immer unwahrscheinlicher, daß das Reduktionsziel des Kyoto-Protokolls erreicht wird. In den Jahren 2008 bis 2012 sollen die Industriestaaten ihre Emissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 um durchschnittlich fünf Prozent reduziert haben. Tatsächlich ist im vergangenen Jahr aber der Ausstoß dieser Ländergruppe leicht gestiegen.

Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und einige andere wirken in der Erdatmosphäre isolierend, das heißt, sie sorgen dafür, daß die Wärmestrahlung der Erdoberfläche nicht ohne weiteres ins Weltall entweichen kann. Je höher die Konzentration dieser Gase in den unteren Luftschichten, desto mehr der einfallenden Sonnenenergie wird im Klimasystem gespeichert, und desto wärmer wird es im globalem Mittel auf der Erde. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich das globale Klima bereits um 0,9 Grad Celsius erwärmt, 0,6 Grad sind allein in letzten 30 Jahren hinzugekommen.

EU verfehlt Kyoto-Ziel

Bereits seit rund 15 Jahren sind sich die meisten Staaten einig, daß im Prinzip etwas gegen den drohenden Klimawandel getan werden muß. 1997 wurden die Vorstellungen mit dem sogenannten Kyoto-Protokoll etwas konkretisiert, doch einer der Hauptverursacher, die USA, auf deren Konto allein rund 20 Prozent der weltweiten Emissionen gehen, weigert sich beharrlich, den Vertrag zu ratifizieren.

Auch die EU ist allerdings weit davon entfernt, ihren Verpflichtungen nachzukommen. In der EU-15, das heißt den älteren Mitgliedern, die in Kyoto eine gemeinsame Verpflichtung von insgesamt acht Prozent Reduktion eingegangen waren, sind die Emissionen 2005 zwar leicht rückläufig gewesen. Nach DIW-Angaben liegen sie aber noch immer gut vier Prozent über dem Wert von 1990. Mit anderen Worten: Die EU-15-Staaten sind noch zwölf Prozentpunkte von ihrem Ziel entfernt. Seinerzeit hatten sie sich darauf geeinigt, die Last untereinander ungleichmäßig aufzuteilen. Vor allem südeuropäischen Ländern wurde eine zum Teil erhebliche Emissionssteigerung zugestanden, während andere, darunter Deutschland, um so stärker reduzieren wollten. Während es nach den Zahlen des DIW wider Erwarten so aussieht, als ob Deutschland tatsächlich sein Ziel erreichen könnte, sind andere Länder wie Spanien, Portugal, Luxemburg und Österreich weit vom Ziel entfernt. Im Falle Luxemburgs liegt das aber unter anderem auch am Tanktourismus der Nachbarn.

Stark angestiegen sind auch die Emissionen des internationalen Schiff- und Luftverkehrs sowie vermutlich des Militärs, die bisher nicht von den Klimaschutzverträgen erfaßt werden. Über den militärischen Bereich gibt es nicht einmal eine Informationspflicht, und bei den Emissionen aus dem internationalen Verkehr konnten man sich bisher nicht einigen, wie sie den einzelnen Staaten zuzuordnen sind.

China weit hinten

Musterknaben wider Willen sind hingegen die Länder Osteuropas. Dort sind zwar in den letzten Jahren die Treibhausgasemissionen wieder angestiegen. Aufgrund des wirtschaftlichen Zerfalls nach 1990 liegen sie allerdings noch immer weit unter dem Niveau des Referenzjahres. Angestiegen sind hingegen die Emissionen der Entwicklungsländer. Entsprechend werden hierzulande und in anderen Industriestaaten Rufe laut, auch Länder wie China und Indien müßten Reduktionsverpflichtungen übernehmen. Dabei wird gern übersehen, daß dort die Emissionen im Vergleich zu hiesigen Verhältnissen noch immer minimal sind. Im Jahre 2000 betrugen die jährlichen Pro-Kopf-CO2-Emissionen in den USA 20,5 Tonnen, in der BRD 10,1, in China 1,9 und in Indien 1,0 Tonnen.

