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jW, 17.08.2002 / Ansichten / Seite 4 (Beilage)

»Die Niederschläge werden intensiver«

jW-Wochenend-Gespräch mit Christian-Dietrich Schönwiese über Unwetter, Klimaänderungen und unzureichende Klimaschutzabkommen

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Christian-Dietrich Schönwiese lehrt seit 1981 am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Frankfurt am Main, dessen Direktor er zeitweise war, ist geschäftsführender Direktor des fachübergreifenden Zentrums für Umweltforschung an der Universität Frankfurt und Mitarbeiter des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC). Letzterer versammelt im Auftrag der UNO und der Weltmeteorologie-Organisation die führenden Klimaforscher des Planeten, die in ihren Berichten den Stand der Wissenschaft zusammentragen und Handlungsempfehlungen entwickeln. Zu Schönwieses Arbeitsschwerpunkten gehört die statistische Analyse beobachteter Klimavariationen vor allem der letzten 100 Jahre. Zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Klimawandel und antropogener, das heißt, menschlich verursachter Treibhauseffekt

F: Bangladesh steht zur Hälfte unter Wasser, Überschwemmungen auch in Teilen Indiens und Nepals sowie in einigen Gebieten Ostasiens und nicht zuletzt in Mitteleuropa. Eine Station im Erzgebirge hat dieser Tage mit 312 Millimeter den höchsten je in Deutschland an einem einzelnen Tag gemessenen Niederschlag zu verzeichnen gehabt. Seit Anfang August starben in Südrußland, in der Tschechischen Republik, in Bulgarien, in Südkorea, Bangladesh, Österreich und Deutschland mehrere hundert Menschen in Folge der Unwetter. Sind das die Vorboten des Klimawandels?

So einfach ist der Zusammenhang zwischen Wetter und Klima nicht. Das Wetter ist immer launisch gewesen, und das Klima kann man nur über einen längeren Zeitraum beurteilen. Bei der Temperatur und zum Teil auch bei den Niederschlägen sehen wir eindeutige Trends, eine deutliche Zunahme, und können auch Ursachen abschätzen, insbesondere inwieweit der Mensch daran beteiligt ist. Bei extremen Ereignissen wie Stürmen ist das komplizierter. Da gibt es unter Wissenschaftlern noch Meinungsverschiedenheiten, ob die tatsächlich zunehmen oder nicht.

F: Aber am Klimawandel haben Sie keinen Zweifel?

Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Die Meßgröße, die das am besten zeigt, ist die bodennahe Lufttemperatur. Die hat im weltweiten Mittel in den letzten 100 Jahren um etwa 0,6 Grad zugenommen. Regional und jahreszeitlich fiel das sehr unterschiedlich aus, in Deutschland ist es etwa um ein Grad wärmer geworden.

F: Das hört sich für den Laien nicht unbedingt dramatisch an.

Richtig, aber wir reden vom Klima, nicht vom Wetter. Das ist ein großer Unterschied. Bei Klimabetrachtungen geht es immer um längerfristige Mittelwerte über zehn, 20, 30 oder mehr Jahre. Wetter ist hingegen ein Augenblicksereignis. Um zu verstehen, was diese Zunahme der global gemittelten bodennahen Temperatur um 0,6 Grad bedeutet, muß man sich vor Augen halten, daß dieser Wert in den vergangenen zehntausend Jahren nach der letzten Eiszeit um nicht mehr als ein Grad nach oben und ein Grad nach unten geschwankt hat. Das Klima ist also wesentlich weniger variabel als das Wetter, aber die Auswirkungen von Klimaänderungen sind viel erheblicher. Ein Beispiel: Die Alpengletscher sind gegenüber Wetteränderungen vollkommen unempfindlich. Ob es mal von einen Tag auf den anderen um 20 Grad oder mehr wärmer wird, hat auf die Ausdehnung der Gletscher keinen Einfluß. Aber diese 0,6 Grad Temperaturanstieg in den letzten 100 Jahren haben dazu geführt, daß etwa die Hälfte der Alpengletscher verschwunden ist. Die Vegetation reagiert ähnlich empfindlich auf Klimaänderungen, während sie die heftigeren Wetteränderungen mehr oder minder wegsteckt. Das ist so ein natürlicher Schutzmechanismus. Physikalisch sprechen wir von der Trägheit der Systeme. Beim Meeresspiegel ist es noch drastischer, der reagiert noch langsamer.

F: Lassen die abschmelzenden Gletscher das Meer nicht ansteigen?

Nicht die Gebirgsgletscher. Deren Masse ist viel zu gering, um den Meeresspiegel spürbar beeinflussen zu können. Und die großen Eisschilde Grönlands und der Antarktis reagieren extrem langsam. Vielmehr ist die thermische Ausdehnung des Ozeans hauptsächlich für den Anstieg verantwortlich. Dennoch ist der Rückgang der Gletscher problematisch. Zum Beispiel verlagert sich gleichzeitig auch die Schneegrenze nach oben, was unter anderem für den Wintersport ein Problem ist. Außerdem sind Gletscher für die Wasserversorgung wichtig. Einige Gebirgsdörfer sind von Gletscherabflüssen abhängig. Auch die Frostgrenze verlagert sich mit dem Gletscherrückgang nach oben, was die Gebirgshänge labil macht. Die fangen an zu rutschen, besonders wenn auch noch starker Niederschlag wie derzeit hinzukommt. Muren nennt man das in den Alpen.

