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Dürre am Amazonas

Der weltgrößte Regenwald im Streß der globalen Erwärmung

Wolfgang Pomrehn
Paris, London und Berlin melden in diesen Tagen höhere Temperaturen als Bangkok, Hongkong oder Neu Delhi. In England fangen die Hochmoore Feuer, Atomkraftwerke werden runter gefahren, weil das Kühlwasser nicht mehr kühlt, und mancherorts wie in Kalifornien und in der Tschechischen Republik brechen die Stromnetze zusammen, weil zu viele Klimaanlagen angeworfen werden. Ganz Europa und große Teile Nordamerikas stöhnen unter einer rekordverdächtigen Hitzewelle. Der hiesige Städter mag es noch von der sonnigen Seite sehen und den Badeurlaub an Nord- und Ostsee statt auf Mallorca buchen. Doch auf den Stirnen der Landwirte werden die Furchen mit jedem Sonnentag tiefer, und aus dem tiefen Süden, vom brasilianischen Äquator, kommen Nachrichten, die Insidern eine Gänsehaut über den Rücken jagen.
Am Amazonas zeichnet sich eine Wiederholung der extremen Trockenheit ab, die in der zweiten Jahreshälfte 2005 den größten tropischen Regenwald der Erde heimgesucht hatte. Um vier bis fünf Meter war 2005 der Wasserspiegel des Amazonas und seiner Nebenflüsse unter das übliche Maß gefallen. Viele Dörfer waren von der Außenwelt abgeschnitten, weil sie auf den Flüssen nicht mehr erreichbar waren. Mächtige Ströme wurden zu schmalen Rinnsalen, deren Oberflächen mit toten Fischen bedeckt waren. Und der ungewöhnlich trockene Wald fing Feuer wie selten zuvor. Im September 2005 registrierten Satelliten rund 73 000 Brandherde gleichzeitig. Für die Menschen, die vom Wald und Fluß leben, waren das einige sehr schwere Monate, für die Umweltschützer allerdings noch kein Grund für Alarmmeldungen: Der Regenwald kann bisher Trockenperioden ganz gut überstehen.
Doch immerhin war die Trockenheit Schlimmer als alles, was man an dem wasserreichsten Strom der Erde seit mindestens 40 Jahren gesehen hatte. Einige sprachen gar von der schlimmsten Dürre seit Menschengedenken. – Die sich in diesem Jahr zu wiederholen scheint: Die jährliche Trockenzeit hat gerade erst begonnen, aber im brasilianischen Bundesstaat Acre, ganz im Westen des Landes, hat es schon seit Mitte Juni nicht mehr geregnet. Dabei ist dort für gewöhnlich die Trockenzeit geringer ausgeprägt, als weiter im Osten. Schon jetzt, so zitiert die britische Zeitung The Independent einen Umweltschützer aus der Region, falle das Wasser der Flüsse schneller als im Vorjahr.
Das ist um so alarmierender, als brasilianische und US-Amerikanische Wissenschaftler gerade in einem Großversuch gezeigt hatten, daß zwei Jahre Wasserentzug reichen, um den Wald dauerhaft zu schädigen. Nun hat es seit der letzten Trockenheit natürlich wieder geregnet, aber offenbar reichen bereits wenige trockene Jahre wie 2005, um die Baumriesen, die den Wald beschatten und so für sein feuchtes Klima verantwortlich sind, großflächig zum Absterben zu bringen.
Die Folge wäre nicht nur eine Versteppung des Amazonasbeckens und der Verlust von etwa 25 Prozent aller pflanzlichen und tierischen Arten. Ein Absterben des Amazonas-Regenwaldes würde auch die globale Erwärmung beschleunigen. Verbrennt oder vermodert sein Holz nämlich, dann würde etwa zehn mal soviel vom Treibhausgas Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen, wie derzeit von Autos, Kraftwerken, Zentralheizungen und Industriebetrieben jährlich an die Umwelt abgegeben wird.
Doch was ist die Ursache der Amazonas-Dürre? Trockenzeiten sind über weiten Teilen des Amazonasbeckens eine jährliche Erscheinung, auch das Absinken der Pegelstände in den Flüssen. Das Ausbleiben des Regens ist ein Ergebnis von jährlichen Schwankungen in den großräumigen Luftbewegungen. Während des nordhemisphärischen Winters und Frühlings steigt die warme Luft über dem Amazonasbecken auf und zieht die Passatwinde aus dem tropischen Nordatlantik an, die zusätzliche Feuchtigkeit vom Meer heranbringen. In der aufsteigenden Luft über dem Wald bilden sich mächtige Wolken, die vor Ort abregnen. Weite im Norden über der Karibik und dem Atlantik sinkt die Luft hingegen ab. Später im Jahr, wenn die Meeresoberfläche wärmer wird, kehrt sich der Prozeß um. Nun steigt die Luft bereits über dem warmen Meer auf. Zum Ausgleich sinkt die Luft übe dem Amazonasbecken ab. Dort herrscht entsprechend von Juni bis November überwiegend Hochdruck, in dem sich keine Wolken bilden können.
Etwas vereinfacht läßt sich sagen, daß die Trockenheit um so drastischer ausfällt desto stärker sich das benachbarte Meer erwärmt. Und genau das ist der Fall. Die Oberflächentemperatur der tropischen Ozeane hat sich seit 1970 im Mittel um 0,5 Grad erhöht. Im tropischen Nordatlantik, das heißt in der Nachbarschaft des Amazonas, war sie in den vergangenen Jahren besonders hoch. Darin ist übrigens auch der Grund für die besonders heftige Hurrikan-Saison 2005 zu sehen. Noch im November 2005 lag die Wassertemperatur in weiten Teilen der Karibik und im angrenzenden Atlantik zwischen 28 und 30 Grad.
Eine Ursache der Dürre ist also die globale Erwärmung. Eine andere ist die anhaltende Abholzung. 20 Prozent des Waldes sind bereits verschwunden und weitere 22 Prozent geschädigt. Brasilianische Wissenschaftler gehen davon aus, das bei etwa 50 Prozent Waldverlust eine Schwelle überschritten sein wird, bei der sich das Klimasystem des Regenwaldes nicht mehr selbst erhält. Der Wald würde nicht mehr genug Feuchtigkeit speichern können. Einiges deutet daraufhin, daß dieser Punkt früher erreicht werden könnte, als bisher angenommen.


