* Christian-Dietrich Schönwiese lehrt seit 1981 am Institut
für
Meteorologie und Geophysik der Universität Frankfurt am Main,
dessen
Direktor er zeitweise war, ist geschäftsführender Direktor
des
fachübergreifenden Zentrums für Umweltforschung an der
Universität
Frankfurt und Mitarbeiter des zwischenstaatlichen Ausschusses für
Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC).
Letzterer versammelt im Auftrag der UNO und der
Weltmeteorologie-Organisation die führenden Klimaforscher des
Planeten,
die in ihren Berichten den Stand der Wissenschaft zusammentragen und
Handlungsempfehlungen entwickeln. Zu Schönwieses
Arbeitsschwerpunkten
gehört die statistische Analyse beobachteter Klimavariationen vor
allem
der letzten 100 Jahre. Zahlreiche wissenschaftliche und
populärwissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema
Klimawandel und
antropogener, das heißt, menschlich verursachter Treibhauseffekt
F: Bangladesh steht zur Hälfte unter Wasser, Überschwemmungen
auch in
Teilen Indiens und Nepals sowie in einigen Gebieten Ostasiens und nicht
zuletzt in Mitteleuropa. Eine Station im Erzgebirge hat dieser Tage mit
312 Millimeter den höchsten je in Deutschland an einem einzelnen
Tag
gemessenen Niederschlag zu verzeichnen gehabt. Seit Anfang August
starben in Südrußland, in der Tschechischen Republik, in
Bulgarien, in
Südkorea, Bangladesh, Österreich und Deutschland mehrere
hundert
Menschen in Folge der Unwetter. Sind das die Vorboten des Klimawandels?
So einfach ist der Zusammenhang zwischen Wetter und Klima nicht. Das
Wetter ist immer launisch gewesen, und das Klima kann man nur über
einen längeren Zeitraum beurteilen. Bei der Temperatur und zum
Teil
auch bei den Niederschlägen sehen wir eindeutige Trends, eine
deutliche
Zunahme, und können auch Ursachen abschätzen, insbesondere
inwieweit
der Mensch daran beteiligt ist. Bei extremen Ereignissen wie
Stürmen
ist das komplizierter. Da gibt es unter Wissenschaftlern noch
Meinungsverschiedenheiten, ob die tatsächlich zunehmen oder nicht.
F: Aber am Klimawandel haben Sie keinen Zweifel?
Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Die
Meßgröße, die das am
besten zeigt, ist die bodennahe Lufttemperatur. Die hat im weltweiten
Mittel in den letzten 100 Jahren um etwa 0,6 Grad zugenommen. Regional
und jahreszeitlich fiel das sehr unterschiedlich aus, in Deutschland
ist es etwa um ein Grad wärmer geworden.
F: Das hört sich für den Laien nicht unbedingt dramatisch an.
Richtig, aber wir reden vom Klima, nicht vom Wetter. Das ist ein
großer
Unterschied. Bei Klimabetrachtungen geht es immer um
längerfristige
Mittelwerte über zehn, 20, 30 oder mehr Jahre. Wetter ist hingegen
ein
Augenblicksereignis. Um zu verstehen, was diese Zunahme der global
gemittelten bodennahen Temperatur um 0,6 Grad bedeutet, muß man
sich
vor Augen halten, daß dieser Wert in den vergangenen zehntausend
Jahren
nach der letzten Eiszeit um nicht mehr als ein Grad nach oben und ein
Grad nach unten geschwankt hat. Das Klima ist also wesentlich weniger
variabel als das Wetter, aber die Auswirkungen von Klimaänderungen
sind
viel erheblicher. Ein Beispiel: Die Alpengletscher sind gegenüber
Wetteränderungen vollkommen unempfindlich. Ob es mal von einen Tag
auf
den anderen um 20 Grad oder mehr wärmer wird, hat auf die
Ausdehnung
der Gletscher keinen Einfluß. Aber diese 0,6 Grad
Temperaturanstieg in
den letzten 100 Jahren haben dazu geführt, daß etwa die
Hälfte der
Alpengletscher verschwunden ist. Die Vegetation reagiert ähnlich
empfindlich auf Klimaänderungen, während sie die heftigeren
Wetteränderungen mehr oder minder wegsteckt. Das ist so ein
natürlicher
Schutzmechanismus. Physikalisch sprechen wir von der Trägheit der
Systeme. Beim Meeresspiegel ist es noch drastischer, der reagiert noch
langsamer.
