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15.07.2006 / Wochenendbeilage / Seite 1 (Beilage)

»Die Wahlen werden das Land zerstören«

Gespräch mit Valentin Mubake. Über die Einmischung von EU und USA im Kongo


Valentin Mubake ist Sprecher der kongolesischen Oppositionspartei UDPS

Am 30. Juli werden in der Demokratischen Republik Kongo zum ersten Mal seit 45 Jahren ein Parlament und der Präsident gewählt. Doch Sie kritisieren die Wahl. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch?

Seit nunmehr 26 Jahren kämpft die UDPS dafür, in Kongo einen Rechtsstaat aufzubauen. Wir haben nicht wie andere zu den Waffen gegriffen. Die UDPS weiß sehr gut, daß in einer Demokratie der einzige Weg zur Macht über Wahlen führt – doch welcher Art Wahlen sind das? Wir haben jedem gesagt, daß der dem kongolesischen Volk aufgezwungene Wahlprozeß kein guter ist. Wir haben den Eindruck, daß unsere internationalen Partner kein Interesse daran haben, ordentliche Wahlen durchzuführen. Wir können nicht verstehen, warum unsere Partner uns drängen, zur Wahl zu gehen, ohne die Frage zu stellen, was nach den Wahlen sein wird.

Was genau sind Ihre Zweifel an dem Prozeß?

Wir haben 2002 in Südafrika nach den Gesprächen zwischen den bewaffneten Gruppen und politischen Parteien das Sun-City-Friedensabkommen unterschrieben. Das ist die Grundlage für die Einrichtung der Wahlkommission gewesen. Wir haben alle Aufgaben der Kommission festgehalten. Aber unsere internationalen Partner haben sich entschieden, einige dieser Aufgaben – wichtige Aufgaben – zu ignorieren.

Darunter ist die Volkszählung. Es heißt, ,vier Millionen Menschen sind während des Bürgerkrieges gestorben. Das heißt, wir müssen wissen, wie sich die Demographie verändert hat, und zwar nicht nur in groben Zügen, sondern in jeder Region. Wir werden nicht nur einen neuen Präsidenten, sondern in jeder Region auch Kongreßabgeordnete wählen, aber man sagt uns, wir brauchen keinen Zensus. Was für eine Art Wahlen sind das, die sie da planen?

Zweitens: Wir hatten in Sun City entschieden, daß die Präsidentschaftswahlen der letzte Schritt sein sollten. Warum? Weil es mehr als 40 Jahre her ist, daß wir das letzte Mal gewählt haben. In diesem Land haben ganze Generationen keine Ahnung, was Wahlen sind. Wir hatten deshalb entschieden, daß wir langsam voranschreiten wollen: Erst die lokalen Wahlen, dann auf der Provinzebene, noch später das nationale Parlament und schließlich zum Schluß die Präsidentschaftswahlen. Aber die internationale Gemeinschaft und die Wahlkommission haben das alles über den Haufen geworfen. Sie entschieden, daß mit den Präsidentschaftswahlen begonnen werden soll. Wir fragten: Warum? Keine Antwort. Und jetzt haben wir politische und soziale Spannungen. Das war vorhersehbar.

Drittens: Wir hatten in Südafrika beschlossen, die Wahlen innerhalb von zwei Jahren zu organisieren. Im Falle von Problemen in Verbindung mit den Wahlen sollte eine Verlängerung dieser Frist um zwölf Monate möglich sein. Nach zwei Jahren gab es Probleme, aber sie hatten nichts mit den Wahlen zu tun. Der Präsident und die vier Vizepräsidenten verbrachten ihre Zeit damit, das Land zu plündern und alles zunichte zu machen. Deshalb sagten wir nein zu einer Verschiebung um zwölf Monate, denn die Probleme hatten nichts mit dem Wahlprozeß zu tun. Aber aus der Europäischen Union kamen lauter hochrangige Männer, um sich mit uns zu treffen. Der Generalsekretär der UNO kam, alle kamen, um uns zu sagen: »Das ist nicht das Ende der Welt, es geht bloß um zwölf Monate.« Also haben wir zugestimmt.

Das war am 30. Juni 2005, das heißt, die Frist ist am 30. Juni 2006 abgelaufen. Heute heißt es, wir können nicht Wahlen innerhalb von drei Jahren organisieren. Also ist die erste Runde der Präsidentschaftswahlen auf den 30. Juli festgesetzt. Aber was ist mit der zweiten Runde? Und mit den Provinzwahlen? Was mit den Kommunalwahlen? Sie werden es auf 2007 oder 2008 hinauszögern, und dem können wir nicht zustimmen.