Daten und Fakten

Größe: Der Amazonas ist mit Abstand der größte tropische Regenwald der Welt. Das Amazonasbecken umfaßt sieben Millionen Quadratkilometer. (Zum Vergleich: Die EU hat eine Fläche von vier Millionen und die USA von 9,3 Millionen Quadratkilometer.) Der größte Teil befindet sich auf dem Territorium Brasiliens. Weitere Amazonasstaaten sind Bolivien, Peru, Ekuador, Kolumbien, Venezuela, Guyana, Surinam und Paris Kolonie Französisch Guyana.
Bevölkerung: Der Regenwald ist alles andere als menschenleere Natur. Im Wald und auf den gerodeten Flächen leben nach Zahlen des Woods Hole Research Centers (Massachusetts, USA) bis zu 30 Millionen Menschen davon gelten bis zu 20 Millionen als Eingeborene, die rund 200 verschiedene Sprachen sprechen. Brasilianischen Angaben sind allerdings deutlich niedriger. Die Menschen leben unter anderem als Jäger und Sammler, vom Fischfang, vom Ackerbau auf kleinen Lichtungen und vom Kautschuksammeln. Ein anderer Teil sucht Gold und Diamanten, betreibt illegalen Holzeinschlag oder lebt von Rinderzucht und Sojaanbau. Das Ergebnis sind Interessenskonflikte, die oft gewalttätig ausgetragen werden.
Artenvielfalt: Etwa ein Viertel aller Pflanzen- und Tierarten leben im Amazonas. Ein erheblicher Teil von ihnen ist noch nicht erforscht. Biologen gehen unter anderem davon aus, daß im Amazonas noch viele medizinisch interessante pflanzliche Wirkstoffe zu entdecken sein werden.
Kohlenstoff: In den Bäumen und der übrigen Biomasse sind rund 70 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Würde der Wald verbrennen oder von Bakterien zersetzt werden entspräche das etwas mehr als der zehnfachen Menge dessen, was jährlich durch menschliche Aktivitäten an Kohlendioxid (CO2) an die Atmosphäre abgegeben wird.
Entwaldung: Unter der Regierung der der Arbeiterpartei PT hat sich der Waldschwund auf fast 30 000 Quadratkilometer im Jahr beschleunigt. Verstärktes Vorgehen gegen illegale Rodungen ha die Entwaldungsrate wieder auf rund 20 000 Quadratkilometer pro Jahr gedrückt. Das ist immer noch eine Fläche von der Größe Hessens. (wop)

