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07.08.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Die Herausforderer

Firmen aus Schwellenländern machen den Platzhirschen ihre Positionen streitig

Von Wolfgang Pomrehn
Schon mal von Embraer gehört, oder von Haier oder Koc? Die drei Unternehmen aus Brasilien, China und der Türkei gehören zu den Multis von morgen, auch wenn sie heute noch so unbekannt sind, wie es 1970 Samsung, Hyundai oder Toyota waren. In den sogenannten Schwellenländern setzen derzeit neue Konzerne zum Sprung auf die globale Ebene an. Die 100 potentesten unter ihnen hat die Unternehmensberatung Boston Consulting Group in einer jüngst veröffentlichten Studie unter die Lupe genommen. »Globale Herausforderer« hat das Autorenteam diese Gruppe der Aufsteiger genannt, denn mancher von ihnen könnte für alteingesessene Platzhirsche eine echte Gefahr darstellen.

Embraer zum Beispiel, der brasilianische Hersteller von Regionalflugzeugen, hat schon jetzt dem kanadischen Unternehmen Bombardier die Stellung als internationaler Marktführer abgejagt, und Cemex aus Mexiko ist zu einem der größten Zementproduzenten der Welt aufgestiegen. Und während viele die Volksrepublik China vor allem für den Hersteller billiger Textilien und Spielzeuge halten, ist die Pearl River Piano Group zum weltweit größten Klavierbauer avanciert und Johnson Electric aus Hongkong zum führenden Anbieter für kleine Elektromotoren.

Rasante Kapitalanhäufung

Aber das ist erst der Anfang. Die 100 Newcomer haben in den letzten Jahren eine beachtliche Dynamik entwickelt. Von 2000 bis 2004 sind sie um durchschnittlich 24 Prozent pro Jahr gewachsen, zum Teil durch Ausweitung ihrer Geschäfte, zum erheblichen Teil aber auch durch die Übernahme anderer Unternehmen. 2004 haben sie 145 Milliarden US-Dollar an Profit eingefahren, was 20 Prozent ihrer Umsätze entsprach. Zum Vergleich: Die führenden 500 US-Unternehmen brachten es in dieser Zeit auf ein Gewinn-Umsatz-Verhältnis von 16 Prozent, die Unternehmen des japanischen Nikkei-Indexes auf zehn und die deutschen Dax-Unternehmen auf neun Prozent.

Entsprechend rasant verläuft die Kapitalanhäufung in diesen Unternehmen. 2004 nannten sie 520 Milliarden US-Dollar an Immobilien und Fabrikanlagen ihr eigen. Das war mehr als das entsprechende Vermögen der 20 weltweit größten Automobilhersteller, die bekanntlich zur Crême das Kapitals der führenden Industrieländer gehören. 60 der 100 Unternehmen, die die Bostoner in ihrer Liste vorstellen, werden entweder direkt oder aber einige ihrer Töchter an den Börsen gehandelt. Im März 2006 betrug der Wert ihrer Aktien– Marktkapitalisierung nennen Börsianer das – 680 Milliarden US-Dollar. Die Kursentwicklung ist beachtlich, auch wenn sie seit März vermutlich im Zuge des allgemeinen Kursverfalls in den Schwellenländern etwas eingeknickt sein dürfte: Von Anfang 2000 bis März 2006 legte der Rückfluß für die Anleger, das heißt, der Gewinn aus Kursanstieg und Dividende, um 150 Prozent zu. Die führenden 500 US-Unternehmen brachten es hingegen nur auf eine Steigerung von sieben Prozent.

Gewichtsverschiebungen

Die Zahlen machen deutlich, daß sich eine erheblich Verschiebung in der Weltwirtschaft ankündigt. Während hierzulande die Entwicklungsländer immer noch als eine mehr oder weniger uniforme Masse wahrgenommen wird, deren Ökonomie sich an den Bedürfnissen des Nordens ausrichtet, sind die Realitäten längst andere. Eine Gruppe von Schwellenländern hat sich aufgemacht, den Abstand zur industrialisierten Welt aufzuholen. Allen voran bestimmen China und Indien das Rennen, aber mit von der Partie sind auch Länder wie Brasilien, die Türkei oder Malaysia. Rußland, dessen ökonomische Leistungskraft durch die schwere Krise der 1980er Jahre und den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 stark gelitten hat, wird ebenfalls zu dieser Gruppe gezählt.

Binnenmärkte als Basis

Die Autoren der Studie haben für ihre Liste nur jene Unternehmen ausgesucht, die ihre Heimatbasis in einem dieser Länder haben. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle untersuchten Konzerne bereits einen Jahresumsatz von über einer Milliarde US-Dollar, wovon zehn Prozent oder mehr im Ausland realisiert werden. Eine der Stärken der aufstrebenden Firmen besteht meist darin, daß sie einen großen, rasch expandierenden Heimatmarkt im Rücken haben, auf dem sie die notwendige Größe für ihren globalen Eroberungsfeldzug erwerben. So ist es denn auch wenig erstaunlich, daß allein 44 der 100 »Herausforderer« aus der Volksrepublik China kommen. Indien ist mit 21 Unternehmen in der Liste vertreten und Brasilien mit zwölf. Auffällig ist allerdings, daß China und Indien deutlich überrepräsentiert sind. Während das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik nur 29 Prozent der ausgewählten zwölf Schwellenländer ausmacht, die für die Erstellung der Liste ausgesucht wurden, beträgt ihr Anteil an den potentiellen Multis 44 Prozent. Für Indien betragen die Werte 13 und 21 Prozent.

Bemerkenswert ist weiter, daß die Unternehmen aus einem breiten Spektrum von Branchen kommen, darunter auch viele aus dem High-Tech-Bereich. Auf den Lohnlisten der 100 Aufsteiger stehen unter anderem auch 250 000 bis 300 000 Ingenieure und Wissenschaftler. Der Angriff auf die Bastionen von Siemens, GM und Co. erfolgt also keinesfalls aus der dritten Liga.