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20.02.2008 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Mit dem Seil schieben

Mit der Zuteilung neuer Emissionszertifikate soll CO2-Ausstoß weiter verringert werden. Bislang funktionierte das eher schlecht

Von Wolfgang Pomrehn

Das Umweltbundesamt hat das Zuteilungsverfahren für Kohlendioxidemissionen abgeschlossen. Das Ergebnis ist im wesentlichen das gewohnte: Stromkonzerne und andere Branchen mit hohem Treibhausgasausstoß dürfen auch weiter im großen Umfang kostenlos das globale Klima belasten.

Die EU-Staaten hatten sich zu Beginn des Jahrhunderts auf ein System geeinigt, das den Anhängern des ungezügelten Marktes als Königsweg im Klimaschutz gilt: Große Emittenten wie Kraftwerksbetreiber, Hüttenwerke oder Zementfabriken erhalten Zertifikate, die zum Ausstoß einer bestimmten Menge Kohlendioxid emächtigen. Diese sind frei handelbar. Damit soll ein ökonomischer Anreiz entstehen, die Emissionen zu reduzieren. Funktionieren kann das Konzept allerdings – wenn überhaupt – nur, wenn die Menge der ausgegebenen Zertifikate knapp gehalten wird und stetig abnimmt.

Geringe Reduzierung

Doch da fängt das Problem an. Mit 451,86 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) im Jahr ist das deutsche Kontingent für die Industrie in der gerade begonnen Handelsperiode 2008 bis 2012 kaum niedriger, als in der abgelaufenen. Für diese Zeit hatte die Bundesregierung Zertifikate über 499 Millionen Tonnen jährlich ausgegeben, wovon aber nur durchschnittlich 477 Millionen Tonnen genutzt wurden. Die Bundesregierung, die sich auf der internationalen Bühne gern als Klimamusterknabe aufspielt, will also in den nächsten vier Jahren den CO2-Ausstoß der Industrie um lediglich 5,5 Prozent senken. Selbst dies hat ihr die EU-Kommission mühselig abringen müssen.

Hinzu kommt, daß der größte Teil der Zertifikate verschenkt wird. 23 Millionen Tonnen werden zunächst als Reserve zurückgehalten, und die Rechte für weitere 40 Millionen werden jährlich von der Bundesregierung verkauft. Der Rest, Zertifikate für Emissionen von rund 389 Millionen Tonnen jährlich, wurde an insgesamt 1625 Unternehmen kostenlos verteilt. Allerdings fallen immerhin die freien Zuteilungen an die Kraftwerke der Stromwirtschaft deutlich geringer aus als in der ersten Handelsperiode. Die 40 Millionen Zertifikate, für die künftig bezahlt werden muß, stammen fast ausschließlich aus ihrem Topf. Es könnte also tatsächlich ein gewisser Druck entstehen, die besonders CO2-intensiven Braun- und Steinkohlekraftwerke weniger zu nutzen.

Es sei denn, es gelingt den Unternehmen, den Preis für die Zertifikate auf die Verbraucher abzuwälzen. In den vergangenen Jahren haben die deutschen Stromkonzerne die Zertifikate als sogenannte Opportunitätskosten in die Strompreise eingerechnet. Das ging so: Da die – kostenlos erhaltenen – Zertifikate verbraucht wurden und nicht am Markt für etwa 25 Euro pro Tonne CO2 verkauft werden konnten, entging den Unternehmen eine Einnahme. Diese holten sie sich auf dem Wege der Stromrechnung von den Kunden wieder. Ob diese Rechnung auch in Zukunft aufgehen wird, ist offen. Immerhin nutzen immer mehr private Stromkunden die Möglichkeit, sich ihren Stromanbieter nach Höhe des Strompreises oder auch nach Umweltgesichtspunkten auszusuchen. Der Spielraum der Anbieter von Kohlestrom, die Preise nach Belieben festzusetzen, wird also geringer.

Druck auf Strompreis

Die EU-Kommission schlägt in ihrem Klimaschutzplan unterdessen vor, ab 2013 an die Stromerzeuger die Zertifikate nur noch zu verkaufen. Auch die anderen betroffenen Industriebranchen (Papier, Kalk und Zement, Stahl, Glas) sollen sich einen wachsenden Anteil ersteigern müssen. Die betroffene Industrie läuft dagegen Sturm und warnt vor steigenden Strompreisen. Auf den ersten Blick ist das nachvollziehbar: Die Energiewirtschaft hat im Jahre 2004 noch 364 Millionen Tonnen CO2 jährlich in die Luft geblasen. Nehmen wir an, sie senkt diese auf 300 Millionen Tonnen – was für das Klima natürlich vollkommen unzureichend wäre. Dann entstünden bei einem Zertifikatspreis von 30 Euro pro Tonne CO2, mit dem derzeit kalkuliert wird, zusätzliche Kosten von neun Milliarden im Jahr.

Diese Summe entspricht allerdings noch nicht einmal dem kombinierten Gewinn der vier großen der deutschen Stromwirtschaft. Außerdem wäre die Antwort auf diese politische Situation ziemlich simpel. Statt der etwa 24 neuen Kohlekraftwerke, die bundesweit gebaut werden sollen und die rund 140 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr emittieren werden, sollte lieber in CO2-freie Stromerzeugung investiert werden. Die Windenergie hat zum Beispiel auch in Deutschland noch ein erhebliches Ausbauspotential. In den süddeutschen Bundesländern haben die dortigen konservativen und der Stromindustrie innig verbundenen Landesregierungen bisher den Bau von Windrädern massiv behindert.

Für die Windenergie müßte allerdings das derzeit an die zentralisierte Struktur der energetisch unsinnigen Großkraftwerke angepaßte Netzstruktur umgebaut werden. Doch dagegen sperren sich die Stromkonzerne, denen die Übertragungsnetze gehören. Die EU-Kommission würde ihnen diese gerne wegnehmen, doch die Bundesregierung hat sie bisher mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.