Das Timing stimmt. Am Montag beginnt in Kenias Hauptstadt Nairobi die
diesjährige UN-Klimakonferenz. Da kommt ein Bericht über die
wirtschaftlichen Konsequenzen des drohenden Klimawandels und über
Vermeidungsstrategien gerade richtig. Der britische Finanzminister
Gordon Brown bat im Juli 2005 seinen Chefökonomen Sir Nicholas
Stern,
eine Studie zu erstellen. Dieser legte nun am vergangenen Montag sein
voluminöses Werk vor, das an Deutlichkeit wenig zu wünschen
übrigläßt.
Stern
weist zunächst auf die jüngste Forschung hin, die das globale
Klimasystem für sensibler hält als bisher angenommen. Die
Freisetzung
von Kohlendioxid und Methan aus auftauenden Permafrostböden
könnte den
Treibhauseffekt deutlich verstärken. Ebenso kritisch wäre es,
wenn die
sich erwärmenden Meere künftig weniger Kohlendioxid aus der
Luft
filtern sollten.
Bedrohte Landwirtschaft
Derzeit verbleibt etwa die Hälfte der emittierten Treibhausgase in
der
Atmosphäre, der Rest wird von Ozeanen und Biosphäre
aufgenommen. Die
derzeitige Konzentration hat bereits eine durchschnittliche globale
Erwärmung von rund einem halben Grad verursacht und wird in den
nächsten Jahrzehnten weitere 0,5 bis 1,5 Grad Erhöhung nach
sich
ziehen. Schon das wird zu erheblichen ökonomischen Schäden in
aller
Welt führen. Die Hitzewelle, die 2003 Westeuropa heimsuchte, hat
nicht
nur 35000 Menschenleben gefordert, sondern auch Schäden mit einem
Volumen von 15 Milliarden Euro verursacht. Ein Anstieg der globalen
Temperatur um zwei Grad, so der
Stern-Bericht,
würde in Südeuropa zu Ernteausfällen von 20 Prozent
führen. In Afrika
könnten die Erträge gar um 30 bis 40 Prozent
zurückgehen. 15 bis 40
Prozent der Arten wären bei solchen Temperaturen vom Aussterben
bedroht. Noch viel dramatischer wird der Wandel ausfallen, wenn die
Emissionen weiter zunehmen wie bisher. Drei bis vier Grad
Erwärmung
wird den Meeresspiegel so stark steigen lassen, daß große
Küstenstädte
wie Tokio, New York oder London bedroht werden, ganz zu schweigen von
den dicht besiedelten Küsten in Bangladesch und Vietnam.
Schätzungsweise 200 Millionen Menschen müßten
umgesiedelt werden, und
eine Reihe Inselstaaten – vor allem im Pazifik – würde
in den Fluten
versinken.
Stern hat versucht, die
ökonomischen Schäden zu quantifizieren und kommt zu dem
Ergebnis, daß
ein Weiter-so-Szenario das weltweite Bruttosozialprodukt bis zur Mitte
des 21. Jahrhunderts um 20 Prozent verringern würde.
Aber das
ist nur ein Durchschnittswert. Im vergangenen Jahr wurde der
Weltöffentlichkeit vor laufenden Kameras in New Orleans gezeigt,
wie im
Ernstfall die Lasten verteilt werden: Wer wenig hat, wird alles
verlieren, gegebenenfalls auch das Leben, wenn er die
»falsche«
Hautfarbe hat oder Rettungsaktionen den Mächtigen zu teuer
erscheinen.
Trotz dieser düsteren Szenarien legt
Stern
Wert auf die Feststellung, daß sein Bericht optimistisch sei.
»Es
bleibt noch Zeit, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu
vermeiden, wenn wir jetzt handeln und wenn wir es international
tun«,
so
Stern bei der Vorstellung des Berichts.
»Entschiedene und wohlüberlegte Maßnahmen der
Regierungen sind nötig,
um den Wandel anzustoßen. Aber die Aufgabe ist dringend. Werden
die
Maßnahmen verzögert, und sei es nur um ein oder zwei
Jahrzehnte, dann
bewegen wir uns in gefährliche Gewässer.«
Unzureichende Forschung
Sterns Modellrechnungen haben ergeben,
daß
jede Tonne Kohlendioxid, die über das aktuelle Niveau hinaus
emittiert
würde, einen Schaden von 65 Euro anrichtet. Emissionsvermeidung
ließe
sich hingegen schon für weniger als 20 Euro pro Tonne erreichen.
Die
Maßnahmen, mit denen
Stern den
Übergang zur
klimaschonenden Wirtschaft schaffen will, sind eine Mischung aus
staatlichen Eingriffen und Marktmechanismen. Letztere bestehen unter
anderem aus dem Emissionshandel, mit dem ökonomische Anreize
für das
Vermeiden von Treibhausgasen geschaffen werden sollen. Hier fordert er
eine Verknüpfung der existierenden Systeme in aller Welt und vor
allem
striktere Reduktionsziele. Außerdem müßten die Mittel
für die
Energieforschung mindestens verdoppelt und die Fördermittel
für die
Einführung emissionsarmer Technologien vervierfacht werden.
Wichtig sei
auch eine internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Wälder,
denn die
Entwaldung hat einen spürbaren Anteil an der Emission von
Treibhausgasen.
Wird alles umgesetzt, so winken der globalen
Ökonomie zur Mitte des Jahrhunderts jährliche Vorteile von
bis zu zwei
Billionen Euro, so
Stern. Profitieren werden
davon nach dem heutigen Stand der Dinge aber sicherlich nicht die
derzeit tonangebenden Teile des großen Kapitals, nämlich Big
Oil und
die Automobilindustrie. Und genau da liegt das Problem, das der
Stern-Bericht ausklammert.