Christoph
Strässer sitzt seit 2002 für die SPD im
Bundestag. Er
gehörte zu den Initiatoren des Krefelder Appells, der Anfang der
80er
Jahre eine Art Initialzündung für die westdeutsche
Friedensbewegung
war. Zu jener Zeit war Strässer Vorsitzender der Jungdemokraten.
Als
diese sich wenig später von der FDP lösten, wechselte er zur
SPD.
Werden Sie am kommenden Donnerstag demonstrieren, wenn
US-Präsident George W. Bush Stralsund besucht?
Ich werde nicht in der Gegend sein. Sonst hätte ich es mir gut
vorstellen können.
ie haben am 1. Juni in der Bundestagsdebatte über den
Einsatz deutscher Soldaten im Kongo
die US-Invasion im Irak einen Angriffskrieg genannt. Nach deutschem
Recht ist das Vorbereiten und Führen eines solchen Krieges
strafbar,
oder?
Für diesen Krieg gibt es kein völkerrechtlich legitimiertes
Mandat.
Auch das Kriegsziel »Regime change« ist im Völkerrecht
nicht
vorgesehen. Deshalb ist für mich völlig klar, daß der
Krieg und seine
Folgen, zum Beispiel Guantánamo, völkerrechtswidrig sind.
Nun
wurde und wird dieser Krieg allerdings auch von Deutschland aus
geführt. Die hiesigen US-Stützpunkte sind wichtig für
den Nachschub in
den Irak, und die US-Militärs haben hierzulande nach wie vor
Überflugrechte. Weder die alte Bundesregierung noch die neue haben
dagegen interveniert.
Das ist ein alter Streit. Die Überflugrechte
sind eine Folge von zwischenstaatlichen Verträgen im Rahmen der
NATO,
aber die muß man natürlich immer wieder einmal
überprüfen. Ich habe
allerdings seinerzeit die Auffassung der Bundesregierung
unterstützt,
daß daran nichts zu ändern war. Auch heute denke ich noch,
daß es
korrekt war. Aber für die Zukunft muß man diese
Verträge überprüfen.
Das betrifft auch andere Dinge, wie etwa die Stationierung von
Atomwaffen.
Wenn es sich um einen Angriffskrieg handelt, dann ist nach
deutschem Recht auch dessen Unterstützung illegal. Es mag also
entsprechende Verträge mit den USA geben, aber das
grundgesetzliche
Verbot eines Angriffskrieges wird doch wohl einen höheren Rang
haben,
oder?
Es ist eine Frage der Definition. Wir haben seinerzeit intern und
extern sehr intensiv diskutiert, ob die Sachverhalte schon eine
Unterstützungshandlung in dem Sinne darstellen, wie sie das
Grundgesetz
verbietet. Ich war damals der Meinung und bin es auch heute noch,
daß
man angesichts dieser ungeklärten Lage die Entscheidung der
Bundesregierung rechtfertigen kann.
Sie sagten, Sie würden gegebenenfalls gegen Bush
demonstrieren. Aber wieso eigentlich, wenn die von Ihnen getragene
Regierung dessen Kriege unterstützt?
An dieser Stelle sind wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung. Das
eine ist die Frage, daß dieser Krieg völkerrechtswidrig ist.
Das andere
ist die Frage, mit welchen völkerrechtlichen Instrumenten die
Bundesregierung agiert; und die ist umstritten. Nach meiner Meinung
muß
man an diese Verträge ran. Dabei geht es, nebenbei bemerkt, nicht
nur
um den Irak-Krieg, sondern auch um die Überflugrechte für
CIA-Transporte. Diese Dinge müssen jetzt alle auf den
Prüfstand. Aus
der damaligen Perspektive war das Verhalten aber rechtlich zu
rechtfertigen. Politisch hingegen ist das eine andere Frage. Deshalb
sage ich ja auch, ich würde gegen Bush demonstrieren, weil ich
diesen
Krieg nicht in Ordnung finde.
Wann kommen die Verträge auf den Prüfstand?
Das
werden wir jetzt im Rahmen der laufenden Untersuchung sowohl im
Bundestag als auch in der parlamentarischen Versammlung des Europarates
sehen, der ein Bericht über die CIA-Flüge vorgelegt worden
ist. Ich
denke, daß es innerhalb des nächsten halben Jahres
darüber eine Debatte
im Bundestag geben wird.
