Nilpferde in der Donau
Aus Spitzbergen kommen Hinweise, dass
der letzte Winter in der Arktis viel zu warm ausgefallen ist.
Von Wolfgang Pomrehn
Während die
Zeitungen voll sind mit einem Klimabericht, der erst im nächsten
Frühjahr veröffentlicht wird, unterstreichen Melddungen aus
dem hohen Norden, dass der Klimawandel Realität ist und drastische
Züge anzunehmen beginnt. De Arktis könnte schon in wenigen
Jahrzehnten im Sommer eisfrei sein.
Eigentlich ist der Diskussionsprozess
im IPCC (Intergovernmental Panel on
Climate Change) ja vertraulich. Zumindest, so die Abmachung unter den
Klimawissenschaftler und Regierungsvertretern, sollten seine Berichte
erst veröffentlicht werden, wenn der komplizierte
Abstimmungsprozess abgeschlossen ist. Die US-Regierung schien es jedoch
(wieder einmal) nicht nötig zu haben, sich an das vereinbarte
Prozedere zu halten. Aber sei es drum, so hatten Journalisten dieser
Tage immerhin einmal mehr die Möglichkeit, die Öffentlichkeit
ein bisschen wach zu rütteln. Auch der jüngste IPCC-Bericht
wird keinen Zweifel daran lassen, dass der Mensch das globale Klima mit
seinen Treibhausgasemissionen dramatisch verändert. Um bis zu 5,8
Grad wird es am Ende des 21. Jahrhunderts im globalen Mittel
wärmer sein, sollte die Menschheit in Sachen Treibhausgasemissionen
einem Business-as-usual-Szenario folgen. Das ist nicht mehr ganz neu,
aber noch immer Besorgnis erregend, zumal sich im internationalen Verhandlungsprozess wenig tut.
Der IPCC wurde von der Weltmeteorologie Organisation und dem UN Umweltprogramm eingesetzt, um
in regelmäßigen Abständen den Stand der
Klimawissenschaften zusammenzufassen. Mehrere hundert Autoren, die
anerkannten Fachkräfte auf den jeweiligen Gebieten, arbeiten
jeweils über mehrere Jahre an einem solchen Bericht. Kapitel
werden geschrieben, diskutiert und in einem mehrstufigen Prozess von
Fachleuten gegengelesen. In der letzten Stufe, die vor etwa zwei
Monaten begonnen hat, bekommen die Regierungen den Entwurf zur
Beurteilung und Kommentierung überlassen. Ihre Anmerkungen finden
schließlich in der endgültigen Fassung Eingang. Das
komplizierte Verfahren und die Einbeziehung der Regierungen hat den
Vorteil, dass die zusammengetragenen Fakten wirklich wasserdicht sind.
Wenn die Positionen der im IPCC versammelten Spitzen der weltweiten
Klimaforschung tatsächlich so angreifbar und vorurteilsbehaftet
wären, wie manche Lobbyisten und „Skeptiker“ nicht
müde werden zu betonen, dann hätten Regierungen wie die
US-amerikanische oder jene der arabischen OPEC-Länder, die
ansonsten nichts unversucht lassen, um die internationalen
Klimaschutzverhandlungen aufzuhalten, ein leichtes Spiel gegen die
Verabschiedung der Berichte ihr Veto einzulegen.
Damit ist jedoch auch in diesem Jahr
nicht zu rechnen. Statt dessen zeigte die US-Regierung schon im Vorfeld
ihre Geringschätzung für gemeinsame Absprachen und machte den
Entwurf bereits Anfang April öffentlich.
Alle Interessierten finden noch bis Ende Juni auf der homepage des US
Climate Change Science Program einen Hinweis, wie sie sich per
einfacher Email den Zugang zu einer Password geschützten Webseite
mit dem Entwurf verschaffen können.
Ob das Vorgehen der US-Regierung
allerdings der Debatte dient, ist fraglich. Die renommierte Webseite Realclimate, die von einigen
bekannten kritischen Klimawissenschaftlern betrieben wird, darunter
auch einige IPCC-Autoren, hatte schon Anfang Mai darauf hingewiesen,
dass der Entwurf ja wohl nun allgemein bekannt sei, man sich aber
dennoch jedes Zitats enthalten werde, solange nicht die endgültige
Fassung vorliege.
Das ist verständlich, denn zum
einen ist der Entwurf noch nicht abgestimmt und damit nicht
zitierfähig, zum anderen enthält er nichts wirklich Neues. Er
fasst nur auftragsgemäß den Stand der Wissenschaften
zusammen, der in den letzten Jahren bereits in den einschlägigen
Journalen in hunderten Fachartikeln veröffentlicht wurde.
Neu ist hingegen, was Realclimate aus
dem hohen Norden berichtet.