Was schlagen Sie vor?

Unsere Lösung ist einfach: Wir wollen eine gute Regierung für dieses Land. Die wichtigsten Akteure müssen sich gemeinsam mit den internationalen Akteuren an einen Tisch setzen. Wahlen sind gut, aber wir machen es auf eine schlechte Art und Weise. Es ist das erstemal, daß wir Wahlen in diesem Land haben, daher können wir nicht alle Probleme vermeiden. Aber wenn sich etwas an einem Abkommen ändert, dann müssen wir, die es unterschrieben hatten, gemeinsam entscheiden, wie das Abkommen angepaßt wird. Ist die Anpassung gut, dann wird es für alle gut sein. Ist die Anpassung schlecht, dann ist es für alle schlecht. Alle haben gemeinsam die Konsequenzen zu tragen.

Unsere internationalen Partner müssen uns mit der demokratischen Kultur, mit guten Regierungsformen, dem Respektieren von Texten und Abkommen helfen. Im Augenblick sieht es allerdings anders aus: Eine Gruppe profitiert mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft von der Veränderung des Abkommens, während man von den anderen Gruppen, darunter die UDPS, erwartet, daß sie die schlechten Konsequenzen mittragen. Dagegen haben wir etwas. Die Lösung lautet also: Gespräche, die wichtigen Leute zusammenbringen. Das dauert nicht länger als zwei Wochen. Noch können wir die Sache retten. Machen wir es nicht, verschieben wir wesentlich schwerwiegendere Probleme in die Zukunft.

Sie fordern also eine weitere Verschiebung der Wahlen, weil die Wahlkommission die Wahlen über die Drei-Jahresfrist hinaus verschoben hat. Ist das kein Widerspruch?

Nein. Vor sechs Monaten, als wir uns beteiligen wollten, haben wir gesagt, einige unserer Mitglieder sind noch nicht im Wahlregister. Bitte öffnet ein Büro, damit sie sich registrieren können. Wir haben gesagt, daß die anderen Parteien Vertreter in der Wahlkommission und in der Medienaufsichtsbehörde haben. Wir baten darum, an diesen Institutionen teilnehmen zu können. Wissen Sie, was die Antwort war? Wir haben keine Zeit, wir verpassen den Zeitplan für den 30. Juni. Nun haben sie diese Frist verpaßt. Nun könnten sie uns geben, was sie vorher verweigert haben.

Noch aus einem anderen Grunde fordern wir mehr Zeit. Sie haben uns gezeigt, daß sie nicht in der Lage sind, diese Übergangsperiode zu organisieren. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben wegen der Korruption die Zahlung eingestellt. Die Führer der Übergangsregierung sind noch immer Bandenhäuptlinge. In vielerlei Hinsicht sind sie nicht in der Lage, dieses Land zu führen. Wir müssen ihnen also moralisch helfen. Wir müssen ihnen sagen: »Laßt uns zusammensitzen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Laßt uns nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.«

Was, befürchten Sie, wird geschehen, wenn die Wahlen am 30. Juli abgehalten werden?

Die Wahlen werden das Land zerstören. Wir haben sogar Angst, das könnte noch vor den Wahlen passieren.

Bedenken Sie folgendes: Wir haben damals während der Friedensgespräche 2002 beschlossen, aus den verschiedenen Milizen eine integrierte Armee zu schaffen. Die UN-Mission MONUC machte eine Zählung der Kämpfer und kam auf 175000, wobei jene, die sich im Busch versteckten, noch nicht mitgezählt waren. Nun wird von einer Armee mit neun Brigaden gesprochen. In einer Brigade sind weniger als 4000 Mann, alles zusammen also wesentlich weniger als 50000 Soldaten. Was ist mit dem Rest? All diese Milizen gehören zu den Warlords, zu den Vizepräsidenten Bemba, Azarias und Ruberwa sowie zu Präsident Kabila. Glauben Sie, daß man unter solchen Voraussetzungen Wahlen abhalten kann und daß jeder hinterher den Ergebnissen zustimmen wird?