Und Sie meinen, daß in diesem Zusammenhang auch die
Stützpunktverträge mit den USA revidiert werden könnten?
Ich
weiß nicht, ob es eine Mehrheit für eine Revision dieser
Verträge geben
wird. Aber ich finde es auf jeden Fall wichtig, daß diese
Vorgänge zum
Thema im Parlament gemacht werden.
Spielt
es für Sie in diesem Zusammenhang eigentlich eine Rolle, daß
deutsche
Soldaten derzeit mit ihren US-amerikanischen »Kollegen« in
Afghanistan
Krieg führen?
Das ist eine andere Frage, weil es für das ISAF-Mandat
klare völkerrechtliche Vorgaben gibt. Das ist für mich immer
die
zentrale Frage, egal, ob ich militärische Mittel für sinnvoll
halte
oder nicht.
Es geht nicht um ISAF. Die halten ja nur ihren Kopf
dafür hin, daß andere Truppen an anderer Stelle in
Afghanistan einen
regelrechten Krieg führen. Es geht um das sogenannte Kommando
Spezialkräfte (KSK), das offensichtlich in Afghanistan in ganz
konkrete
Kriegshandlungen involviert ist.
Was konkrete Aktivitäten angeht, so
gehe ich davon aus, daß diese sich im Rahmen des Mandats bewegen,
das
die Bundeswehr dort hat. Das Mandat halte ich für legitim. Ob es
politisch falsch oder richtig ist, möchte ich an der Stelle gar
nicht
entscheiden, aber es ist allemal legitim.
Der KSK-Einsatz gehört
aber nicht zum ISAF-Mandat. Die USA führen in Afghanistan im
Rahmen von
»Enduring Freedom« Krieg gegen die Reste der Taliban oder
wen auch
immer, und das KSK beteiligt sich in irgendeiner Form daran.
Näheres
der deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen, weigert sich Ihre
Regierung
beharrlich.
Also: Wir versuchen ja, und das ist Bestandteil der
laufenden politischen Auseinadersetzungen, »Enduring
Freedom« und ISAF
auseinanderzuhalten. Die Bundeswehr ist auch im Rahmen von
»Enduring
Freedom« in Afghanistan. Daß aber auch die ISAF-Truppen in
Kampfhandlungen verwickelt werden könnten, ist ja wohl unstrittig.
Immerhin haben die ISAF-Truppen keinen konkreten
Kampfauftrag, während im Rahmen des »Enduring
Freedom«-Einsatzes ein
offensiver Krieg geführt wird. US-Einheiten haben in der
Vergangenheit
wiederholt Dörfer angegriffen und Hochzeitsgesellschaften
massakriert.
Die KSKler sind an diesen Aktivitäten in der einen oder anderen
Form
beteiligt – sei es mit dem Finger am Abzug oder mit
Tätigkeiten in der
Etappe. Haben Sie dafür im Bundestag Ihre Zustimmung gegeben?
Nein. Die Einsätze, die wir beschließen, beziehen sich in
der einen
oder anderen Form auf die ISAF-Mandate. Zur Aufgabe des KSK im Rahmen
von »Enduring Freedom« kann ich nicht mehr sagen, als ich
schon
ausgeführt habe. Diese unterliegt einem umfassenden
Geheimhaltungsvorbehalt.
Hat denn der Bundestag keine Zustimmung zum KSK-Einsatz
gegeben?
Doch, wenn das KSK im Ausland eingesetzt wird, muß dem der
Bundestag zustimmen.
Sie
meinten, Guantánamo sei völkerrechtswidrig. Nun wurde das
Lager
allerdings nach dem Angriff auf Afghanistan errichtet. Dort sind
Menschen eingesperrt, die in Afghanisan gefangengenommen wurden. Von
den KSKlern heißt es, sie machten keine Gefangenen. Bedeutet das
nun,
daß sie auf Gegner, die sich ergeben, einfach weiter
schießen, oder
übergeben sie ihre Gefangenen den US-Einheiten, die sie dann nach
Guantánamo verfrachten.
Ich muß das noch einmal klar sagen: Mir ist
als Abgeordnetem zu den konkreten Einzelheiten und den Ergebnissen des
KSK-Einsatzes nichts bekannt. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das eine
Rolle im Verteidigungsausschuß spielt, der zum Teil nicht
öffentlich
tagt.
Aber stellen Sie sich nicht selbst diese Fragen?
Doch.
