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Merkels Atomiker-Runde:

Gruselkabinett


Wolfgang Pomrehn

Energieversorgung ist eine ganz elementare Sache, im volkswirtschaftlichen Großen, wie im privaten Kleinen. Ohne Strom läuft gar nichts, ohne Öl nur sehr wenig. Jahrzehntelange Pro-Auto-Politik hat den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, der aufgrund seiner Struktur wesentlich einfacher auf regenerative Energieträger wie Wind und Sonne umzustellen wäre, drastisch zusammenschrumpfen lassen und PKW und LKW vielerorts unverzichtbar gemacht.
Nur, wie will man künftig diese Flotte antreiben, wenn Kriege oder die Erschöpfung der Erdölfelder den Nachschub zu einem Rinnsal werden lassen? Außerdem: Viele der in den 1950ern und 60ern gebauten Großkraftwerke – nicht nur die Atommeiler – kommen in die Jahre. Welcherart soll der Ersatz sein? Das sind einige der Fragen, über die am heutigen Montag im Kanzleramt diskutiert werden soll. Symptomatisch für den Zustand dieser Gesellschaft und den arroganten Herrschaftsstil der Mächtigen ist die Auswahl der Eingeladenen: Die Kanzlerin macht sich nicht einmal die Mühe, den Anschein demokratischer Gepflogenheiten zu erwecken. Sie lädt einfach die Herren der größten hiesigen Energiekonzerne – die auch jenseits der Landesgrenzen zu den Global Playern zählen – und das wars. Keine öffentliche Debatte, keine parlamentarische, nicht einmal Pausenclowns von den Gewerkschaften und Umweltverbänden werden engagiert.
Das Ergebnis ist absehbar. Es wird einige Breitseiten gegen erneuerbare Energien geben, RWE und Co. werden Unterstützung für neue Kohlekraftwerke einfordern, und natürlich wird keiner das Wort Energiewende auch nur in den Mund nehmen. Offen ist nur noch, ob die SPD bei der Laufzeitverlängerung der AKW einknickt. Die sind längst abgeschrieben und für die Betreiber daher die reinsten Notenpressen. Das Ansinnen der Atomgemeinde wird bei Angela Merkel sicherlich auf offene Ohren stoßen. Schließlich ist sie noch im Herbst 1995 als Umweltministerin und erklärter Atomkraftfan durch Indonesien getourt, um dem Diktator Suharto deutsche AKW für sein von Vulkanen und Erdbebenzonen gespicktes Archipel schmackhaft zu machen.
Doch auch, wenn in Sachen „Atomausstieg“ alles beim alten bleiben sollte, ist die Runde im Kanzleramt noch immer das reinste Gruselkabinett. Das Weiter-so, daß sich in ihr manifestiert, ist der sichere Weg in die Katastrophe. Kohlekraftwerke heizen den Klimawandel weiter an, Erdöl und -gas ebenso und werden zudem in den nächsten Jahrzehnten rar. Aber mit knappen Gütern lassen sich prächtige Profite machen. Deshalb muß ein Umstieg so lange wie möglich herausgezögert werden, und deshalb brauchen „wir“ eine weltweit einsetzbaren Interventionsarmee, um den Zugriff auf die Erdölquellen zu sichern. Und deshalb sollten Linke sich klar machen, daß es um mehr als um eines dieser vermeintlich unwichtigen Umweltthemen geht.