Ich bin sicher, Sie haben davon gehört, daß in Maluku, nur 50 Kilometer von Kin­shasa, Bemba seine Leute trainiert. Kabilas Garden sind übers ganze Land verteilt. Laurant Nkunda, der frühere General der RCD-Armee (Rassemblement congolais pour la democratie, Kongolesische Versammlung für Demokratie), rebelliert gegen Kinshasa. Er versteckt sich mit seinen Kämpfern im Busch in der Nähe Gomas (im Osten des Landes, an der Grenze zu Ruanda), und wie man hört, setzt er seine Operationen fort. MONUC weiß davon, alle wissen davon. Jeder, der Augen im Kopf hat, kann es sehen. Von den Interhamwe (Miliz, der vorgeworfen wird, 1994 am Völkermord in Ruanda beteiligt gewesen zu sein) sind noch immer 15000 Soldaten im Land. MONUC treibt sie tiefer in den Bush und nicht in ihr eigenes Land zurück. Was für Wahlen erwartet man von uns unter diesen Bedingungen? Wenn wir diesen Problemen nicht offen ins Gesicht sehen, wenn wir uns nicht zusammensetzen, dann ist die Zukunft einfach.

Sie sagten, Sie hätten den Eindruck, die internationale Gemeinschaft habe kein Interesse an ordentlichen Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo. Was meinen Sie damit?

Das ist schmerzhaft für uns. Liberia hatte einen gewählten Präsidenten, aber er wurde wegen seiner Verwicklung in kriminelle Machenschaften verhaftet. In Haiti kamen die Rebellen bis nach Port-au-Prince, aber sie bekamen keine Macht. Im Kongo haben wir jedoch eine andere Lösung: Wer die Waffen hat, hat die Macht, und diese Leute werden von allen westlichen Staaten unterstützt. Sie sind nicht an der Macht, weil sie uns gezeigt hätten, daß sie gute Führer sind. Berichte der UNO kommen zu dem Ergebnis, daß sie Plünderer sind. Aber sie sind noch immer an der Macht. Warum? Weil es schwierig wäre, andere Marionetten zu finden.

Schauen Sie sich die Bodenschätze des Kongo an. Vergleichen Sie sie mit Chile, dem weltweit größten Kupferproduzenten. Dort beträgt der Kupfergehalt des Erzes maximal 0,18 Prozent. Im Kongo hingegen sind es mindestens drei Prozent. Unsere Bodenschätze machen die Menschen verrückt. Es macht nichts, daß wir die ersten Wahlen in über 40 Jahren nicht ordentlich organisieren können. So ist es eben in Afrika. Und wir haben einen Vorwand, das Mißmanagement weiter zu betreiben. Danach wird man sagen, die Kongolesen sind nicht in der Lage, ein so großes Land zu managen. Es wäre besser es aufzuteilen wie Jugoslawien.

Die Wahlen sind eine Fassade, eine Maskerade, um die Plünderer und ihre ausländischen Unterstützer zu legitimieren. Ich kann Ihnen Kopien von Verträgen mit kanadischen, US-amerikanischen, französischen und belgischen Firmen zeigen. Wie kann man einem einzigen Mann, George Forrest, ein belgischen Bürger, der für multinationale Konzerne arbeitet, 84 Prozent aller Kupferkonzessionen geben? Wie kann man einem einzigen Mann 90 Prozent der Kobaltkonzessionen geben? Der Kongo hat die größten Kobaltvorkommen der Welt. Das bedeutet also, man gibt einer einzigen Person nahezu das ganze Kobalt der Welt. Ohne öffentliche Ausschreibung.

Die UDPS ist keine kommunistische Partei. Wir sind eine demokratische Partei, 26 Jahre haben wir gegen Mobutu gekämpft. Unbewaffnet. Unter dem Mobutu-Regime ist unser Vorsitzender Tshisekedi mehr als 30mal verhaftet worden, und wenn ich von Verhaftung spreche, dann meine ich nicht für eine Stunde, sondern für Monate und Jahre. Er wurde mehrere Male in sein Heimatdorf verbannt, und man hat ihn gefoltert. Als Laurent Kabila, der Vater des heutigen Präsidenten, an die Macht kam, verbot er alle politischen Aktivitäten und Parteien. Tshisekedi hat Nein gesagt. »Wir hatten eine Diktatur unter Mobutu, und wir haben uns dagegen gewehrt. Du kannst nicht mehr als Mobutu sein.« Daraufhin hat Kabila Tshisekedi verhaften lassen und ihn für sechs Monate in sein Heimatdorf verbannt.

Jetzt macht man uns zu Teufeln, und die Rebellen – verantwortlich für vier Millionen Tote – sind die Engel. Alles wegen der Bodenschätze. Das ist eine Schande.

Übersetzung aus dem Englischen: Wolfgang Pomrehn