Und auch Ihren Abgeordnetenkollegen aus dem
Verteidigungsausschuß?
Ich
stelle diese Fragen immer. Ich habe schon vor dem Afghanistan-Einsatz
gesagt, daß das ein politischer Fehler und nicht mit dem
Grundgesetz in
Einklang zu bringen ist. Es hat seinerzeit in der SPD-Fraktion heftige
Auseinandersetzungen gegeben, die dann mit dem berüchtigten
Machtwort
Gerhard Schröders beendet wurden. Das war allerdings vor meiner
Zeit.
Es
kann sein, daß wir demnächst über die Zusammenlegung
von ISAF und
»Enduring Freedom« abzustimmen haben, die die Amerikaner
fordern. Da
werde ich auf keinen Fall zustimmen.
Wie lange soll das noch in Afghanistan so weitergehen?
Mit
den Dingen darf man nicht leichtfertig umgehen. Ich bin der Meinung,
daß das, was da alles im Kampf gegen den Terrorismus läuft,
sehr
kritisch gesehen werden muß. Diese Bewegungen sind
militärisch nicht zu
besiegen, sondern es gehören andere Maßnahmen dazu, die zur
Stabilisierung in den Regionen beitragen. Das Militär kann da
allenfalls eine Teilrolle spielen, wenn überhaupt.
Man
sieht das ja zum Beispiel auch auf dem Balkan, wo seit nunmehr sieben
Jahren Soldaten stehen. Eine Befriedung ist nicht erreicht worden, aber
immerhin eine Teilstabilisierung, so daß nicht mehr aufeinander
geschossen wird. Aber ob das auf Dauer funktionieren kann, bezweifle
ich.
Was halten Sie eigentlich davon, daß Deutschland Flüchtlinge
in
»teilstabilisierte« Gebiete wie in das Kosovo oder nach
Afghanistan
oder in den
Kongo abschiebt?
Das ist
skandalös. Das habe ich schon mehrfach öffentlich
erklärt. Menschen in
Regionen zu schicken, in denen die Bundeswehr versucht, zu einer
Stabilisierung beizutragen, kann nicht gutgehen. Das gilt zum Beispiel
auch für das Kosovo. Die Rückführung von Roma in das
Kosovo halte ich
für eine politische Katastrophe.
Und was machen Sie als Mitglied einer Regierungspartei dagegen?
Ich
kann nicht mehr tun, als das immer wieder zum Thema zu machen. Wir
haben zum Beispiel in unserer letzten Sitzungswoche im Bundestag im
Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe dem
parlamentarischen
Staatssekretär aus dem Innenministerium diese Politik vorgehalten.
Ich
greife die Abschiebungen auch ständig öffentlich auf
Diskussionsveranstaltungen an. Wo ich kann, unterstütze ich in
konkreten Abschiebefällen vor Ort die Betroffenen und die sich
wehrenden Gruppen.
In der Bundestagsdebatte haben Sie sich für den Kongo-Einsatz
der Bundeswehr stark gemacht. Warum sollen ausgerechnet Soldaten aus
Deutschland, Frankreich und Belgien – ehemalige Kolonialstaaten
also –
dort für Frieden sorgen?
Die Geschichte muß man bei diesem Einsatz immer im Hinterkopf
haben.
Nun ist es so, daß nach den Informationen, die die
Bundestagsabgeordneten hatten, die Ausweitung des Einsatzes der
UN-Truppen, der MONUC, abgelehnt wurde, und es den ausdrücklichen
Wunsch gab, daß europäische Helfer in den
Kongo
kommen, um den Wahlprozeß zu unterstützen. Wir hatten
Gespräche mit
afrikanischen Politikern aus der Region geführt, die sagten,
daß, wenn
überhaupt, dann europäische Soldaten kommen sollen.
Es gibt allerdings auch Stimmen aus dem
Kongo,
zum Beispiel von Gewerkschaftern, die sagen, daß die
Europäer besser zu
Hause bleiben und erst einmal ihre eigenen Probleme zum Beispiel mit
dem Rassismus lösen sollen.
Ich denke, daß sich das nicht
ausschließt. Natürlich haben wir hier auch Probleme.
Daß es Rassismus
und Ausländerfeindlichkeit gibt, ist keine Frage.
Mitte Juni kam es im
Kongo
bereits zu Demonstrationen gegen die EU-Truppen. Valentin Mubake,
Sprecher der Oppositionspartei UDPS, einer Partei, die bereits gegen
den Diktator Mobutu gekämpft hat, sich aber nie am
Bürgerkrieg
beteiligte, hält die Wahlen am 30. Juli für eine Maskerade.