F: Lassen die abschmelzenden Gletscher das Meer nicht ansteigen?
Nicht die Gebirgsgletscher. Deren Masse ist viel zu gering, um den
Meeresspiegel spürbar beeinflussen zu können. Und die
großen Eisschilde
Grönlands und der Antarktis reagieren extrem langsam. Vielmehr ist
die
thermische Ausdehnung des Ozeans hauptsächlich für den
Anstieg
verantwortlich. Dennoch ist der Rückgang der Gletscher
problematisch.
Zum Beispiel verlagert sich gleichzeitig auch die Schneegrenze nach
oben, was unter anderem für den Wintersport ein Problem ist.
Außerdem
sind Gletscher für die Wasserversorgung wichtig. Einige
Gebirgsdörfer
sind von Gletscherabflüssen abhängig. Auch die Frostgrenze
verlagert
sich mit dem Gletscherrückgang nach oben, was die
Gebirgshänge labil
macht. Die fangen an zu rutschen, besonders wenn auch noch starker
Niederschlag wie derzeit hinzukommt. Muren nennt man das in den Alpen.
F: Einige große Flüsse wie der Rhein speisen sich aus
Gletschern. Versiegen die, wenn die Gletscher verschwinden?
Es kann Probleme geben, allerdings werden die Flüsse auch durch
Niederschläge gespeist und die nehmen in Deutschland zu. Damit
wären
wir nach der Temperatur bei der zweiten relevanten klimatologischen
Größe, die allerdings räumlich und zeitlich wesentlich
variabler ist.
Der Sommerniederschlag hat bisher in Deutschland langfristig
abgenommen, allerdings scheint sich dieser Trend in den letzten Jahren
umgekehrt zu haben. Untersuchungen zeigen, daß hierzulande die
Zahl der
starken Niederschläge zunimmt. Der Winterniederschlag nimmt schon
länger drastisch zu, und zwar um zirka 20 bis 30 Prozent in den
vergangenen 30 Jahren. Das variiert natürlich von Region zu
Region.
Diese Zunahme im Winter hat vor allem damit zu tun, daß es auch
in der
kalten Jahreszeit mehr Extremereignisse gibt, sprich Unwetter. Das
schreibt zum Beispiel auch der IPCC in seinem letzten Bericht. Und da
es sich zum einen in unseren Breiten um Regen handelt, der sofort
abfließt, und dieser zum anderen geballt fällt, bedeutet das
mehr
Hochwasser. Das erklärt auch, weshalb wir im letzten Jahrzehnt so
viele
»Jahrhunderhochwasser« erlebt haben. In anderen Regionen
Europas gibt
es allerdings einen langfristigen Rückgang des Niederschlags, was
vor
allem im Mittelmeerraum brisant ist.
F: Von der Zunahme der Extremereignisse sind andere Weltregionen noch
viel stärker betroffen als Deutschland, das zumindest über
einen guten
Katastrophenschutz verfügt. In Ländern wie Moçambique,
Indien oder
Bangladesh sieht es ganz anders aus. Nicht zuletzt wegen fehlender
technischer und sanitärer Ausrüstungen sterben dort bei
Umweltkatastrophen gewöhnlich ungleich mehr Menschen. Oder nehmen
Sie
China, das nach Ansicht Hamburger Meteorologen damit rechnen muß,
daß
sich ein Ereignis wie die große Flut am Yangtse 1998, bei der
etwa 3000
Menschen starben, künftig alle zehn statt alle 50 Jahre wiederholt.
