Valentin Mubake ist
Sprecher der kongolesischen
Oppositionspartei UDPS
Am 30. Juli
werden in der Demokratischen Republik Kongo
zum ersten Mal seit 45 Jahren ein Parlament und der Präsident
gewählt.
Doch Sie kritisieren die Wahl. Was läuft Ihrer Meinung nach falsch?
Seit nunmehr 26
Jahren kämpft die UDPS dafür, in Kongo
einen Rechtsstaat aufzubauen. Wir haben nicht wie andere zu den Waffen
gegriffen. Die UDPS weiß sehr gut, daß in einer Demokratie
der einzige
Weg zur Macht über Wahlen führt – doch welcher Art
Wahlen sind das? Wir
haben jedem gesagt, daß der dem kongolesischen
Volk aufgezwungene Wahlprozeß kein guter ist. Wir haben den
Eindruck,
daß unsere internationalen Partner kein Interesse daran haben,
ordentliche Wahlen durchzuführen. Wir können nicht verstehen,
warum
unsere Partner uns drängen, zur Wahl zu gehen, ohne die Frage zu
stellen, was nach den Wahlen sein wird.
Was genau
sind Ihre Zweifel an dem Prozeß?
Wir
haben 2002 in Südafrika nach den Gesprächen zwischen den
bewaffneten
Gruppen und politischen Parteien das Sun-City-Friedensabkommen
unterschrieben. Das ist die Grundlage für die Einrichtung der
Wahlkommission gewesen. Wir haben alle Aufgaben der Kommission
festgehalten. Aber unsere internationalen Partner haben sich
entschieden, einige dieser Aufgaben – wichtige Aufgaben –
zu ignorieren.
Darunter
ist die Volkszählung. Es heißt, ,vier Millionen Menschen
sind während
des Bürgerkrieges gestorben. Das heißt, wir müssen
wissen, wie sich die
Demographie verändert hat, und zwar nicht nur in groben
Zügen, sondern
in jeder Region. Wir werden nicht nur einen neuen Präsidenten,
sondern
in jeder Region auch Kongreßabgeordnete wählen, aber man
sagt uns, wir
brauchen keinen Zensus. Was für eine Art Wahlen sind das, die sie
da
planen?
Zweitens: Wir
hatten in Sun City entschieden, daß die
Präsidentschaftswahlen der letzte Schritt sein sollten. Warum?
Weil es
mehr als 40 Jahre her ist, daß wir das letzte Mal gewählt
haben. In
diesem Land haben ganze Generationen keine Ahnung, was Wahlen sind. Wir
hatten deshalb entschieden, daß wir langsam voranschreiten
wollen: Erst
die lokalen Wahlen, dann auf der Provinzebene, noch später das
nationale Parlament und schließlich zum Schluß die
Präsidentschaftswahlen. Aber die internationale Gemeinschaft und
die
Wahlkommission haben das alles über den Haufen geworfen. Sie
entschieden, daß mit den Präsidentschaftswahlen begonnen
werden soll.
Wir fragten: Warum? Keine Antwort. Und jetzt haben wir politische und
soziale Spannungen. Das war vorhersehbar.
Drittens: Wir
hatten
in Südafrika beschlossen, die Wahlen innerhalb von zwei Jahren zu
organisieren. Im Falle von Problemen in Verbindung mit den Wahlen
sollte eine Verlängerung dieser Frist um zwölf Monate
möglich sein.
Nach zwei Jahren gab es Probleme, aber sie hatten nichts mit den Wahlen
zu tun. Der Präsident und die vier Vizepräsidenten
verbrachten ihre
Zeit damit, das Land zu plündern und alles zunichte zu machen.
Deshalb
sagten wir nein zu einer Verschiebung um zwölf Monate, denn die
Probleme hatten nichts mit dem Wahlprozeß zu tun. Aber aus der
Europäischen Union kamen lauter hochrangige Männer, um sich
mit uns zu
treffen. Der Generalsekretär der UNO kam, alle kamen, um uns zu
sagen:
»Das ist nicht das Ende der Welt, es geht bloß um
zwölf Monate.« Also
haben wir zugestimmt.
Das war am 30.
Juni 2005, das heißt, die
Frist ist am 30. Juni 2006 abgelaufen. Heute heißt es, wir
können nicht
Wahlen innerhalb von drei Jahren organisieren. Also ist die erste Runde
der Präsidentschaftswahlen auf den 30. Juli festgesetzt. Aber was
ist
mit der zweiten Runde? Und mit den Provinzwahlen? Was mit den
Kommunalwahlen? Sie werden es auf 2007 oder 2008 hinauszögern, und
dem
können wir nicht zustimmen.
Was schlagen
Sie vor?