Die
Europäer würden mit den Plünderern ihre Claims
abstecken. Die UDPS
wurde nicht zur Wahl zugelassen.
Natürlich gibt es diese Stimmen.
Das haben wir auch von Oppositionspolitikern gehört. Ich kann
nicht
bestreiten, daß in einigen Überlegungen die
Ressourcenabsicherung zu
Gunsten westlicher Interessen eine Rolle spielt. Unser
Verteidigungsminister hat sich ja entsprechend geäußert.
Diese Position
halte ich für falsch. Man kann allerdings auch sagen, daß
eine
politische Stabilisierung die Chance vergrößert, daß
die Ressourcen des
Kongos tatsächlich seinen Bürgern
zugute kommen. Bisher werden die Minen ausgebeutet, ohne daß die
Menschen etwas davon haben.
Es wäre allerdings das erste Mal in der Weltgeschichte, daß
ausgerechnet die Europäer für so etwas sorgen.
Wer
soll es sonst tun? Ich sehe ja auch die verschiedenen Kritikpunkte,
aber letztendlich war es eine Frage der Abwägung. Ich hoffe
einfach,
daß ich mit meiner Position recht habe.
Die Aufgabe der rund 2000 europäischen Soldaten in
Kinshasa
wird es sein, den Flughafen zu sichern und die Regierung Kabila zu
schützen. Was passiert eigentlich, wenn Präsident Joseph
Kabila
abgewählt wird und es zu Demonstrationen kommt, die seinen
Rücktritt
fordern? In den letzten Monaten wurden in Kinshasa wiederholt Menschen
bei Demonstrationen getötet. Welche Rolle werden in diesem
Zusammenhang
deutsche Soldaten spielen?
Nach dem Auftrag, über den ich abgestimmt habe, sollen sie den
Wahlprozeß durch ihre abschreckende Präsenz begleiten. Ich
kann Ihnen
nicht sagen, wer die Wahl gewinnen wird, aber Kabila und alle anderen
auch haben dem Mandat zugestimmt. Zu den Aufgaben der Soldaten
gehört
es, einen Beitrag zu leisten, daß die Wahl korrekt abläuft.
Der Einsatz
der Truppen soll dazu beitragen, daß es nach der Wahl zu keinem
neuen
Bürgerkrieg kommt. Ob das erreichbar ist, bleibt die große
Frage. Klar
ist, daß die Beteiligten in den letzten Jahrzehnten viel zur
Destabilisierung des Landes beigetragen haben. Was mich letztendlich
bewogen hat, dem Antrag zuzustimmen, war, daß die Menschen diesen
Wahlprozeß nun wirklich wollen.
Aber was geschieht, wenn Kabila, der von Frankreich und
Belgien gestützt wird, die Wahl in seinem Sinne manipuliert? Auf
welcher Seite stünden die Soldaten, wenn es deswegen zu Unruhen
käme?
Die Soldaten haben nicht den Auftrag, eine Seite zu unterstützen.
Sie
sollen durch ihre Präsenz die Wahlen absichern. Es sind mehrere
tausend
Wahlbeobachter im Land. Deren Einschätzungen werden natürlich
auch für
die Frage relevant sein, wie sich Europa verhält.
Die
UNO hat in einem Bericht Roß und Reiter in bezug auf die
verschiedenen
Firmen benannt, die nicht nur vom Bürgerkrieg profitiert, sondern
ihn
durch ihren Handel mit wertvollen Erzen und Edelsteinen sogar angeheizt
haben. Auch deutsche Geschäftsleute waren darunter. Haben Sie mit
F:
Konsequenzen zu rechnen?
Gegen diese Leute muß auch nach deutschem
Recht vorgegangen werden. Die Vorfälle sind seit langem bekannt
und ein
Fall für die Staatsanwaltschaft. Soviel ich weiß, gibt es
auch schon
Ermittlungsverfahren, aber nach meinem Eindruck werden sie nicht sehr
nachdrücklich betrieben. Es geht unter anderem um die Coltan-Mine
Lueshe im Osten des Landes, in deren Ausbeutung neben örtlichen
Rebellengruppen auch ehemalige deutsche Botschaftsangehörige
verwickelt
waren.
Das Gespräch führte Wolfgang
Pomrehn