Schwitzen im Treibhaus: Klima außer Rand und Band

Schon vor über 100 Jahren haben Physiker darüber spekuliert, daß der Mensch mit seinen industriellen Aktivitäten das globale Klima verändern könnte. Prinzipiell war der Einfluß einiger Spurengase auf die Temperatur des Planeten schon damals bekannt. Gebe es in der Erdatmosphäre weder Wasserdampf noch Kohlendioxid, noch Methan, dann wäre unser Planet ein Eisklumpen. Leben hätte sich nie auf ihm entwickeln können, weil es rund 30 Grad kälter als die heutigen 15 Grad Celsius wäre. Gemeint sind natürlich nicht die aktuellen Temperaturen in Mitteleuropa, sondern der über den ganzen Globus und das ganze Jahr gemittelte Wert.
Darüber, daß es auch einmal des Guten zu viel sein könnte, machten sich lange Zeit besten Falls ein paar schrullige Exoten Sorgen. Erst Ende der 1980er Jahre setzte sich langsam unter Meteorologen und anderen Geowissenschaftlern die Erkenntnis durch, daß die Menschheit auf ein Problem zusteuert. Die atmosphärische Konzentration des Hauptübeltäters, des Kohlendioxids (CO2), war seit Beginn der Industrialisierung von einst 270 Millionstel Teilen – parts per million oder ppm sagen die Wissenschaftler – auf 350 ppm gestiegen. Auf das Konto des CO2 geht etwa die Hälfte des von Menschen verursachten zusätzlichen Treibhauseffektes. 350 Millionstel hört sich nicht nach viel an, und die 370 ppm, die es mittlerweile sind, auch nicht. Aber schon die einfachen Klimamodelle, die vor 20 Jahren auf Großrechnern liefen, deren Leistung mit heutigen Laptops vergleichbar war, zeigten, daß ein weiterer Anstieg der Konzentration in den nächsten Jahrzehnten das Klima erheblich durcheinander wirbeln würde.
Inzwischen wissen die Klimaforscher über manches Detail wesentlich besser Bescheid, die Modelle sind viel ausgefeilter, und die Gewissheit ist weiter gewachsen. Und vor allem: Die Erde ist deutlich wärmer geworden. In den vergangenen 100 Jahren stieg die globale Mitteltemperatur um 0,7 Grad an, aber 0,3 Grad kamen allein in den letzten 20 Jahren hinzu. Die Jahre 2001 bis 2005 waren die fünf wärmsten seit Beginn der flächendeckenden Messungen vor etwa 130 Jahren und, wie die Paläö-Klimatologen meinen, vermutlich auch der letzten 1000 Jahre. Aber das ist längst noch nicht alles: Selbst wenn die CO2-Konzentration auf dem heutigen Niveau stabilisiert werden könnte, würde die Temperatur noch viele Jahrzehnte weiter steigen. Und wenn die Menschheit einfach weiter macht, wie bisher, dann wird es bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu fünf Grad wärmer, sagen die Wissenschaftler voraus. Einen ganz kleinen Eindruck davon, was das bedeuten könnte, gaben uns im letzten Jahr die Bilder vom Hurrikan Katrina oder von den toten Fischen, die zu Millionen auf dem Amazonas und seinen Nebenflüssen schwammen.
Ursache des Klima-Dramas sind zwei Entwicklungen, die an der Wiege des Industriezeitalters standen. Die großflächige Entwaldung und die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und Erdölprodukte. Durch beide Prozesse wird CO2 an die Atmosphäre abgegeben wo es sich zum Teil anreichert. Der Ausweg hieße also Schutz der bestehenden Wälder, Energiesparen und vor allem der Umstieg auf erneuerbare Energieformen wie Wind und Sonne.
Wolfgang Pomrehn


---------- Kommentar angefügt am 6.8.2006:

Die von Klimawissenschaftlern betriebene Webseite Relaclimate setzt sich in einem jüngsten Beitrag kritsich mit dem Text im Independent auseinander, der den Anstoß zu obigem Beitrag lieferte:

While this particular article is exaggerated, there are, however, some issues that should provoke genuine concern. Worries about the effects of the prolonged drought (and other natural and human-related disturbances) in the Amazon are indeed widespread and are partly related to the idea that there may be a 'tipping point' for the rainforest (see this recent article for some background). This idea is exemplified in a study last year (Hutrya et al, 2005) which looked at the sharp transition between forest and savannah and related that to the coupling of drought incidence and wild fires with the forest ecosystem. Modelling work has suggested that the Amazon may have two vegetation/regional climate equilibria due to vegetation and climate tending to reinforce each other if one is pushed in a particular direction (Oyama and Nobre, 2003). The two alternative states could be one rainforested and wet like today, the other mainly savannah and dry in the Eastern Amazon. Thus there is a fear that too much drought or disturbance could flip parts of the forest into a more savannah-like state. However, there is a great deal of uncertainty in where these thresholds may lie and how likely they are to be crossed, and the rate at which change will occur.

Der vollständige Realclimate-
Beitrag findet sich hier.