Unsere
Lösung ist
einfach: Wir wollen eine gute Regierung für dieses Land. Die
wichtigsten Akteure müssen sich gemeinsam mit den internationalen
Akteuren an einen Tisch setzen. Wahlen sind gut, aber wir machen es auf
eine schlechte Art und Weise. Es ist das erstemal, daß wir Wahlen
in
diesem Land haben, daher können wir nicht alle Probleme vermeiden.
Aber
wenn sich etwas an einem Abkommen ändert, dann müssen wir,
die es
unterschrieben hatten, gemeinsam entscheiden, wie das Abkommen
angepaßt
wird. Ist die Anpassung gut, dann wird es für alle gut sein. Ist
die
Anpassung schlecht, dann ist es für alle schlecht. Alle haben
gemeinsam
die Konsequenzen zu tragen.
Unsere
internationalen Partner müssen uns mit der demokratischen Kultur,
mit
guten Regierungsformen, dem Respektieren von Texten und Abkommen
helfen. Im Augenblick sieht es allerdings anders aus: Eine Gruppe
profitiert mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft von
der
Veränderung des Abkommens, während man von den anderen
Gruppen,
darunter die UDPS, erwartet, daß sie die schlechten Konsequenzen
mittragen. Dagegen haben wir etwas. Die Lösung lautet also:
Gespräche,
die wichtigen Leute zusammenbringen. Das dauert nicht länger als
zwei
Wochen. Noch können wir die Sache retten. Machen wir es nicht,
verschieben wir wesentlich schwerwiegendere Probleme in die Zukunft.
Sie fordern
also eine weitere Verschiebung der Wahlen, weil
die Wahlkommission die Wahlen über die Drei-Jahresfrist hinaus
verschoben hat. Ist das kein Widerspruch?
Nein. Vor sechs
Monaten, als wir uns beteiligen wollten, haben wir
gesagt, einige unserer Mitglieder sind noch nicht im Wahlregister.
Bitte öffnet ein Büro, damit sie sich registrieren
können. Wir haben
gesagt, daß die anderen Parteien Vertreter in der Wahlkommission
und in
der Medienaufsichtsbehörde haben. Wir baten darum, an diesen
Institutionen teilnehmen zu können. Wissen Sie, was die Antwort
war?
Wir haben keine Zeit, wir verpassen den Zeitplan für den 30. Juni.
Nun
haben sie diese Frist verpaßt. Nun könnten sie uns geben,
was sie
vorher verweigert haben.
Noch
aus einem anderen Grunde fordern wir mehr Zeit. Sie haben uns gezeigt,
daß sie nicht in der Lage sind, diese Übergangsperiode zu
organisieren.
Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben wegen der
Korruption die Zahlung eingestellt. Die Führer der
Übergangsregierung
sind noch immer Bandenhäuptlinge. In vielerlei Hinsicht sind sie
nicht
in der Lage, dieses Land zu führen. Wir müssen ihnen also
moralisch
helfen. Wir müssen ihnen sagen: »Laßt uns
zusammensitzen und gemeinsam
nach Lösungen suchen. Laßt uns nicht das Kind mit dem Bade
ausschütten.«
Was,
befürchten Sie, wird geschehen, wenn die Wahlen am 30. Juli
abgehalten werden?
Die Wahlen
werden das Land zerstören. Wir haben sogar Angst, das könnte
noch vor den Wahlen passieren.
Bedenken
Sie folgendes: Wir haben damals während der Friedensgespräche
2002
beschlossen, aus den verschiedenen Milizen eine integrierte Armee zu
schaffen. Die UN-Mission MONUC machte eine Zählung der
Kämpfer und kam
auf 175000, wobei jene, die sich im Busch versteckten, noch nicht
mitgezählt waren. Nun wird von einer Armee mit neun Brigaden
gesprochen. In einer Brigade sind weniger als 4000 Mann, alles zusammen
also wesentlich weniger als 50000 Soldaten. Was ist mit dem Rest? All
diese Milizen gehören zu den Warlords, zu den Vizepräsidenten
Bemba,
Azarias und Ruberwa sowie zu Präsident Kabila. Glauben Sie,
daß man
unter solchen Voraussetzungen Wahlen abhalten kann und daß jeder
hinterher den Ergebnissen zustimmen wird?
