13.11.2006 / Schwerpunkt / Seite 3
Klimaforscher schlagen Alarm
Während die Politiker weiter verhandeln, nehmen sowohl die
Warnungen der Wissenschaftler als auch die Treibhausgasemissionen zu
Von Wolfgang Pomrehn
Auf dem UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro hatten sich 1992 die
Regierungen fast aller Staaten darauf geeinigt, »die
Stabilisierung der
Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu
erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene (von Menschen
gemachte) Störung des Klimasystems
verhindert wird«. Doch wo genau diese gefährliche Grenze
liegt, ist
offen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sieht sie bei zwei Grad
Celsius Erwärmung. Auch andere Regierungen haben in den letzten
Jahren
diese Zahl genannt, doch eine verbindliche Festlegung gibt es noch
nicht.
Von diesen zwei Grad sind 0,6 bis 0,8 Grad bereits erreicht. So stark
hat sich das globale Klima
in den letzten 100 Jahren erwärmt. Dazu werden, wenn die
Treibhausgase
weiter unbegrenzt zunehmen, bis zum Ende des Jahrhunderts
zusätzliche
1,4 bis 5,8 Grad kommen. Davon ging 2001 der IPCC in seinem letzten
Bericht aus, jener wissenschaftliche Beirat der UNO, der in
reglmäßigen
Abständen den Kenntnisstand zusammenträgt. Am genannten
Bericht haben
seinerzeit über 2000 Klimaforscher aus
aller Welt mitgeschrieben.
Inzwischen
befindet sich ein neuer Bericht in der Diskussion. Zu den Ergebnissen
stellte der scheidende UN-Generalsekretär Kofi Annan vergangene
Woche
in einem Artikel in der Washington Post fest: »Der
wissenschaftliche
Konsens, seit längerem klar und eindeutig, bewegt sich heute
schneller
auf das alarmierende Ende der Vorhersagen zu. Viele für ihre
Zurückhaltung bekannte Wissenschaftler sagen inzwischen, daß
die
Erwärmung ein Niveau erreicht hat, an dem Wechselwirkungen
angestoßen
werden könnten, die uns gefährlich nahe an einen Punkt
bringen, von dem
es kein Zurück mehr gibt.« Gemeint sind damit Prozesse wie
das Auftauen
des Permafrostbodens im hohen Norden oder der Rückzug des
arktischen
Meereises. Beides könnte die Erderwärmung in den
nächsten Jahrzehnten
weiter beschleunigen.
Das legt die Annahme nahe, daß zwei Grad
Celsius Erwärmung eher das obere Ende des Erträglichen sind.
Zumal
neuere wissenschaftliche Ergebnisse darauf hindeuten, daß sich
das
globale Klima deutlich von dem der letzten
Millionen Jahre unterscheidet, jener Periode der Erdgeschichte, in der
sich Warm- und Eiszeiten regelmäßig abgewechselt haben.
Davor war es
deutlich wärmer und der Meeresspiegel etliche Dutzend Meter
höher.
Jüngste
Untersuchungen zeigen zum Beispiel, daß in den letzten 800000
Jahren
die atmosphärische CO2-Konzentration nie 300 ppm (parts per
million)
überschritten hat. Derzeit hat sie bereits einen Wert von 380 ppm
erreicht, womit das Klimasystem schon weit
jenseits der Zustände des Eems wäre, jener Warmzeit vor
130000 Jahren, in der das Klima
deutlich wärmer als derzeit war, aber auch erheblich instabiler.
Daß
die Temperaturen bisher noch nicht das Eem-Niveau erreicht haben, liegt
einzig an der Trägheit des globalen Klimasystems.
Würden die Treibhausgaskonzentrationen auf dem gegenwärtigen
Niveau
bleiben, so würde die Temperatur noch mehrere Jahrzehnte weiter
steigen. Tatsächlich nimmt aber die CO2-Konzentration
jährlich um drei
ppm zu, und die weltweiten Emissionen haben sich in den letzten Jahren
allen Klimaverhandlungen zum Trotz sogar
noch beschleunigt.