Das ist sicherlich richtig. Zahlen der Versicherungswirtschaft belegen
außerdem, daß die Schäden durch Überschwemmungen
in den letzten Jahren
erheblich zugenommen haben. Die Erwärmung der Luft und der
Meeresoberfläche bedeutet auch, daß mehr Wasserdampf von der
Luft
aufgenommen werden kann, was wiederum dazu führt, daß die
Niederschläge
intensiver werden.
Und davon waren Länder wie Bangladesh oder China bisher viel
stärker
betroffen als wir in Deutschland. In Bangladesh, das sehr flach ist,
kommt außerdem noch der Anstieg des Meeresspiegels als Problem
hinzu.
Bisher hat uns der keine größeren Probleme beschert. In den
letzten 100
Jahren ist er im globalen Mittel um zirka 20 Zentimeter gestiegen. Auch
hier gibt es regionale Unterschiede, die mit Meeresströmungen und
ähnlichem zusammenhängen. Aber die Vorhersagen für die
kommenden 100
Jahre liegen zwischen zehn und etwa 90 Zentimeter. Letzteres wäre
sehr
schlimm. Dann würden sicherlich einige Inselstaaten im Meer
verschwinden, und auch einige Flußdeltas, wie zum Beispiel
Bangladesch
hätten große Probleme mit Salzwasser, das über die
Flüsse weit ins Land
eindringen und landwirtschaftliche Nutzflächen sowie
Trinkwasserreservoirs verderben würde.
F: Nun gibt es immer noch einige Skeptiker, die meinen, es sei alles
nicht so schlimm und schon gar nicht sei ausgemacht, daß
menschliche
Aktivitäten, also die Verbrennung von Öl und Kohle, am
Klimawandel
schuld sind. Wie sicher sind sich die Wissenschaftler, daß der
Klimawandel auf das Konto des Menschen oder genauer: der
Industriegesellschaft geht?
Sehr sicher. Den Klimawandel kann man nicht wegdiskutieren, auch wenn
einige zum Beispiel lieber die Sonne dafür verantwortlich machen
wollen. Bei Temperatur und Niederschlag ist der Befund ganz eindeutig,
bei den Stürmen wie gesagt weniger. Wir haben im Auftrag des
Umweltbundesamtes eine Studie durchgeführt, die mit statistischen
Methoden nachgewiesen hat, daß der beobachtete Klimawandel zu 60
Prozent auf das Konto des Menschen geht. Sonnenaktivität, das
heißt die
Sonnenflecken, auf die einige Skeptiker gerne verweisen, hat hingegen
nur einen Anteil von etwa vier Prozent. Man weiß aufgrund von
Satellitenmessungen, daß die Sonneneinstrahlung in
Abhängigkeit von der
Sonnenaktivität schwankt, allerdings nur im Promillebereich. Nun
kann
man, wenn die Daten stark geglättet werden, tatsächlich
sehen, daß die
Sonnenaktivität in den letzten Jahrzehnten etwas zugenommen hat.
Also
sagen nun einige Leute: »Die Sonnenaktivität hat zugenommen,
die
Temperatur auch, also muß beides miteinander zu tun haben.«
Meines
Erachtens ist das Augenwischerei. Bei den Statistikern gibt es dieses
viel belachte Beispiel, daß die Zahl der Geburten und der
Störche in
Deutschland gleichzeitig zurückgegangen ist, beide
Größen also einen
eindeutigen statistischen Zusammenhang aufzuweisen scheinen. Aber in
der Realität haben sie ähnlich wenig miteinander zu tun wie
Sonnenflecken und Klima.
F: Der IPCC hat festgestellt, daß das Klima nur stabilisiert
werden
kann, wenn in den nächsten Jahrzehnten die Industriestaaten ihre
Treibhausgasemissionen um zirka 80 Prozent reduzieren - ausgehend vom
1990er Niveau, das einige Länder inzwischen weit hinter sich
gelassen
haben.
