Während sich in einigen Gegenden Deutschlands die Menschen
über den
wärmsten September und Oktober seit mindestens 1901, dem Beginn
der
landesweiten Wetteraufzeichnungen, freuen konnten, vertiefen sich auf
den Stirnen der
Klimawissenschaftler
die Sorgenfalten: Seit Ende der 1970er Jahre hat sich der globale
Temperaturanstieg erheblich beschleunigt und beträgt nun 0,2 Grad
Celsius pro Jahrzehnt.
Auch aus dem hohen Norden – aus dem gar
nicht mehr so ewigen Eis – gibt es beunruhigende Nachrichten.
Kürzlich
meldeten Forscher der Europäischen Raumagentur ESA, daß
nördlich von
Spitzbergen bereits Ende August das Eis auf einer Fläche
größer als die
britischen Inseln aufgerissen ist. Derlei hatte man noch nie
beobachtet. Dort, wo sich gewöhnlich auch im Sommer, wenn die
Sonne in
der Polarregion nie hinterm Horizont verschwindet, meterdicke
Eisschollen dicht an dicht drängen und eine weitgehend
geschlossene
Decke bilden, waren nun auf den Satellitenbildern große
Öffnungen zu
erkennen. »Die Situation war anders als alles, was bisher zu
dieser
Jahreszeit beobachtet wurde«, meinte Mark Drinkwater, der bei der
ESA
die Ozean- und Eis-Abteilung leitet. »Vermutlich hätte ein
Schiff ohne
Probleme von Spitzbergen oder Nordsibirien durch diese normaler Weise
auch im August von Packeis blockierten Gewässer den Nordpol
erreichen
können.«
Offenes Wasser
Die Ursache sehen die
ESA-Wissenschaftler in den stürmischen Bedingungen, die im August
in
diesem Teil der Arktis geherrscht hatten. Insofern scheint es
zunächst
ein zufälliges Phänomen. Die Verbindung zu globalen
Klimaveränderungen
ist dennoch in mehrfacher Weise gegeben. Seit den 1950er Jahren wird
beobachtet, daß die Dicke des Eises über dem arktischen
Ozean
zurückgeht. Die Stabilität des Eises nimmt also ab und macht
ein
Aufbrechen wahrscheinlicher. Dafür spricht auch, daß in der
Beaufort-See nördlich von Alaska im August und September eine
Polynya
nie gesehener Größe aufgetreten ist. Der russische Begriff
bezeichnet
Flächen offenen Wassers in einer ansonsten geschlossenen Eisdecke.
Die
beobachtete Polynya hatte sich ab Mitte August geöffnet und wuchs
bis
auf eine Größe von knapp 100000 Quadratkilometern an. Das
arktische Eis
hatte also für mehrere Wochen ein Loch von fast der
Größe
Ostdeutschlands. Derlei hatte man zuvor erst ein einziges Mal
beobachtet, und zwar im Jahre 2000, allerdings in einer deutlich
kleineren Form.
Die Beobachtungen passen zu einem allgemeinen
Schrumpftrend. Seit 1978 messen verschiedene Satelliten, zum Teil per
Radar, zum Teil, indem sie die Wärmeabstrahlung des Eises im
Mikrowellenbereich registrieren, regelmäßig Ausdehnung,
Dicke und zum
Teil indirekt auch das Alter des Eises. Ein viel beachteter Wert ist
dabei unter anderem die Eisgrenze im September. Irgendwann in der Zeit
um den Herbstanfang erreicht das Eis – jenes Gebiet, in dem das
Meer zu
mindestens 15 Prozent von Eisschollen bedeckt ist – seine
geringste
Ausdehnung. Die sommerliche Schmelze geht zu Ende, neues Eis beginnt
sich zu bilden.
Neuer Minusrekord
Seit langem beobachten
Klimaforscher
dieses Minimum aufmerksam und stellen fest, daß sich das Eis
immer
weiter zurückzieht. Nach der Jahrtausendwende hat sich der
Rückgang
sogar noch beschleunigt. Im letzten Jahr wurde ein neuer historischer
Minusrekord beobachtet, und für kurze Zeit war so gar die
Nordost-Passage praktisch eisfrei, jener legendäre Seeweg, der vom
Nordatlantik entlang der sibirischen Küste zum Pazifik führt.
