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19.09.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Rambo-Ökonomie

Laut IWF könnte lahmende Binnenkonjunktur zur Gefahr für die Weltwirtschaft werden

Von Wolfgang Pomrehn
Die Weltwirtschaft brummt, und zwar so sehr, daß der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem jüngsten Ausblick die Prognose für das laufende und das kommende Jahr noch einmal nach oben korrigiert hat. Von 5,1 Prozent Wachstum für 2006 und 4,9 Prozent für 2007 wird nun ausgegangen. Voraussetzung sei allerdings, daß die Finanz- und Kapitalmärkte stabil bleiben, der Inflationsdruck mit moderaten Zinserhöhungen abgefangen werden kann und in den Schwellenländern größere Engpässe in der Produktion ausbleiben. In letzter Zeit ist nämlich weltweit die Kapazitätsauslastung deutlich gestiegen. Für den einzelnen Unternehmer ist das zwar erfreulich, doch für die wirtschaftliche Entwicklung kann auch schnell zu viel des Guten erreicht sein. Stößt die Produktion nämlich in einer oder in mehreren Branchen an ihr Limit, so steigen die Preise, weil das Angebot nicht der Nachfrage hinterher kommt, auf dem Markt also Knappheit entsteht.

Steinbrück bleibt ungerührt

Eine weitere Voraussetzung für die gute Prognose ist nach Angaben des IWF, daß das Wachstum der Inlandsnachfrage gleichmäßiger über die Industriestaaten verteilt wird. Das ist ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Berlin. Die geplante Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland wird auch ausdrücklich als wesentliche Ursache einer Wachstumsverlangsamung benannt, mit der in der Eurozone für 2007 zu rechnen ist. In Deutschland werde das Wirtschaftswachstum aufgrund der Erhöhung um einen halben Prozentpunkt niedriger ausfallen, aber der Effekt könnte durchaus auch größer sein, hieß es.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) ließ unterdessen bei der IWF-Tagung in Singapur am Wochenende die Kritik an sich abperlen. Nachdem das Wachstum nunmehr an Stärke gewonnen habe, sei die Bundesregierung entschlossen, ihr Vorhaben umzusetzen. Das gebiete das Ziel der Haushaltskonsolidierung, erklärte der Minister. Ausdrücklich lobte er am Sonntag in seiner Stellungnahme vor dem Finanzkomitee des IWF das starke Wachstum der Profite. Außerdem sei das Wachstum in der Eurozone zunehmend ausgeglichen.

Letzteres ist allerdings eine sehr eigenartige Sichtweise auf die Entwicklung in Europa. Deutschland hat gegenüber fast aller seiner Nachbarn zum Teil erhebliche Handelsbilanzüberschüsse. Insgesamt betrug der Überschuß im Warenexport 2005 160,5 Milliarden Euro. Lediglich der starke Tourismus, der volkswirtschaftlich als Import von Dienstleistungen gewertet wird, hat dieses Ungleichgewicht etwas abgemildert, so daß der Außenhandelsüberschuß »nur« 113 Milliarden Euro betrug. Deutschland ist der einzige der großen Industriestaaten, der seinen Anteil am Weltmarkt seit Beginn des Jahrtausends in nennenswerten Umfang hat steigern können. Insbesondere die USA, aber auch Japan und die meisten westeuropäischen Staaten mußten dagegen Anteile an China und andere asiatische Staaten abgeben.

Erzielt wurden diese Erfolge mit einer in der deutschen Nachkriegsgeschichte vermutlich beispiellosen Lohnentwicklung: Zwischen 1995 und 2004 sind die Reallöhne um 0,9 Prozent zurückgegangen. Im Jahre 2005 betrug der Rückgang weitere 1,1 Prozent. In Schweden, das seine Exporte in den vergangenen Jahren ebenfalls erheblich steigern konnte, betrug hingegen der Reallohnzuwachs zwischen 1995 und 2004 25,4 Prozent, und auch Großbritannien mit seinen gezähmten Gewerkschaften konnte eine Steigerung von 25,2 Prozent verbuchen. Entsprechend sind die Lohnstückkosten in den letzten zehn Jahren hierzulande annähernd konstant geblieben, während sie bei der Konkurrenz – mit Ausnahme von Japan und Österreich – zum Teil sehr drastisch wuchsen.

Deutscher Sonderweg

Die Kehrseite der Medaille ist der schleppende Konsum in Deutschland. Während in den meisten Industriestaaten und Schwellenländern der private Verbrauch meist kräftig steigt, nahm er in Deutschland von 2001 bis 2005 nur um 1,5 Prozent zu. Zusammen mit dem exorbitanten Handelsbilanzüberschuß Deutschlands ist das eines der Ungleichgewichte der Weltwirtschaft, die künftig die globale Entwicklung gefährden könnten. In gewisser Weise sind die deutschen Zustände das Gegenstück zum berüchtigen Leistungsbilanzdefizit der USA, das einen weiteren Risikofaktor darstellt.

Der IWF geht davon aus, daß es 2007 weiter wachsen wird, was die Wahrscheinlichkeit eines globalen Abschwungs befördert. Die Sturheit, mit der die Bundesregierung an ihren Plänen festhält und Unionspolitiker gar nach beschleunigter Verelendung der Arbeitslosen rufen, ist also nicht nur asozial. Sie hat angesichts der damit verbundenen globalen Risiken auch etwas von Rambo-Ökonomie: Vorfahrt für die deutsche Dampfwalze, um die Stabilität der Weltwirtschaft sollen sich gefälligst andere kümmern.