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15.11.2006 / Ansichten / Seite 8
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Vattenfall spielt russisches Roulette

Abschalten

Von Wolfgang Pomrehn
Schon wieder Vattenfall. Dienstag früh, kurz nach Mitternacht, brach in einem Transformator des AKW Ring-hals 3 ein Feuer aus. »Explosionsartig«, wie der Betreiber Vattenfall berichtet. Der Reaktor, der südlich der schwedischen Großstadt Göteborg steht, mußte abgeschaltet werden. Zum Glück funktionierte das diesmal reibungslos, sofern man den Angaben Vattenfalls noch trauen kann. Erst vor dreieinhalb Monaten, am 25. Juli, war im ebenfalls schwedischen Reaktor Forsmark 1 ein Netzkurzschluß in das Kraftwerk durchgeschlagen und hatte die Notstromversorgung lahmgelegt. In der Folge schrammte der Reaktor knapp an einer Kernschmelze vorbei. Der Konzern Vattenfall, der auch in Deutschland Atomkraftwerke betreibt, wiegelte zunächst ab.

Diesmal ging es zum Glück glimpflicher ab. Daß das nicht ganz selbstverständlich ist, zeigt nicht nur der Forsmark-Unfall. Im Mai 2005 urteilte ein schwedisches Gericht, daß die in den Jahren 1975 bis 1983 erbauten vier Reaktoren in Ringhals nicht mehr dem schwedischen Umweltrecht entsprechen. Der Regierung in Stockholm machte das jedoch nichts weiter aus. Die Sicherheit der schwedischen Stromversorgung habe einen höheren Stellenwert als die Einhaltung des Umweltrechts, beschied das Kabinett.

Derart russisches Roulette zu spielen ist offenbar ganz nach dem Geschmack des Stromkonzerns. Vattenfalls deutsche Dependance ließ nach dem Unfall in Forsmark die hiesige Öffentlichkeit wissen, daß ein ähnlicher Unfall hierzulande ausgeschlossen sei. In deutschen Meilern seien die Notstromsysteme anders gestrickt. Zwei Wochen später kam heraus, daß das schlicht gelogen war. Im Notstromsystem des AKW Brunsbüttel an der Unterelbe, nordwestlich von Hamburg gelegen, werden Regler benutzt, die auf Wechselstrombasis funktionieren. Eben jene Bauteile, die in Forsmark ausgefallen waren und damit beinahe eine Katastrophe ausgelöst hatten.

Landes- und Bundesregierung hätten bei dieser Informationspolitik und angesichts des erneuten Unfalls in einem Vattenfall-AKW ohne weiteres die Möglichkeit, die offensichtliche Unzuverlässigkeit des Betreibers festzustellen. Damit entfiele die rechtliche Grundlage für den AKW-Betrieb, aber das setzt natürlich den entsprechenden politischen Willen voraus. Doch lieber läßt man, wie am vergangenen Wochenende bei Gorleben, eine ganze Bürgerkriegsarmee ausrücken, um der Atomindustrie das Grundrecht auf Profit zu sichern. Das hat hierzulande nämlich einen höheren Stellenwert als die bürgerlichen Freiheiten der Wendländer oder die Gesundheit von Millionen Bürgern, die in Ballungsräumen wie Hamburg oder Frankfurt am Main in der Nachbarschaft der Meiler leben. Fazit: Sicher ist an der Atomtechnologie nur die Prügel, die ihre Gegner regelmäßig von »Ordnungshütern« beziehen.