* Ernst Rauch ist Klimaexperte der Münchner Rück, dem
größten Rückversicherer der Welt.
F: Die Karibik wird in diesem Jahr von einer Serie schwerer Hurrikane
heimgesucht. Was sagen Ihre Statistiken? Ist diese Saison
tatsächlich
so einzigartig, wie einige meinen?
Ja. Sie stellt im historischen Vergleich schon jetzt einen neuen Rekord
auf, obwohl sie noch bis Ende November dauert. Noch nie gab es in den
letzten 150 Jahren eine Hurrikan-Saison mit mehr als 21 benannten
tropischen Stürmen. Mit »Alpha« haben wir inzwischen
schon den 22.
Sturm. Allerdings sind nicht alle tropischen Stürme Hurrikane,
sondern
erst, wenn ihre mittlere Windgeschwindigkeit 120 Kilometer in der
Stunde erreicht.
F: Läßt die Entwicklung darauf schließen, daß
die tropischen Stürme und Hurrikane an Häufigkeit und
Stärke langfristig zunehmen?
Aus den Daten, die wir für die letzten 150 Jahre aus dem Golf von
Mexiko und dem Atlantik haben, kann man zweierlei ersehen: Zum einen
gibt es eine zyklische Komponente, das heißt, Jahrzehnte mit
hoher und
Jahrzehnte mit niedriger Sturmhäufigkeit. Das hängt mit den
Temperaturen des Oberflächenwassers in dieser Region zusammen, die
im
Abstand von mehreren Jahrzehnten mal etwas höher, mal etwas
niedriger
sind. Zum anderen sind aber diese Schwankungen von einem Trend zu mehr
und intensiveren Stürmen überlagert. Vermutlich ist das auf
die
globalen Klimaveränderungen zurückzuführen.
F: Bis vor kurzem haben führende US-Hurrikan-Experten wie Chris
Landsea noch verneint, daß es einen solchen Trend gibt.
Ob es diesen Trend gibt, wird in der Tat diskutiert, aber nicht nur
unsere eigenen statistischen Auswertungen, sondern auch die Studien
anderer Wissenschaftler sprechen dafür. Ich denke, am Ende dieser
Saison wird man diese Frage mit anderen Augen sehen. Wir können
nun mal
mehr und mehr auffällige Sturmereignisse beobachten. Es ist ja
nicht
nur, daß wir heuer in bezug auf die Anzahl der Stürme eine
Rekordsaison
haben. Auch was die Intensität angeht, wurden Rekorde gebrochen:
Auf
der Liste der Hurrikane der letzten 150 Jahre war »Wilma«
der stärkste,
»Rita« liegt auf Rang vier und »Katrina«
auf Rang sechs.
F: Der zurückliegende September war im globalen Maßstab der
wärmste
seit mindestens 125 Jahren. Sehen Sie einen Zusammenhang mit der
Häufung der Hurrikane?
Das ist schwer zu sagen. Entscheidend für die Entstehung der
Hurrikane
ist die Oberflächentemperatur des Meeres, und die lag über
nahezu den
gesamten Sommer hinweg in der Karibik und im Golf von Mexiko ein bis
vier Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Auch im
Augenblick ist
das Wasser noch um ein bis zwei Grad zu warm, und das macht beim
Entstehen und der Intensität einen großen Unterschied. Die
Ursachen für
diese hohen Temperaturen sind einerseits natürliche Fluktuationen,
die
auch mit dem Golfstrom zusammenhängen. Andererseits gibt es mit
dem
Klimawandel einen Anstieg der Lufttemperaturen, und das führt zu
höheren Wassertemperaturen.
F: Wie kommt es, daß so wenig von den Vettern der Hurrikane, den
Taifunen in Ostasien, gesprochen wird? Die sind doch sogar noch
häufiger und zum Teil auch intensiver.
Nun, im letzten Jahr wurde von ihnen gesprochen. Japan wurde 2004 von
zehn tropischen Wirbelstürmen getroffen – so vielen wie nie
zuvor. Auch
die Schäden waren rekordverdächtig. In diesem Jahr gab es vor
allem in
Taiwan, Südchina und Vietnam größere Schäden. Aber
daß so wenig drüber
berichtet wird, hat wohl auch damit zu tun, daß die Medien vor
allem
die westliche Welt im Auge haben.
F: Was bedeutet es für die Versicherer, wenn der Klimawandel uns
mehr Taifune und Hurrikane beschert?
Daß wir uns auf deutlich anwachsende Schäden einstellen
müssen. Das
Risikomanagement muß angepaßt werden – das betrifft
vor allem die
Ausstattung mit Kapital. Außerdem muß man über die
Preisbildung
nachdenken. Die meisten Versicherungsgesellschaften berechnen ihre
Risikoabschätzung noch mit der mittleren Sturmhäufigkeit der
letzten
150 Jahre, doch damit wird angesichts des Trends in den Daten die
Schadensgefahr systematisch unterschätzt.