Verhandlungen im Schneckentempo

Seit Ende der 1980er Jahre gibt es internationale Verhandlungen über einen globalen Klimaschutz. 1992 wurde auf dem UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro die Klimaschutzrahmenkonvention (UNFCCC) unterzeichnet. Darin verpflichteten sich die Industriestaaten, ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahre 2000 auf das Niveau von 1990 zu beschränken. Später setzte sich allerdings auf Druck der USA die Ansicht durch, daß diese Verpflichtung keinen bindenden Charakter gehabt hatte. Die meisten westlichen Industriestaaten verfehlten entsprechend das Ziel. In Osteuropa sorgte der allgemeine ökonomische Niedergang für eine Planübererfüllung – Deutschlands Bilanz wurde durch die Deindustrialisierung der östlichen Bundesländer geschönt.

Als Ziel der Rahmenkonvention wurde seinerzeit formuliert, daß es darum gehe, »die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird« (UNFCCC, Artikel 2). Um dieses Ziel ist es schlecht bestellt. Die 1997 im japanischen Kyoto verabredeten Reduktionsziele sind viel zu bescheiden, und die Emissionen nehmen weiter zu. In den Verhandlungen wurden daher in den vergangenen Jahren zwei neue Ziele formuliert. Das eine ist die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf zwei Grad Celsius. Selbst das wird schon sehr schwer sein, denn Temperaturen und Meeresspiegel werden noch Jahrzehnte weiter steigen, wenn die Emissionen längst auf ein verträgliches Maß reduziert sind. Das liegt an der Trägheit des Klimasystems. Vor allem die Ozeane und die polaren Eisschilde reagieren auf die Veränderungen in der Atmosphäre nur mit erheblicher Verzögerung.

Zum anderen wird in letzter Zeit desöfteren über Anpassungsstrategien gesprochen, die geplant und finanziert werden müssen. In einigen Ländern wie Deutschland beginnen derzeit die ersten Bestandsaufnahmen über die zu erwarteten Veränderungen. Herauskommen wird zum Beispiel, daß der Hochwasserschutz an den Flüssen und an der Nordsee dringend verbessert werden muß, daß die Alpengletscher nahezu verschwinden werden, was ernsthafte Folgen für die Wasserwirtschaft im Südwesten haben wird, und daß ostdeutsche Landwirte trockenheitsresistente Sorten brauchen. Außerdem steht dem Land eine sehr schwierige Diskussion über die Rückverlegung der Deiche bevor. Das Wattenmeer in der Nordsee, eine der artenreichsten Regionen der Weltmeere, ist mittelfristig vom Meeresspiegelanstieg bedroht. Dieses für die Fischerei wegen seiner hohen Produktivität unverzichtbare Ökosystem wird nur erhalten bleiben, wenn sich das Watt in flacheren Zonen neu bilden kann. Die Deiche müßten also ins Landesinnere verlegt und Land aufgegeben werden, damit das Wattenmeer wandern kann. Keine Forderung, mit der sich an der Küste Wahlkämpfe gewinnen ließen.

Doch Deutschland ist ein reiches Land und kann sich die Anpassungsmaßnahmen und etwaige Ernteausfälle ohne weiteres leisten. In vielen Entwicklungsländern sieht die Lage hingegen ganz anders aus. Dort werden die Umweltveränderungen oft viel gravierender sein, während die Mittel, ihrer Herr zu werden, minimal sind. Am schwersten wird es einige Inselstaaten im südlichen Pazifik und eventuell auch im indischen Ozean treffen. Manche von ihnen liegen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Sie könnten in den nächsten Jahrzehnten also schlicht untergehen. Aber nicht nur der steigende Meeresspiegel gefährdet sie. Die zunehmenden und gewalttätiger werdenden Stürme drohen sie zu verwüsten. Solche Stürme können dazu führen, daß Meerwasser in die natürlichen Trinkwasserreservoirs eindringt und die Inseln so unbewohnbar machen.

Jan Kowalzig, Leiter der Klimakampagne der internationalen Umweltschutzorganisation »Friends of the Earth«, meint dazu: »Die Ärmsten der Armen werden zuerst und am härtesten getroffen, obwohl sie am wenigsten zu den Ursachen beigetragen haben.« Seine Organisation fordert daher von der Europäischen Union nicht nur, daß sie ihre Treibhausgase wesentlich stärker reduziert, sondern daß sie den Entwicklungsländern bei der Anpassung hilft. Lateinamerika habe in den letzten 50 Jahren bloß vier Prozent zu den Treib­hausgasemissionen beigetragen, die EU hingegen 22 Prozent. »Der Verschmutzer muß zahlen«, meint Kowalzig. Weniger als 300 Millionen Euro pro Jahr würde bisher von der EU zur Verfügung gestellt, aber die realen Kosten würden in den nächsten 20 Jahren tausendmal höher sein.