25.09.2006
/ Kapital & Arbeit / Seite 9
Explodierende
Exporte
Deutschlands
Exportindustrie schafft es, sich von Jahr zu Jahr ein
größeres Stück vom Kuchen abzuschneiden
Von Wolfgang
Pomrehn
Die deutsche Exportindustrie baut ihre Position auf dem Weltmarkt
weiter aus. In den beiden zurückliegenden Jahren sind die hiesigen
Ausfuhren jeweils rascher gewachsen als der Welthandel. Trotz allen
Gejammers und aller Drohungen mit Verlagerung der Produktion in
Billiglohnländer kann die deutsche Industrie also nicht nur mit
dem
schnellen Wachstum der Weltwirtschaft mithalten, sondern sogar neue
Marktanteile erobern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter
deutschen Außenhandelskammern in 80 Ländern, die der
Deutsche
Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im Sommer durchgeführt hat
und
jetzt veröffentlichte.
Ursache: Lohnraub
Nach den Erwartungen des DIHK wird sich der
Expansionstrend auch im kommenden Jahr fortsetzen, wenn die Ausfuhren
um weitere neun Prozent wachsen. Für das laufende Jahr rechnet der
DIHK
mit einem Exportwachstum von elf Prozent. Auch 2007 werde Deutschland
Exportweltmeister bleiben, 2008 könnten jedoch Chinas
Ausfuhren erstmals die deutschen übertreffen. Unter den
großen
Industriestaaten ist Deutschland der einzige, der seinen
Weltmarktanteil in den letzten Jahren hat ausbauen können. Der
wichtigste Grund: Lohnraub. Während das
Produktivitätswachstum auf dem
Niveau der wichtigsten Konkurrenten lag, wurden die
Lohnstückkosten
seit 1999 um zehn Prozent gesenkt. Seit 1995 sind hierzulande die
Reallöhne um über ein Prozent zurückgegangen. Zugleich
wurden durch die
Absenkung der Sozialabgaben auch die sogenannten Arbeitgeberanteile
vermindert. Der Abbau der Sozialleistungen setzte sich also ziemlich
direkt in gestiegene Profite um.
2005 hätten die Gewinne um rund
22 Prozent zugelegt, jubelt die Bundesregierung auf ihrer
Internetseite. Die Unterstützung aus Berlin weiß man beim
DIHK durchaus
zu würdigen: »Ursache für die Zugewinne am Welthandel
ist vor allem die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Exporte«, meinte
DIHK-Chefökonom Axel
Nitschke bei der Vorstellung der Studie. Dafür, daß dies
auch in den
nächsten Jahren so bleibe, sorge unter anderem die von der
Bundesregierung vorgesehene Senkung der »Lohnzusatzkosten«
ab 1. Januar
2007.
Besonders erfolgreich ist die deutsche Außenwirtschaft in
den sogenannten Schwellenländern. Darunter versteht man die
weniger
entwickelten unter den neuen EU-Mitgliedern, die Länder der
ehemaligen
Sowjetunion, sowie eine Gruppe von Entwicklungsländern, die
an der
Schwelle zur Industrialisierung stehen. Insbesondere sind das viele
asiatische Staaten, darunter China und
Indien, sowie einige arabische Staaten, die Türkei,
Südafrika,
Brasilien und Argentinien. Der Anteil der Ausfuhren in diese
Länder an
der deutschen Wirtschaftsleistung, dem Bruttoinlandsprodukt,
beträgt
mittlerweile fast neun Prozent und hat sich seit 1999 mehr als
verdoppelt. Damit ist Deutschlands Wirtschaft inzwischen so stark wie
keine andere mit jenen Märkten verbunden, die für das
britische
Wirtschaftsmagazin The Economist »die neuen Titanen« der
Weltwirtschaft
sind. In Japan beträgt der entsprechende Anteil trotz der
unmittelbaren
Nachbarschaft zur ostasiatischen Boom-Region nur etwas über sechs
Prozent, wobei der Trend wie in der Bundesrepublik nach oben zeigt. In
den USA und Großbritannien stagniert der Anteil der Exporte in
die
Schwellenländer hingegen seit Jahren bei drei Prozent. Die
Angelsachsen
scheinen also fast vom Globalisierungszug abgehängt.
Binnenmarkt ignoriert
Die asiatischen Staaten spielen für die
deutschen Exporte in Schwellenländer indes bisher nur die zweite
Geige.
Vom Umfang her überwiegen die Ausfuhren nach Ost- und
Südosteuropa
einschließlich der Türkei. Die asiatischen Länder
inklusive Japan sind
zudem neben einigen erdölexportierenden Nahost-Staaten die
einzigen,
mit denen Deutschland ein nennenswertes Handelsbilanzdefizit hat. Mit
seinen Nachbarländern und den USA pflegt die BRD hingegen einen
recht
unausgeglichenen Warenaustausch. Insbesondere im Euro-Raum öffnet
sich
die Schere zwischen deutschen Importen und Exporten immer mehr, was
mittelfristig zu Spannungen führen dürfte.
Die
überdurchschnittliche Entwicklung der deutschen Ausfuhren ist
offenbar
auch in ihrer Struktur begründet: Sie bestehen zu etwa zwei
Dritteln
aus Investitionsgütern wie Maschinen, Anlagen und Fahrzeugen.
Hiesige
Unternehmen profitieren also vom starken Wachstum der Weltwirtschaft,
indem sie am Bau neuer Fabriken und neuer Infrastrukur teilhaben. Die
Bundesregierung frohlockt bereits, der Aufschwung werde endlich auch
hierzulande spürbar. Gleichzeitig macht sie deutlich, daß
sich die
Lohnabhängigen davon nicht zuviel versprechen sollten: Die
»Dynamik des
Binnenmarktes«, die man im Wirtschaftsministerium ausgemacht
haben
will, besteht vor allem in verstärkter Investitionstätigkeit.
Die
Exportindustrie hat volle Auftragsbücher und braucht daher mehr
Fertigungsstätten. An eine Stärkungen der Kaufkraft des Gros
der
Bevölkerung ist hingegen nicht gedacht, denn das würde den
Standort
Deutschland eher schädigen.