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j.W., 31.07.2006 / Ausland / Seite 9

In der Dependenzfalle

Dank hoher Rohstoffpreise hat sich das Wirtschaftswachstum der ärmsten Länder beschleunigt. Auswege aus struktureller Abhängigkeit dennoch nicht in Sicht

Wolfgang Pomrehn

Die Preise für Rohstoffe aller Art sind in den vergangenen zwei Jahren regelrecht in den Himmel geschossen. Gute Zeiten für die Produzenten, sollte man meinen. Viele von ihnen gehören zu den ärmsten Staaten des Planeten, den sogenannten LDC (Least Developed Countries, am wenigsten entwickelte Länder).Tatsächlich haben die LDC, wie ein am 20. Juli veröffentlichter Bericht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) feststellt, in den vergangenen Jahren ihr Wirtschaftswachstum deutlich beschleunigt. Allerdings hat das bisher kaum zur Verminderung der Armut oder zu Produktivitätssteigerungen geführt. In vielen Ländern bleibt der Aufschwung von den Preisen der Rohstoffe und ihren Absatzmärkten sowie von ausländischen Investitionen und Entwicklungshilfe abhängig und damit eine sehr zerbrechliche Angelegenheit. Die lokale Kapitalakkumulation ist weiter schwach, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind nach wie vor weit verbreitet und Hauptursache der großen Armut.

Fragile Volkswirtschaften

50 Länder werden von den Vereinten Nationen derzeit zu den LDC gezählt. Die meisten Inselstaaten Ozeaniens gehören dazu, außerdem viele afrikanische Staaten. In Asien stehen acht Staaten auf der LDC-Liste, Amerika ist lediglich mit Haiti vertreten und Europa überhaupt nicht, obwohl zum Beispiel Moldawien einige der Kriterien erfüllt. Das größte LDC ist Bangladesch. Auch die besonders reich mit Rohstoffen gesegnete Demokratische Republik Kongo gilt als LDC. Zu dieser Staatengruppe werden Länder gezählt, in denen das Nationaleinkommen besonders niedrig ist oder die aufgrund ihrer geographischen Lage und geringen Größe besonders fragile Volkswirtschaften haben. Als Obergrenze gelten 900 US-Dollar Bruttonationaleinkommen pro Kopf und Jahr. Die Liste wird vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen zusammengestellt. Staaten mit mehr als 75 Millionen Einwohnern werden grundsätzlich nicht neu aufgenommen.

Die UN-Vollversammlung hatte sich im Jahre 2000 im Rahmen der sogenannten Millenniumsziele darauf geeinigt, bis 2015 den Anteil der Menschen, die von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben müssen, zu halbieren. Sieht man einmal von China, Indien und Indonesien ab, dann leben die meisten dieser besonders armen Menschen in den am wenigsten entwickelten Staaten.

Agrarsektor rückläufig

Bisher wird Armut im Diskurs der Entwicklungsorganisationen aus dem Norden und auch im Rahmen der UNO oft unter dem Aspekt des Konsums und der Versorgung betrachtet. Der Bericht verfolgt allerdings einen anderen Ansatz: Er fragt nach der Entwicklung der Produktivkräfte, nach Zahl und Qualität der Arbeitsplätze, nach Möglichkeiten für die Armen, sich ein Einkommen zu erarbeiten.

Das ist um so wichtiger, als das Bevölkerungswachstum und das Vordringen des Weltmarktes in die letzten Ecken des Planeten zu einer folgenschweren Entwicklung führt: Die gegenwärtige Dekade ist für die LDC die erste, in der das Wachstum der ökonomisch aktiven Bevölkerung im nichtlandwirtschaftlichen Sektor jenes der entsprechenden Bevölkerung in der Landwirtschaft übersteigt. Über die Hälfte der LDC sind von diesem Übergang betroffen, und in der nächsten Dekade werden es noch mehr sein. Die ärmsten Länder sind im Industriezeitalter angekommen. Selbstversorgung in der Landwirtschaft wird künftig auch in diesen Ländern nur noch eine Nebenrolle spielen. Wenn sie aber nicht die Möglichkeit erhalten, Fabriken und moderne Dienstleistungsunternehmen aufzubauen, dann werden diese Staaten zu den Elendsquartieren der globalen Industriegesellschaft.

Zollschranken notwendig

Die Industrialisierung wird indes auch mit den gestiegenen Einnahmen aus den Exporten nicht leichtfallen. Der Bericht verweist darauf, daß nur sehr wenige der LDC über nennenswerte Zollsysteme verfügen, die die heimische Produktion vor der Konkurrenz aus den Industriestaaten schützen könnte. Viele haben sich in den vergangenen Jahren einer umfangreichen Handelsliberalisierung unterworfen, und Exportweltmeister Deutschland setzt gerade in Afrika militärisch einen Fuß in die Tür, um diese Erfolge abzusichern.

Der UN-Bericht macht als wichtigste Hindernisse für die künftige Entwicklung der ärmsten Länder vor allem schlechte Infrastruktur, einen schwachen Privatsektor, einen unzureichenden Wissenstransfer, schwindsüchtige Banken und einen viel zu schwachen Binnenmarkt aus, der wenig Anreize für Investitionen bietet. Vor allem in der Infrastruktur seien öffentliche Investitionen nötig: Eine Position, die in den Zeiten des neoliberalen Mainstream selten geworden ist.


* Der Berich ist in Englisch auch zu lesen auf der Website www.unctad.org