Mitteleuropa stöhnt unter Ozonsmog. Für den gestrigen
Donnerstag
erwartete man beim Umweltbundesamt für Deutschland fast
flächendeckend
Ozonwerte von über 120 Mikrogramm pro Kubikmeter
(µg/m³) Luft. Bei der
Weltgesundheitsorganisation und beim Verein Deutscher Ingenieure
hält
man Konzentrationen unterhalb dieses Grenzwertes noch für
unbedenklich.
Am Donnerstag war dieser Wert bereits um 9 Uhr in einigen Regionen vor
allem Westdeutschlands und Sachsens überschritten.
Grenzwerte hochgesetzt
Da trifft es sich gut, daß die Autokanzlerregierung Ende der
1990er
Jahre die Grenzwerte hochgesetzt und Fahrverbote abgeschafft hat.
Seitdem gilt, daß bei Werten ab 180 µg/m³ (jeweils
über eine Stunde
gemittelt) die Bevölkerung informiert, und ab 240 µg/m³
alarmiert
werden soll. Am Donnerstag erwartete man beim Umweltbundesamt (UBA),
daß in weiten Teilen Ostdeutschlands (bis auf
Mecklenburg-Vorpommern),
sowie im südöstlichen Niedersachsen und angrenzenden Gebieten
anderer
Bundesländer dieser Schwellenwert nur knapp verfehlt wird.
Besonders
ältere Menschen und Asthmatiker sollten sich in den nächsten
Tagen
körperliche Anstrengung verkneifen. Kinder eigentlich auch, aber
wer
will seinen Kindern schon das Rennen und Toben verbieten? Ozon ist ein
sehr aggressives Reizgas, das aus drei Sauerstoffatomen besteht. Das
Gas ist derart reaktionsfreudig, daß es auch Metalle angreift. In
sehr
hohen Luftschichten leistet es wertvolle Dienste, weil es dort in einem
komplexen fotochemischen Prozeß den energiereichen Anteil der
UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht filtert. In unserer Atemluft am Boden
ist es hingegen sehr gefährlich, da es die Lunge angreift.
Besonders
gefährdet sind, wie erwähnt, Asthmatiker und Kinder, letztere
aufgrund
ihrer kleineren Lungen und größeren körperlichen
Aktivität. Das
Umweltbundesamt spricht auf seiner Webseite davon, daß in
Versuchsreihen ab einer Konzentration von 160 µg/m³
entzündliche
Reaktionen der Lungengewebe auftraten, die sich in den folgenden Tagen
nur teilweise zurückbildeten. Die Versuchspersonen waren den
Ozonkonzentrationen 6,6 Stunden ausgesetzt und hatten körperlich
anstrengende Tätigkeiten ausgeführt. In Europa, heißt
es im
Informationsmaterial des UBA, habe man zudem einen statistisch
signifikanten Zusammenhang zwischen der Ozonkonzentration in der
Atemluft und der Häufung von Todesfällen in Folge von
Herz-Kreislauferkrankungen ermittelt. Pflanzen reagieren ebenfalls
empfindlich auf Ozon, das zu den Verursachern des Waldsterbens
zählt.
Die Bauern, die ohnehin schon mit der Trockenheit zu kämpfen
haben,
müssen mit zusätzlichen Ernteausfällen rechnen.
Bodennahes Ozon
entsteht unter Zusammenwirkung von intensiver Sonneneinstrahlung,
flüchtigen Kohlenwasserstoffen und Stickoxiden. Windarme
Verhältnisse
und länger anhaltende Schönwetterperioden wie derzeit
befördern die
Herausbildung höherer Konzentrationen. Die flüchtigen
Kohlenwasserstoffe stammen zu etwa 50 Prozent aus Lösungsmitteln.
Eine
andere große Quelle ist der Verkehr. Stickoxide (NOx) sind
Verbindungen
aus einem Stickstoffatom (N) und mehreren Sauerstoffatomen (Ox). Sie
stammen zu je etwa 50 Prozent aus dem Straßenverkehr und aus
Kraftwerken, in denen zumeist Kohle verbrannt wird.
Der Prozeß der
Ozonbildung in der unteren Atmosphäre ist eine komplexe
Dreiecksgeschichte, die – wie im richtigen Leben – zu
absurden
Situationen führt. So ist die Ozonkonzentration in der Nähe
vielbefahrener Straßen meist deutlich geringer als in den
Erholungsgebieten vor der Stadt. Das spricht aber nicht gegen den
Verkehr als Verursacher oder gar dafür, besonders viel Auto zu
fahren,
sondern belegt nur die besondere Dynamik der Prozesse.
Politik gegen Fahrverbote
Das Sonnenlicht zerlegt Stickstoffdioxid NO2 in Stickstoffmonoxid NO
und ein Sauerstoffatom O. Letzteres schnappt sich ein
Sauerstoffmolekül
O2 und verbindet sich mit diesem zu O3, also Ozon. Beim letzten Schritt
spielen die flüchtigen, das heißt gasförmigen
Kohlenwasserstoffe eine
wichtige Vermittlerrolle. Wären sie nicht vorhanden, würde
das im
ersten Schritt entstandene NO das Ozon rasch wieder abbauen. Damit
erklärt sich auch, weshalb Ozon eher ein ländliches, denn ein
städtisches Problem ist: Die flüchtigen Kohlenwasserstoffe
verteilen
sich besser, während an den Hauptverkehrsstraßen ein
Überangebot an
Stickstoffdioxid NO2 und damit auch – wenn das Sonnenlicht
hinzukommt –
an NO) herrscht.
Die
Behörden haben sich in den letzten Jahren offensichtlich zu sehr
darauf
verlassen, daß der Ausstoß der Stickoxide und
flüchtigen
Kohlenwasserstoffe kontinuierlich sinkt. Zugleich hat aber die Zahl der
heißen Sommertage deutlich zugenommen – vermutlich als
Folge des
Klimawandels,
an dem die von der Autolobby bestimmte Verkehrspolitik ebenfalls einen
nicht unwesentlichen Anteil hat. In diesem Jahr rechnen einige
Meteorologen bereits damit, daß der Juli in Deutschland der
heißeste
Sommermonat seit dem Beginn der Aufzeichnungen sein wird. Bei der
Umweltorganisation Greenpeace spricht man daher von einer
»krassen
Fehleinschätzung« der Entwicklung durch die verantwortlichen
Politiker.
Ein Zweistufenkonzept müsse her: Wenn eine Ozonbelastung absehbar
ist,
müßten bereits alle Fahrzeuge ohne Katalysator (die die
Stickoxide zum
Teil aus den Abgasen filtern) stehen gelassen werden. In der zweiten
Phase müsse es ein allgemeines Fahrverbot geben. Greenpeace
Klima-Experte
Karsten Smid: »Mit einer drastischen Senkung der Autoabgase
lassen sich
die Ozonspitzen kappen. Und unsere Kinder haben ein Recht, saubere Luft
zu atmen«.