F: Einige große Flüsse wie der Rhein speisen sich aus Gletschern. Versiegen die, wenn die Gletscher verschwinden?

Es kann Probleme geben, allerdings werden die Flüsse auch durch Niederschläge gespeist und die nehmen in Deutschland zu. Damit wären wir nach der Temperatur bei der zweiten relevanten klimatologischen Größe, die allerdings räumlich und zeitlich wesentlich variabler ist. Der Sommerniederschlag hat bisher in Deutschland langfristig abgenommen, allerdings scheint sich dieser Trend in den letzten Jahren umgekehrt zu haben. Untersuchungen zeigen, daß hierzulande die Zahl der starken Niederschläge zunimmt. Der Winterniederschlag nimmt schon länger drastisch zu, und zwar um zirka 20 bis 30 Prozent in den vergangenen 30 Jahren. Das variiert natürlich von Region zu Region. Diese Zunahme im Winter hat vor allem damit zu tun, daß es auch in der kalten Jahreszeit mehr Extremereignisse gibt, sprich Unwetter. Das schreibt zum Beispiel auch der IPCC in seinem letzten Bericht. Und da es sich zum einen in unseren Breiten um Regen handelt, der sofort abfließt, und dieser zum anderen geballt fällt, bedeutet das mehr Hochwasser. Das erklärt auch, weshalb wir im letzten Jahrzehnt so viele »Jahrhunderhochwasser« erlebt haben. In anderen Regionen Europas gibt es allerdings einen langfristigen Rückgang des Niederschlags, was vor allem im Mittelmeerraum brisant ist.

F: Von der Zunahme der Extremereignisse sind andere Weltregionen noch viel stärker betroffen als Deutschland, das zumindest über einen guten Katastrophenschutz verfügt. In Ländern wie Moçambique, Indien oder Bangladesh sieht es ganz anders aus. Nicht zuletzt wegen fehlender technischer und sanitärer Ausrüstungen sterben dort bei Umweltkatastrophen gewöhnlich ungleich mehr Menschen. Oder nehmen Sie China, das nach Ansicht Hamburger Meteorologen damit rechnen muß, daß sich ein Ereignis wie die große Flut am Yangtse 1998, bei der etwa 3000 Menschen starben, künftig alle zehn statt alle 50 Jahre wiederholt.

Das ist sicherlich richtig. Zahlen der Versicherungswirtschaft belegen außerdem, daß die Schäden durch Überschwemmungen in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben. Die Erwärmung der Luft und der Meeresoberfläche bedeutet auch, daß mehr Wasserdampf von der Luft aufgenommen werden kann, was wiederum dazu führt, daß die Niederschläge intensiver werden.

Und davon waren Länder wie Bangladesh oder China bisher viel stärker betroffen als wir in Deutschland. In Bangladesh, das sehr flach ist, kommt außerdem noch der Anstieg des Meeresspiegels als Problem hinzu. Bisher hat uns der keine größeren Probleme beschert. In den letzten 100 Jahren ist er im globalen Mittel um zirka 20 Zentimeter gestiegen. Auch hier gibt es regionale Unterschiede, die mit Meeresströmungen und ähnlichem zusammenhängen. Aber die Vorhersagen für die kommenden 100 Jahre liegen zwischen zehn und etwa 90 Zentimeter. Letzteres wäre sehr schlimm. Dann würden sicherlich einige Inselstaaten im Meer verschwinden, und auch einige Flußdeltas, wie zum Beispiel Bangladesch hätten große Probleme mit Salzwasser, das über die Flüsse weit ins Land eindringen und landwirtschaftliche Nutzflächen sowie Trinkwasserreservoirs verderben würde.

F: Nun gibt es immer noch einige Skeptiker, die meinen, es sei alles nicht so schlimm und schon gar nicht sei ausgemacht, daß menschliche Aktivitäten, also die Verbrennung von Öl und Kohle, am Klimawandel schuld sind. Wie sicher sind sich die Wissenschaftler, daß der Klimawandel auf das Konto des Menschen oder genauer: der Industriegesellschaft geht?

