home

jW, 26.10.2005 / Ansichten / Seite 2

»Die Stürme werden häufiger und stärker«

Hurrikan-Hitliste der letzten 150 Jahre: »Wilma« erster, »Rita« vierter, »Katrina« sechster. Münchener Rück will Prämienhöhe überdenken. Ein Gespräch mit Ernst Rauch

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Ernst Rauch ist Klimaexperte der Münchner Rück, dem größten Rückversicherer der Welt.

F: Die Karibik wird in diesem Jahr von einer Serie schwerer Hurrikane heimgesucht. Was sagen Ihre Statistiken? Ist diese Saison tatsächlich so einzigartig, wie einige meinen?

Ja. Sie stellt im historischen Vergleich schon jetzt einen neuen Rekord auf, obwohl sie noch bis Ende November dauert. Noch nie gab es in den letzten 150 Jahren eine Hurrikan-Saison mit mehr als 21 benannten tropischen Stürmen. Mit »Alpha« haben wir inzwischen schon den 22. Sturm. Allerdings sind nicht alle tropischen Stürme Hurrikane, sondern erst, wenn ihre mittlere Windgeschwindigkeit 120 Kilometer in der Stunde erreicht.

F: Läßt die Entwicklung darauf schließen, daß die tropischen Stürme und Hurrikane an Häufigkeit und Stärke langfristig zunehmen?

Aus den Daten, die wir für die letzten 150 Jahre aus dem Golf von Mexiko und dem Atlantik haben, kann man zweierlei ersehen: Zum einen gibt es eine zyklische Komponente, das heißt, Jahrzehnte mit hoher und Jahrzehnte mit niedriger Sturmhäufigkeit. Das hängt mit den Temperaturen des Oberflächenwassers in dieser Region zusammen, die im Abstand von mehreren Jahrzehnten mal etwas höher, mal etwas niedriger sind. Zum anderen sind aber diese Schwankungen von einem Trend zu mehr und intensiveren Stürmen überlagert. Vermutlich ist das auf die globalen Klimaveränderungen zurückzuführen.

F: Bis vor kurzem haben führende US-Hurrikan-Experten wie Chris Landsea noch verneint, daß es einen solchen Trend gibt.

Ob es diesen Trend gibt, wird in der Tat diskutiert, aber nicht nur unsere eigenen statistischen Auswertungen, sondern auch die Studien anderer Wissenschaftler sprechen dafür. Ich denke, am Ende dieser Saison wird man diese Frage mit anderen Augen sehen. Wir können nun mal mehr und mehr auffällige Sturmereignisse beobachten. Es ist ja nicht nur, daß wir heuer in bezug auf die Anzahl der Stürme eine Rekordsaison haben. Auch was die Intensität angeht, wurden Rekorde gebrochen: Auf der Liste der Hurrikane der letzten 150 Jahre war »Wilma« der stärkste, »Rita« liegt auf Rang vier und »Katrina« auf Rang sechs.

F: Der zurückliegende September war im globalen Maßstab der wärmste seit mindestens 125 Jahren. Sehen Sie einen Zusammenhang mit der Häufung der Hurrikane?

Das ist schwer zu sagen. Entscheidend für die Entstehung der Hurrikane ist die Oberflächentemperatur des Meeres, und die lag über nahezu den gesamten Sommer hinweg in der Karibik und im Golf von Mexiko ein bis vier Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Auch im Augenblick ist das Wasser noch um ein bis zwei Grad zu warm, und das macht beim Entstehen und der Intensität einen großen Unterschied. Die Ursachen für diese hohen Temperaturen sind einerseits natürliche Fluktuationen, die auch mit dem Golfstrom zusammenhängen. Andererseits gibt es mit dem Klimawandel einen Anstieg der Lufttemperaturen, und das führt zu höheren Wassertemperaturen.

F: Wie kommt es, daß so wenig von den Vettern der Hurrikane, den Taifunen in Ostasien, gesprochen wird? Die sind doch sogar noch häufiger und zum Teil auch intensiver.

Nun, im letzten Jahr wurde von ihnen gesprochen. Japan wurde 2004 von zehn tropischen Wirbelstürmen getroffen – so vielen wie nie zuvor. Auch die Schäden waren rekordverdächtig. In diesem Jahr gab es vor allem in Taiwan, Südchina und Vietnam größere Schäden. Aber daß so wenig drüber berichtet wird, hat wohl auch damit zu tun, daß die Medien vor allem die westliche Welt im Auge haben.

F: Was bedeutet es für die Versicherer, wenn der Klimawandel uns mehr Taifune und Hurrikane beschert?

Daß wir uns auf deutlich anwachsende Schäden einstellen müssen. Das Risikomanagement muß angepaßt werden – das betrifft vor allem die Ausstattung mit Kapital. Außerdem muß man über die Preisbildung nachdenken. Die meisten Versicherungsgesellschaften berechnen ihre Risikoabschätzung noch mit der mittleren Sturmhäufigkeit der letzten 150 Jahre, doch damit wird angesichts des Trends in den Daten die Schadensgefahr systematisch unterschätzt.