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jW, 
21.07.2006 / Inland / Seite 9

Ein Traumsommer mit Nebenwirkungen

Die gegenwärtige Wetterlage führt zu gesundheitsgefährdenden Ozonbelastungen

Wolfgang Pomrehn

Mitteleuropa stöhnt unter Ozonsmog. Für den gestrigen Donnerstag erwartete man beim Umweltbundesamt für Deutschland fast flächendeckend Ozonwerte von über 120 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³) Luft. Bei der Weltgesundheitsorganisation und beim Verein Deutscher Ingenieure hält man Konzentrationen unterhalb dieses Grenzwertes noch für unbedenklich. Am Donnerstag war dieser Wert bereits um 9 Uhr in einigen Regionen vor allem Westdeutschlands und Sachsens überschritten.

Grenzwerte hochgesetzt

Da trifft es sich gut, daß die Autokanzlerregierung Ende der 1990er Jahre die Grenzwerte hochgesetzt und Fahrverbote abgeschafft hat. Seitdem gilt, daß bei Werten ab 180 µg/m³ (jeweils über eine Stunde gemittelt) die Bevölkerung informiert, und ab 240 µg/m³ alarmiert werden soll. Am Donnerstag erwartete man beim Umweltbundesamt (UBA), daß in weiten Teilen Ostdeutschlands (bis auf Mecklenburg-Vorpommern), sowie im südöstlichen Niedersachsen und angrenzenden Gebieten anderer Bundesländer dieser Schwellenwert nur knapp verfehlt wird. Besonders ältere Menschen und Asthmatiker sollten sich in den nächsten Tagen körperliche Anstrengung verkneifen. Kinder eigentlich auch, aber wer will seinen Kindern schon das Rennen und Toben verbieten? Ozon ist ein sehr aggressives Reizgas, das aus drei Sauerstoffatomen besteht. Das Gas ist derart reaktionsfreudig, daß es auch Metalle angreift. In sehr hohen Luftschichten leistet es wertvolle Dienste, weil es dort in einem komplexen fotochemischen Prozeß den energiereichen Anteil der UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht filtert. In unserer Atemluft am Boden ist es hingegen sehr gefährlich, da es die Lunge angreift.
Besonders gefährdet sind, wie erwähnt, Asthmatiker und Kinder, letztere aufgrund ihrer kleineren Lungen und größeren körperlichen Aktivität. Das Umweltbundesamt spricht auf seiner Webseite davon, daß in Versuchsreihen ab einer Konzentration von 160 µg/m³ entzündliche Reaktionen der Lungengewebe auftraten, die sich in den folgenden Tagen nur teilweise zurückbildeten. Die Versuchspersonen waren den Ozonkonzentrationen 6,6 Stunden ausgesetzt und hatten körperlich anstrengende Tätigkeiten ausgeführt. In Europa, heißt es im Informationsmaterial des UBA, habe man zudem einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Ozonkonzentration in der Atemluft und der Häufung von Todesfällen in Folge von Herz-Kreislauferkrankungen ermittelt. Pflanzen reagieren ebenfalls empfindlich auf Ozon, das zu den Verursachern des Waldsterbens zählt. Die Bauern, die ohnehin schon mit der Trockenheit zu kämpfen haben, müssen mit zusätzlichen Ernteausfällen rechnen.
Bodennahes Ozon entsteht unter Zusammenwirkung von intensiver Sonneneinstrahlung, flüchtigen Kohlenwasserstoffen und Stickoxiden. Windarme Verhältnisse und länger anhaltende Schönwetterperioden wie derzeit befördern die Herausbildung höherer Konzentrationen. Die flüchtigen Kohlenwasserstoffe stammen zu etwa 50 Prozent aus Lösungsmitteln. Eine andere große Quelle ist der Verkehr. Stickoxide (NOx) sind Verbindungen aus einem Stickstoffatom (N) und mehreren Sauerstoffatomen (Ox). Sie stammen zu je etwa 50 Prozent aus dem Straßenverkehr und aus Kraftwerken, in denen zumeist Kohle verbrannt wird.
Der Prozeß der Ozonbildung in der unteren Atmosphäre ist eine komplexe Dreiecksgeschichte, die – wie im richtigen Leben – zu absurden Situationen führt. So ist die Ozonkonzentration in der Nähe vielbefahrener Straßen meist deutlich geringer als in den Erholungsgebieten vor der Stadt. Das spricht aber nicht gegen den Verkehr als Verursacher oder gar dafür, besonders viel Auto zu fahren, sondern belegt nur die besondere Dynamik der Prozesse.

Politik gegen Fahrverbote

Das Sonnenlicht zerlegt Stickstoffdioxid NO2 in Stickstoffmonoxid NO und ein Sauerstoffatom O. Letzteres schnappt sich ein Sauerstoffmolekül O2 und verbindet sich mit diesem zu O3, also Ozon. Beim letzten Schritt spielen die flüchtigen, das heißt gasförmigen Kohlenwasserstoffe eine wichtige Vermittlerrolle. Wären sie nicht vorhanden, würde das im ersten Schritt entstandene NO das Ozon rasch wieder abbauen. Damit erklärt sich auch, weshalb Ozon eher ein ländliches, denn ein städtisches Problem ist: Die flüchtigen Kohlenwasserstoffe verteilen sich besser, während an den Hauptverkehrsstraßen ein Überangebot an Stickstoffdioxid NO2 und damit auch – wenn das Sonnenlicht hinzukommt – an NO) herrscht.
Die Behörden haben sich in den letzten Jahren offensichtlich zu sehr darauf verlassen, daß der Ausstoß der Stickoxide und flüchtigen Kohlenwasserstoffe kontinuierlich sinkt. Zugleich hat aber die Zahl der heißen Sommertage deutlich zugenommen – vermutlich als Folge des Klimawandels, an dem die von der Autolobby bestimmte Verkehrspolitik ebenfalls einen nicht unwesentlichen Anteil hat. In diesem Jahr rechnen einige Meteorologen bereits damit, daß der Juli in Deutschland der heißeste Sommermonat seit dem Beginn der Aufzeichnungen sein wird. Bei der Umweltorganisation Greenpeace spricht man daher von einer »krassen Fehleinschätzung« der Entwicklung durch die verantwortlichen Politiker. Ein Zweistufenkonzept müsse her: Wenn eine Ozonbelastung absehbar ist, müßten bereits alle Fahrzeuge ohne Katalysator (die die Stickoxide zum Teil aus den Abgasen filtern) stehen gelassen werden. In der zweiten Phase müsse es ein allgemeines Fahrverbot geben. Greenpeace Klima-Experte Karsten Smid: »Mit einer drastischen Senkung der Autoabgase lassen sich die Ozonspitzen kappen. Und unsere Kinder haben ein Recht, saubere Luft zu atmen«.