Die dortige Wetterstation des Norwegischen
Meteorologischen Dienstes hat außerordentliche Werte
gemeldet. Der Januar war auf Spitzbergen nicht nur der wärmste je
seit 1911 gemessene, sondern auch wärmer als jeder bisher
gemessene April (mit Ausnahme 2006). Der ganze Winter war viel zu warm.
Der Dezember lag 9,6 Grad Celsius über dem Mittel der Jahre 1961
bis 1990. Der Januar um 12,6, der Februar um 6,5, der März um 2,7
und der April um 12,4 Grad. Zuvor war der wärmste je gemessene
April der des Jahres 1996 gewesen. Damals zeigte das Thermometer im
Mittel -7 Grad Celsius.
Monat |
Temp |
Mref |
Stabw |
Differenz |
Dez 05 |
-3.8 |
-13.3 |
4.4 |
+9.5 |
Jan 06 |
-2.7 |
-15.3 |
4.7 |
+12.6 |
Feb 06 |
-9.8 |
-16.3 |
3.7 |
+6.5 |
Mar 06 |
-13.1 |
-15.8 |
3.7 |
+2.7 |
Apr 06 |
0.0 |
-12.4 |
2.7 |
+12.4 |
Quelle:
Realclimate
Temp.: Monatsmittel der Temperatur
Mref: Mittelwert für den
jeweiligen Monat in den Jahren 1961 bis 1990
Stabw: Standardabweichung
Die statistische Standardabweichung
der Monatsmittelwerte vom langjährigen Mittel beträgt, wie
die Tabelle zeigt, je nach Monat 2,7 bis 4.4 Grad. Oder mit anderen
Worten: Mit Ausnahme des Märzwertes sind die Abweichungen
außerordentlich unwahrscheinlich; viel zu unwahrscheinlich, um
zufällige Ereignisse in einem ansonsten unveränderten System
zu sein. Hinzu kommen Berichte, das größere Teile der
Küste bereits jetzt frei von Meereis sind, etwas was seit Beginn
der Aufzeichnungen nie zuvor so früh im Jahr beobachtet wurde.
Alles deutet daraufhin, dass der
ungewöhnlich milde Winter auf Spitzbergen kein lokal begrenzter
Ausreißer ist. Bereits im letzten Oktober hatten die
US-Weltraumbehörde NASA und das
US-amerikanische National Snow and Ice
Data Center Alarm geschlagen.
Satellitendaten zeigten, dass im Sommer 2005 das Meereis in der
Antarktis so weit wie nie zuvor zurückgegangen war. Das Eis
erreicht typischer Weise im September sein Minimum, und am 21.
September 2005 wurden nach NASA-Angaben nur 5,32 Millionen
Quadratkilometer Eis von den Satelliten gesichtet. Das war die
geringste Ausdehnung seit Beginn der Satellitenbeobachtung der Arktis
im Jahre 1978. Die Wissenschaftler warnten gleichzeitig, dass 2005 kein
Ausrutscher sei, sondern sich nahtlos in einen negativen Trend
einfüge, der die Arktis bereits in wenigen Jahrzehnten im Sommer
zu einem offenen Ozean ohne Meereis machen könne.
Die Daten aus Spitzbergen lassen
gemeinsam mit den jüngsten Messungen der winterlichen Eisbedeckung
erwarten, dass der letztjährigen Minusrekord schon in diesem
September gebrochen wird.
Abbilidung 1
Das Bild zeigt
die Ausdehnung des arktischen Meereises in den letzten 12 Monaten. Die
obere Kurve beschreibt die eisbedeckte Fläche in Millionen
Quadratkilometern. Auffällig ist, dass im Mitte Mai 2006 (rechts)
das Eis schon auf einen Stand zurückgegangen ist, der dem Stand
von Ende Juni 2005 (links) entspricht. Die untere, rote Kurve
beschreibt die Abweichung (Anomalie) der Eisfläche vom
langjährigen Mittel der Jahre 1979 bis 2000. Seit Anfang des
Jahres ist die Eisbedeckung deutlich geringer als jahreszeitlich
üblich, zum Teil um rund eine Million Quadratkilometer oder
– zeitlich variierend – um fünf bis zehn Prozent. Quelle (Unter
diesem Link findet sich eine aktualisierte Version der obigen Grafik,
die die jeweils aktuelle Daten mit einigen Tagen Verzögerung zeigt.)
Wie die Satellitendaten (siehe
Abbildung 1) zeigen, ist das Meereis in der Arktis bereits seit
März auf dem Rückzug. Schon seit Jahresbeginn ist die
Ausdehnung des Eises um fünf bis zehn Prozent zu niedrig, wenn man
sie am Mittel der Jahre 1979 bis 2000 misst. (Wobei auch das schon
Jahre waren, in denen ein Rückgang des Eises beobachtet wurde.)