In diesem
Sommer war das Eis-Minimum geringfügig größer, lag aber
immer noch weit
unter dem Mittel der Jahre 1979 bis 2000. Aufgrund der Riesen-Polynya
in der Beaufort-See und der Entwicklung nördlich von Spitzbergen
ist
allerdings im Sommer 2006 die Eisfläche so klein wie nie zuvor
gewesen,
und das könnte Konsequenzen für den bevorstehenden Winter
haben.
Je
weniger nämlich im Sommer das arktische Meer vom Eis bedeckt ist,
desto
mehr Wärme kann der Ozean tanken. Im Gegensatz zum Eis reflektiert
die
Wasseroberfläche kaum Sonnenlicht, sondern läßt die
Strahlen eindringen
und das Wasser erwärmen. Entsprechend setzt im drauffolgenden
Winter
das Gefrieren später ein. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an
dem es
kein Halten mehr gibt, an dem das ganze System auf die schiefe Bahn
gerät. Dann wird der Eisschwund nicht mehr aufzuhalten sein, bis
der
arktische Ozean im Sommer schließlich ganz eisfrei ist.
Die Folgen für das globale
Klima
wären dramatisch und gehen weit über das hinaus, was das
Klimawissenschaftler-Gremium IPCC für das
Ende des Jahrhunderts vorhersagt. Die tropischen und subtropischen
Klimazonen
würden sich weit in den Norden verschieben und der Meeresspiegel
deutlich stärker Ansteigen, als die maximalen 80 Zentimeter.
Über eine
Milliarde Menschen, die in niedrigen Küstenzonen leben,
müßten in den
nächsten Generationen umgesiedelt werden.
Daten und Fakten: Aus dem Treibhaus
Kohlendioxid (CO2) ist das
wichtigste Treibhausgas. Seine Konzentration ist seit Beginn der
Industrialisierung von einst 270 ppm (parts per million) auf derzeit
rund 380 ppm angestiegen. Die Zunahme beträgt derzeit etwa drei
ppm pro
Jahr und hat damit längst den Bereich der natürlichen
CO2-Schwankungsbreite verlassen.
Temperaturanstieg: Im zwischenstaatlichen Ausschuß für
Fragen des
Klimawandels
(IPPC, Intergovernmental Panel on Climate Change) haben die Regierungen
einige hundert Forscher zusammengebracht, die in
regelmäßigen Abständen
den aktuellen wissenschaftlichen Konsens über den
Klimawandel zusammenfassen. Der nächste
Bericht wird 2007 veröffentlicht. 2001 hatte der IPCC
vorhergesagt, daß sich das globale
Klima
bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad Celsius erwärmen wird, wenn der
Anstieg der Treibhausgase ungebremst weitergeht.
Meeresspiegel: Um bis zu 88
Zentimeter könnte bis zum Ende des
Jahrhunderts der Meerespiegel ansteigen, wenn die Treibhausgase weiter
so anwachsen, wie zur Zeit, sagen die Prognosen des IPCC. Damit wird
aber auf keinen Fall das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Die
Ozeane und die großen Gletscher auf Grönland und in der
Antarktis
reagieren nur sehr träge auf die globale Erwärmung. Mehrere
hundert
Jahre werden vergehen, bis sich ein neuer Gleichgewichtszustand
eingespielt hat. Je nach dem wie stark die globale Erwärmung
letztendlich ausfällt kann der Meersspiegel um einige Dutzend
Meter
ansteigen.
Verantwortlich für den Anstieg des Meeresspiegels
ist zweierlei. Zum einen dehnt sich das Meerwasser aus, wenn es
wärmer
wird. Je tiefer die Erwärmung im Laufe der Jahrzehnte und
Jahrhunderte
in die Ozeane eindringt, desto höher steigt der Meeresspiegel. Das
Verschwinden des Meereises auf dem arktischen Ozean leistet hingegen
keinen direkten Beitrag, da es schwimmt. Das im Eis gefrorene Wasser
entspricht der Menge des durch die Eisschollen verdrängten
Wassers.
Allerdings wird ein eisfreier arktischer Ozean das Abschmelzen des
Grönlandgletschers erheblich beschleunigen. Gemeinsam mit dem
westantarktischen Eisschild könnte dieser tatsächlich den
Meeresspiegel
um einige Dutzend Meter ansteigen lassen.
(wop)