Ich bin sicher,
Sie
haben davon gehört, daß in Maluku, nur 50 Kilometer von
Kinshasa,
Bemba seine Leute trainiert. Kabilas Garden sind übers ganze Land
verteilt. Laurant Nkunda, der frühere General der RCD-Armee
(Rassemblement congolais pour la democratie, Kongolesische
Versammlung für Demokratie), rebelliert gegen Kinshasa. Er
versteckt
sich mit seinen Kämpfern im Busch in der Nähe Gomas (im Osten
des
Landes, an der Grenze zu Ruanda), und wie man hört, setzt er seine
Operationen fort. MONUC weiß davon, alle wissen davon. Jeder, der
Augen
im Kopf hat, kann es sehen. Von den Interhamwe (Miliz, der vorgeworfen
wird, 1994 am Völkermord in Ruanda beteiligt gewesen zu sein) sind
noch
immer 15000 Soldaten im Land. MONUC treibt sie tiefer in den Bush und
nicht in ihr eigenes Land zurück. Was für Wahlen erwartet man
von uns
unter diesen Bedingungen? Wenn wir diesen Problemen nicht offen ins
Gesicht sehen, wenn wir uns nicht zusammensetzen, dann ist die Zukunft
einfach.
Sie sagten,
Sie hätten den Eindruck, die internationale
Gemeinschaft habe kein Interesse an ordentlichen Wahlen in der
Demokratischen Republik Kongo. Was meinen
Sie damit?
Das ist
schmerzhaft für uns. Liberia hatte einen gewählten
Präsidenten,
aber er wurde wegen seiner Verwicklung in kriminelle Machenschaften
verhaftet. In Haiti kamen die Rebellen bis nach Port-au-Prince, aber
sie bekamen keine Macht. Im Kongo
haben wir jedoch eine andere Lösung: Wer die Waffen hat, hat die
Macht,
und diese Leute werden von allen westlichen Staaten unterstützt.
Sie
sind nicht an der Macht, weil sie uns gezeigt hätten, daß
sie gute
Führer sind. Berichte der UNO kommen zu dem Ergebnis, daß
sie Plünderer
sind. Aber sie sind noch immer an der Macht. Warum? Weil es schwierig
wäre, andere Marionetten zu finden.
Schauen Sie sich
die Bodenschätze des Kongo
an. Vergleichen Sie sie mit Chile, dem weltweit größten
Kupferproduzenten. Dort beträgt der Kupfergehalt des Erzes maximal
0,18
Prozent. Im Kongo hingegen sind es
mindestens drei Prozent. Unsere Bodenschätze machen die Menschen
verrückt. Es macht nichts, daß wir die ersten Wahlen in
über 40 Jahren
nicht ordentlich organisieren können. So ist es eben in Afrika.
Und wir
haben einen Vorwand, das Mißmanagement weiter zu betreiben.
Danach wird
man sagen, die Kongolesen sind nicht in
der Lage, ein so großes Land zu managen. Es wäre besser es
aufzuteilen wie Jugoslawien.
Die
Wahlen sind eine Fassade, eine Maskerade, um die Plünderer und
ihre
ausländischen Unterstützer zu legitimieren. Ich kann Ihnen
Kopien von
Verträgen mit kanadischen, US-amerikanischen, französischen
und
belgischen Firmen zeigen. Wie kann man einem einzigen Mann, George
Forrest, ein belgischen Bürger, der für multinationale
Konzerne
arbeitet, 84 Prozent aller Kupferkonzessionen geben? Wie kann man einem
einzigen Mann 90 Prozent der Kobaltkonzessionen geben? Der Kongo
hat die größten Kobaltvorkommen der Welt. Das bedeutet also,
man gibt
einer einzigen Person nahezu das ganze Kobalt der Welt. Ohne
öffentliche Ausschreibung.
Die UDPS ist
keine kommunistische
Partei. Wir sind eine demokratische Partei, 26 Jahre haben wir gegen
Mobutu gekämpft. Unbewaffnet. Unter dem Mobutu-Regime ist unser
Vorsitzender Tshisekedi mehr als 30mal verhaftet worden, und wenn ich
von Verhaftung spreche, dann meine ich nicht für eine Stunde,
sondern
für Monate und Jahre. Er wurde mehrere Male in sein Heimatdorf
verbannt, und man hat ihn gefoltert. Als Laurent Kabila, der Vater des
heutigen Präsidenten, an die Macht kam, verbot er alle politischen
Aktivitäten und Parteien. Tshisekedi hat Nein gesagt. »Wir
hatten eine
Diktatur unter Mobutu, und wir haben uns dagegen gewehrt. Du kannst
nicht mehr als Mobutu sein.« Daraufhin hat Kabila Tshisekedi
verhaften
lassen und ihn für sechs Monate in sein Heimatdorf verbannt.
Jetzt
macht man uns zu Teufeln, und die Rebellen – verantwortlich
für vier
Millionen Tote – sind die Engel. Alles wegen der
Bodenschätze. Das ist
eine Schande.
Übersetzung
aus dem Englischen: Wolfgang Pomrehn