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02.11.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Klimaschutz lohnt sich

Massive Investitionen in die Emissionsvermeidung würden der gesamten Weltwirtschaft nutzen

Von Wolfgang Pomrehn

Das Timing stimmt. Am Montag beginnt in Kenias Hauptstadt Nairobi die diesjährige UN-Klimakonferenz. Da kommt ein Bericht über die wirtschaftlichen Konsequenzen des drohenden Klimawandels und über Vermeidungsstrategien gerade richtig. Der britische Finanzminister Gordon Brown bat im Juli 2005 seinen Chefökonomen Sir Nicholas Stern, eine Studie zu erstellen. Dieser legte nun am vergangenen Montag sein voluminöses Werk vor, das an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrigläßt. Stern weist zunächst auf die jüngste Forschung hin, die das globale Klimasystem für sensibler hält als bisher angenommen. Die Freisetzung von Kohlendioxid und Methan aus auftauenden Permafrostböden könnte den Treibhauseffekt deutlich verstärken. Ebenso kritisch wäre es, wenn die sich erwärmenden Meere künftig weniger Kohlendioxid aus der Luft filtern sollten.

Bedrohte Landwirtschaft

Derzeit verbleibt etwa die Hälfte der emittierten Treibhausgase in der Atmosphäre, der Rest wird von Ozeanen und Biosphäre aufgenommen. Die derzeitige Konzentration hat bereits eine durchschnittliche globale Erwärmung von rund einem halben Grad verursacht und wird in den nächsten Jahrzehnten weitere 0,5 bis 1,5 Grad Erhöhung nach sich ziehen. Schon das wird zu erheblichen ökonomischen Schäden in aller Welt führen. Die Hitzewelle, die 2003 Westeuropa heimsuchte, hat nicht nur 35000 Menschenleben gefordert, sondern auch Schäden mit einem Volumen von 15 Milliarden Euro verursacht. Ein Anstieg der globalen Temperatur um zwei Grad, so der Stern-Bericht, würde in Südeuropa zu Ernteausfällen von 20 Prozent führen. In Afrika könnten die Erträge gar um 30 bis 40 Prozent zurückgehen. 15 bis 40 Prozent der Arten wären bei solchen Temperaturen vom Aussterben bedroht. Noch viel dramatischer wird der Wandel ausfallen, wenn die Emissionen weiter zunehmen wie bisher. Drei bis vier Grad Erwärmung wird den Meeresspiegel so stark steigen lassen, daß große Küstenstädte wie Tokio, New York oder London bedroht werden, ganz zu schweigen von den dicht besiedelten Küsten in Bangladesch und Vietnam. Schätzungsweise 200 Millionen Menschen müßten umgesiedelt werden, und eine Reihe Inselstaaten – vor allem im Pazifik – würde in den Fluten versinken. Stern hat versucht, die ökonomischen Schäden zu quantifizieren und kommt zu dem Ergebnis, daß ein Weiter-so-Szenario das weltweite Bruttosozialprodukt bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts um 20 Prozent verringern würde.

Aber das ist nur ein Durchschnittswert. Im vergangenen Jahr wurde der Weltöffentlichkeit vor laufenden Kameras in New Orleans gezeigt, wie im Ernstfall die Lasten verteilt werden: Wer wenig hat, wird alles verlieren, gegebenenfalls auch das Leben, wenn er die »falsche« Hautfarbe hat oder Rettungsaktionen den Mächtigen zu teuer erscheinen.

Trotz dieser düsteren Szenarien legt Stern Wert auf die Feststellung, daß sein Bericht optimistisch sei. »Es bleibt noch Zeit, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden, wenn wir jetzt handeln und wenn wir es international tun«, so Stern bei der Vorstellung des Berichts. »Entschiedene und wohlüberlegte Maßnahmen der Regierungen sind nötig, um den Wandel anzustoßen. Aber die Aufgabe ist dringend. Werden die Maßnahmen verzögert, und sei es nur um ein oder zwei Jahrzehnte, dann bewegen wir uns in gefährliche Gewässer.«

Unzureichende Forschung

Sterns Modellrechnungen haben ergeben, daß jede Tonne Kohlendioxid, die über das aktuelle Niveau hinaus emittiert würde, einen Schaden von 65 Euro anrichtet. Emissionsvermeidung ließe sich hingegen schon für weniger als 20 Euro pro Tonne erreichen. Die Maßnahmen, mit denen Stern den Übergang zur klimaschonenden Wirtschaft schaffen will, sind eine Mischung aus staatlichen Eingriffen und Marktmechanismen. Letztere bestehen unter anderem aus dem Emissionshandel, mit dem ökonomische Anreize für das Vermeiden von Treibhausgasen geschaffen werden sollen. Hier fordert er eine Verknüpfung der existierenden Systeme in aller Welt und vor allem striktere Reduktionsziele. Außerdem müßten die Mittel für die Energieforschung mindestens verdoppelt und die Fördermittel für die Einführung emissionsarmer Technologien vervierfacht werden. Wichtig sei auch eine internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Wälder, denn die Entwaldung hat einen spürbaren Anteil an der Emission von Treibhausgasen.

Wird alles umgesetzt, so winken der globalen Ökonomie zur Mitte des Jahrhunderts jährliche Vorteile von bis zu zwei Billionen Euro, so Stern. Profitieren werden davon nach dem heutigen Stand der Dinge aber sicherlich nicht die derzeit tonangebenden Teile des großen Kapitals, nämlich Big Oil und die Automobilindustrie. Und genau da liegt das Problem, das der Stern-Bericht ausklammert.