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jW, 09.09.2006 / Kapital
& Arbeit / Seite 9
Recht auf
Verschmutzung
Stromkonzern
RWE hält Klimaschädlichkeit der Braunkohleverstromung
für »subjektive Wahrnehmung« und verlangt
Schadenersatz für eine Greenpeace-Protestaktion
Wolfgang Pomrehn
Offenbar schlagen in
einigen Konzernetagen die Supergewinne, die Deutschlands
Stromoligopolisten derzeit einfahren, auf die Gehirne. »Ob
es Klimaveränderungen geben wird, ist wissenschaftlich nicht
bewiesen«, ließ Kraftwerksbetreiber RWE Mitte der Woche in
einem Rechtsstreit mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace wissen.
Daß die Braunkohle besonders klimaschädlich ist, sei
lediglich »eine subjektive Wahrnehmung«. Der
Stromkonzern trifft sich derzeit vor dem Oberlandesgericht mit
Greenpeace, weil deren Aktivisten im Mai 2004 im
nordrhein-westfälischen Braunkohletagebau Hambach einen der
riesigen Bagger blockiert hatten. RWE fordert nun Schadenersatz. Die
Umweltschützer wollen hingegen mit dem Prozeß die Frage der
Verantwortung für den globalen Klimawandel vor die Gerichte
bringen. Dabei beruft man sich darauf, daß die Nutzung der
Braunkohle gegen das »völkerrechtliche Verbot
grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen«
verstößt. Entsprechend sei die Aktion wegen eines
»Notstandes« gerechtfertigt gewesen. Bei RWE beharrt man
hingegen, darauf, daß der Tagebau im Einklang mit den Gesetzen
erfolge. Im übrigen sei die »Gewährleistung der
Stromversorgung ein Gemeinwohlbelang«. Soll heißen, RWE
arbeitet ganz selbstlos zu unser aller Nutzen.
Gas als
Alternative
Anlaß der
Greenpeace-Aktion war eine internationale Konferenz für
erneuerbare Energieträger gewesen. Bei dieser Gelegenheit wollte
man gegen die Braunkohle als besonders umweltschädliche Form der
Energiegewinnung protestieren. Fossile Energieträger wie Erdgas,
Benzin, Diesel und Kohle haben zwar alle den Nachteil, daß bei
ihrer Verbrennung das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) entsteht. Die
Schädlichkeit ist allerdings recht unterschiedlich: Pro
Kilowattstunde erzeugter Energie ist der CO2-Ausstoß von Erdgas
am geringsten. Beim Heizöl ist sie um ein Drittel höher, bei
der Steinkohle um zwei Drittel und bei der Braunkohle ist der
spezifische CO2-Ausstoß fast doppelt so hoch wie beim Erdgas.
Umweltverbände und ökologisch orientierte Ingenieure werben
daher schon seit längerem dafür, Gasturbinenkraftwerke zu
bauen, wenn man schon auf fossile Energieträger zurückgreifen
will. Moderne Ausführungen dieses Kraftwerktyps haben mit Abstand
die niedrigsten spezifischen Emissionen und zudem einen wesentlichen
Versorgungsvorteil gegenüber den schwerfälligen
Kohlekraftwerken: Sie sind sehr flexibel und können in sehr kurzen
Zeiträumen hoch- und runtergefahren werden. Damit können sie
sowohl für den Grundlast- als auch für den Spitzenlastbetrieb
eingesetzt werden.
Kanzlerin
als Kohlefreundin
Interessant ist
die Haltung der Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel ließ es
sich nicht nehmen, Ende August gemeinsam mit RWE-Chef Harry Roels und
Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Jürgen
Rüttgers, den Grundstein für ein neues Braunkohlekraftwerk in
Grevenbroich-Neurath (NRW) zu legen. Offensichtlich hat die
schmutzigste aller fossilen Technologien bei der Physikerin
höchste Priorität. Braunkohle bleibe für Deutschland
unverzichtbar, so Merkel beim Spatenstich in Grevenbroich-Neurath. Sie
sei kostengünstig und sichere eine gewisse Unabhängigkeit von
Energieimporten. 2,2 Milliarden Euro soll der Neubau kosten. Bei
Greenpeace hält man das für eine glatte Fehlinvestition.
Gabriela von Goerne, die die Klimakampagne der deutschen Sektion der
Umweltschützer leitet: »Statt Milliarden Euro für
ineffiziente, klimaschädliche Kraftwerke zu verschenken,
müssen Politik und RWE endlich die Energieversorgung neu gestalten
und erneuerbare Energien massiv fördern. Das schafft
Arbeitsplätze und sichert eine lebenswerte Zukunft.«
Bei Greenpeace
kritisiert man vor allem auch, daß derartige Investitionen in
Großkraftwerke, langfristige Weichenstellungen darstellen. Das
neue Kraftwerk wird mindestens 40 Jahre laufen. Das Geld fehlt für
die Entwicklung sauberer Energieträger, und außerdem werden
neue Großkraftwerke als Argument gegen alternative Energiequellen
dienen. Die Besitzer werden darauf bestehen, daß sich die
umfangreichen Investitionen auch amortisieren. Daher muß die
Landschaftszerstörung durch den Tagebau weitergehen und in den
Kraftwerken möglichst viel Braunkohle in Treibhausgase und Strom
verwandelt werden.
Bei Greenpeace
geht man derweil davon aus, daß der Rechtsstreit mit RWE in die
nächste Runde gehen wird. Die Beweisaufnahme wurde mit den
Stellungnahmen der Beteiligten am Mittwoch abgeschlossen, aber ein
Urteil wird nicht vor dem 12. Oktober erwartet. Danach wird man wohl in
die nächste Instanz gehen müssen, denn in der mündlichen
Verhandlungen habe der Richter sich schwergetan, die Folgen des
Klimawandels in die Rechtsprechung einzubeziehen, bewertete eine
Greenpeace-Sprecherin den Prozeßverlauf. Bis also
tatsächlich die Verursacher der schädlichen und vermeidbaren
Emissionen von Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden, wird noch
einige Zeit vergehen.