Alles deutet also daraufhin, dass sich das Eis in diesem Sommer noch
weiter zurückziehen wird.
Die Frage die sich nun stellt, ist,
ob vielleicht bereits der Punkt ohne Wiederkehr erreicht ist, denn
Meereis und regionales Klima sind positiv rückgekoppelt. Je
weniger Eis auf dem arktischen Ozean im Sommer, desto wärmer das
Klima in der Arktis, desto weniger Eis wird wiederum im Winter neu
gebildet. Das arktische Meereis reflektiert im Sommer etwa 60 Prozent
der Sonnenstrahlung, die auf das Eis trifft. (Das Eis der
Grönlandgletscher oder der Antarktis reflektiert mehr, da es
weißer ist, unter anderem weil sich auf ihm keine
Schmelzwasserpfützen bilden.) Dadurch wird die Erwärmung der
Luft und vor allem des bedeckten Wassers sehr begrenzt. Ist das Wasser
jedoch frei, so kann es sich den Sommer über – in dem die
Sonne nördlich des Polarkreis bekanntlich 24 Stunden scheint
– aufwärmen. Oder mit anderen Worten: Je weniger
Meeresfläche im Sommer eisbedeckt ist, desto stärker
erwärmt sich das Wasser und desto weniger Eis kann im
nachfolgenden Winter gebildet werden. Ab einem bestimmten Punkt wird
das Wasser so warm, dass im Winter der Verlust des Sommers nicht mehr
vollständig wettgemacht werden kann. Wo dieser Punkt genau liegt,
vermag derzeit niemand zu sagen, aber der Blick auf die Zeitreihe der
Eisbedeckung lässt nichts Gutes erwarten.
Abbildung 2
Die Kurve zeigt
die Abweichung (Anomalie) der arktischen Eisbedeckung vom Mittelwert
der Jahre 1978 bis 2000. Zweierlei fällt auf: Erstens: Die
Abweichung zu Beginn 2006 war im Beobachtungszeitraum die
zweitgrößte. Nur Ende 1995 gab es eine etwas
größere Anomalie. Zweitens: 2001 gab es eine ins Auge
fallende Verstärkung des negativen Trends. Seit Beginn des
Jahrtausends hat sich die Abnahme des arktischen Meereises
beschleunigt. Quelle
Abbildung 2 zeigt, dass es seit dem
Beginn der Satellitenmessungen im Jahre 1978 eine Abnahme der Bedeckung
des arktischen Ozeans gibt. (Aus der Zeit vorher gibt es keine
umfassenden Datensätze, aber alte Messungen der Eisdicke durch
US-amerikanische und sowjetische U-Boote und andere Beobachtungen
deuten daraufhin, dass es schon vorher einen leichten Rückgang von
Dicke und Ausdehnung der Eisfläche gegeben hat.) Zunächst
fällt die Abnahme noch vergleichsweise moderat aus, aber seit dem
Beginn des Jahrtausends fallen die Abweichungen vom Mittelwert immer
deutlicher aus und zeigen zudem eine stark zunehmende Tendenz. Eine
Abweichung vom Mittelwert um eine Million Quadratkilometer stellen je
nach Jahreszeit immerhin acht bis 20 Prozent dar.
Die Folgen des Eisrückgangs sind
weit reichend. Die Bewohner
der Arktis beschweren sich schon seit einigen Jahren immer wieder
auf
internationalen Konferenzen, dass der Rückgang des Eises ihre
Lebensgrundlagen gefährdet. Die Regierungen der Anrainerstaaten
hoffen hingegen auf neue Schifffahrstwege und den Zugang zu
Erdöllagerstätten, die bisher unterm ewigen Eis verborgen
waren. Folgerichtig kommt man sich immer öfter in de Quere, da
zahlreiche bisher als unwichtig erachtete Fragen der Grenzziehung und
Hoheitsrechte ungelöst sind (siehe auch
Streit um die Nordwestpassage ).
Doch die Auswirkung eines eisfreien
arktischen Ozeans sind bei weitem nicht auf die Arktis beschränkt,
sondern werden auf der ganzen Nordhalbkugel mit Ausnahme der Tropen zu
spüren sein. Bisher gehen die meisten Klimaforscher und ihre
Computersimulationen davon aus, dass der Fall einer im Sommer eisfreien
Arktis erst im 22. Jahrhundert eintreten wird. Doch die jüngsten
Befunde lassen vermuten, dass das schon erheblich früher der Fall
sein wird. Dann würde die Erwärmung auf der Nordhalbkugel
noch drastischer als in den Worst-case-Szenarien ausfallen. Vielleicht
könnten unsere Enkel dann schon in der Donau auf Flusspferden
reiten.