Ja, das hat seinerzeit sogar die Enquetekommission des Deutschen
Bundestages Schutz der Erdatmosphäre gefordert. Schon vor etlichen
Jahren hat sie festgestellt, daß weltweit der Ausstoß des
wichtigsten
Treibhausgases Kohlendioxid um rund 50 Prozent gemindert werden
müßte,
um das Klima zu stabilisieren. Und da man den Entwicklungsländern,
deren Emissionen schon jetzt wesentlich geringer sind, nicht noch mehr
zumuten kann, heißt das, daß die Industriestaaten
überproportional
reduzieren müssen, zumal sie die Hauptverantwortlichen sind. So
ist die
Zahl 80 Prozent zustande gekommen. Das Kyoto-Protokoll, also die
Fortschreibung der UN-Klimarahmenkonvention, sieht allerdings für
die
Industriestaaten nur fünf Prozent Reduktion vor.
F: Was vollkommen unzureichend ist.
Vollkommen unzureichend. Und letztes Jahr in Marrakesch hat man sogar
in Zusatzvereinbarungen noch diverse Schlupflöcher aufgemacht.
Einige
meinen daher, daß aus den fünf Prozent vielleicht zwei oder
drei
werden. Das ist fast lachhaft, aber immer noch besser als gar nichts.
Allerdings muß in den nächsten Jahren wesentlich zugelegt
werden.
F: Nun muß ja dieses schwache Abkommen die Bundesregierung nicht
davon abhalten, zu Hause mehr zu machen.
Richtig. Deutschland hat seine Treibhausgase seit 1990 um etwa 18
Prozent reduziert. Angestrebt waren mal 25 Prozent; gegenüber der
EU
hat man sich auf 21 Prozent verpflichtet. Aber bisher ist die Reduktion
vor allem ein Nebeneffekt der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den
neuen Bundesländern und nur zu einem relativ geringen Teil
Ergebnis
gezielter Klimaschutzpolitik. Ob wir also das gesetzte Ziel erreichen,
ist durchaus fraglich.
F: Was müßte in Deutschland für den Klimaschutz getan
werden?
Die Bundesregierung hat durchaus einiges unternommen, aber ich habe den
Eindruck, daß die Öffentlichkeit das nicht richtig
mitträgt. Auch der
einzelne muß mitziehen. Das fängt damit an, daß man
zum Beispiel statt
des Autos die Bahn nimmt oder im Winter vernünftiger mit der
Heizung
umgeht. Man darf nicht alles auf die Politiker schieben.
F: Allerdings wird, wer sich umweltfreundlich verhalten will, nicht
gerade belohnt. Wer Fahrrad fährt, ist gelackmeiert, und Bahn
fahren
wird mehr und mehr zur Qual. Muß man nicht von der Regierung
erwarten,
daß sie die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft?
Das ist richtig. Ich ärgere mich auch als Bahnfahrer und als
Nutzer des
öffentlichen Nahverkehrs. In den letzten 20 Jahren sind in
Frankfurt
die Preise im Nahverkehr um das Vierfache gestiegen. Auch die Bahn ist
teuer und unzuverlässiger geworden. Die müßte viel
stärker
subventioniert werden. Aber das Hauptproblem ist der Energiebereich.
Wir müssen weg von der Kohle, die ist das Schlimmste. Von den
fossilen
Energieträgern ist Gas der effizienteste, das heißt, beim
Erdgas ist
das Verhältnis von Leistung und Treibhausgasausstoß am
günstigsten. Es
gibt genügend Studien, die zeigen, daß man die Halbierung
des
Kohlendioxidausstoßes technologisch problemlos erreichen
könnte, wenn
man nur wollte. Aber die politischen Rahmenbedingungen stimmen nicht.
F: Sie sind nicht nur Meteorologe, sondern auch Frankfurter. Engagieren
Sie sich wegen des Klimaschutzes gegen den Flughafenausbau?
Nein, ich wohne nicht in Frankfurt, hierher hat es mich beruflich
verschlagen. Der Flugverkehr trägt zur Zeit mit etwa einem Prozent
zur
Klimaproblematik bei, da sehe ich nicht das Hauptproblem. Allerdings
machen mir die hohen Steigerungsraten Sorgen sowie die
Kurzstreckenflügen, die vollkommen überflüssig sind.