Sehr sicher. Den Klimawandel kann man nicht wegdiskutieren, auch wenn einige zum Beispiel lieber die Sonne dafür verantwortlich machen wollen. Bei Temperatur und Niederschlag ist der Befund ganz eindeutig, bei den Stürmen wie gesagt weniger. Wir haben im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Studie durchgeführt, die mit statistischen Methoden nachgewiesen hat, daß der beobachtete Klimawandel zu 60 Prozent auf das Konto des Menschen geht. Sonnenaktivität, das heißt die Sonnenflecken, auf die einige Skeptiker gerne verweisen, hat hingegen nur einen Anteil von etwa vier Prozent. Man weiß aufgrund von Satellitenmessungen, daß die Sonneneinstrahlung in Abhängigkeit von der Sonnenaktivität schwankt, allerdings nur im Promillebereich. Nun kann man, wenn die Daten stark geglättet werden, tatsächlich sehen, daß die Sonnenaktivität in den letzten Jahrzehnten etwas zugenommen hat. Also sagen nun einige Leute: »Die Sonnenaktivität hat zugenommen, die Temperatur auch, also muß beides miteinander zu tun haben.« Meines Erachtens ist das Augenwischerei. Bei den Statistikern gibt es dieses viel belachte Beispiel, daß die Zahl der Geburten und der Störche in Deutschland gleichzeitig zurückgegangen ist, beide Größen also einen eindeutigen statistischen Zusammenhang aufzuweisen scheinen. Aber in der Realität haben sie ähnlich wenig miteinander zu tun wie Sonnenflecken und Klima.

F: Der IPCC hat festgestellt, daß das Klima nur stabilisiert werden kann, wenn in den nächsten Jahrzehnten die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen um zirka 80 Prozent reduzieren - ausgehend vom 1990er Niveau, das einige Länder inzwischen weit hinter sich gelassen haben.

Ja, das hat seinerzeit sogar die Enquetekommission des Deutschen Bundestages Schutz der Erdatmosphäre gefordert. Schon vor etlichen Jahren hat sie festgestellt, daß weltweit der Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid um rund 50 Prozent gemindert werden müßte, um das Klima zu stabilisieren. Und da man den Entwicklungsländern, deren Emissionen schon jetzt wesentlich geringer sind, nicht noch mehr zumuten kann, heißt das, daß die Industriestaaten überproportional reduzieren müssen, zumal sie die Hauptverantwortlichen sind. So ist die Zahl 80 Prozent zustande gekommen. Das Kyoto-Protokoll, also die Fortschreibung der UN-Klimarahmenkonvention, sieht allerdings für die Industriestaaten nur fünf Prozent Reduktion vor.

F: Was vollkommen unzureichend ist.

Vollkommen unzureichend. Und letztes Jahr in Marrakesch hat man sogar in Zusatzvereinbarungen noch diverse Schlupflöcher aufgemacht. Einige meinen daher, daß aus den fünf Prozent vielleicht zwei oder drei werden. Das ist fast lachhaft, aber immer noch besser als gar nichts. Allerdings muß in den nächsten Jahren wesentlich zugelegt werden.

F: Nun muß ja dieses schwache Abkommen die Bundesregierung nicht davon abhalten, zu Hause mehr zu machen.

Richtig. Deutschland hat seine Treibhausgase seit 1990 um etwa 18 Prozent reduziert. Angestrebt waren mal 25 Prozent; gegenüber der EU hat man sich auf 21 Prozent verpflichtet. Aber bisher ist die Reduktion vor allem ein Nebeneffekt der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern und nur zu einem relativ geringen Teil Ergebnis gezielter Klimaschutzpolitik. Ob wir also das gesetzte Ziel erreichen, ist durchaus fraglich.

F: Was müßte in Deutschland für den Klimaschutz getan werden?

Die Bundesregierung hat durchaus einiges unternommen, aber ich habe den Eindruck, daß die Öffentlichkeit das nicht richtig mitträgt. Auch der einzelne muß mitziehen. Das fängt damit an, daß man zum Beispiel statt des Autos die Bahn nimmt oder im Winter vernünftiger mit der Heizung umgeht. Man darf nicht alles auf die Politiker schieben.

F: Allerdings wird, wer sich umweltfreundlich verhalten will, nicht gerade belohnt. Wer Fahrrad fährt, ist gelackmeiert, und Bahn fahren wird mehr und mehr zur Qual. Muß man nicht von der Regierung erwarten, daß sie die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft?

Das ist richtig. Ich ärgere mich auch als Bahnfahrer und als Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs. In den letzten 20 Jahren sind in Frankfurt die Preise im Nahverkehr um das Vierfache gestiegen. Auch die Bahn ist teuer und unzuverlässiger geworden. Die müßte viel stärker subventioniert werden. Aber das Hauptproblem ist der Energiebereich. Wir müssen weg von der Kohle, die ist das Schlimmste. Von den fossilen Energieträgern ist Gas der effizienteste, das heißt, beim Erdgas ist das Verhältnis von Leistung und Treibhausgasausstoß am günstigsten. Es gibt genügend Studien, die zeigen, daß man die Halbierung des Kohlendioxidausstoßes technologisch problemlos erreichen könnte, wenn man nur wollte. Aber die politischen Rahmenbedingungen stimmen nicht.

F: Sie sind nicht nur Meteorologe, sondern auch Frankfurter. Engagieren Sie sich wegen des Klimaschutzes gegen den Flughafenausbau?

Nein, ich wohne nicht in Frankfurt, hierher hat es mich beruflich verschlagen. Der Flugverkehr trägt zur Zeit mit etwa einem Prozent zur Klimaproblematik bei, da sehe ich nicht das Hauptproblem. Allerdings machen mir die hohen Steigerungsraten Sorgen sowie die Kurzstreckenflügen, die vollkommen überflüssig sind.